Descent: The Well of Darkness

Ihr glaubt, ihr habt alle Verliese, Höhlensysteme, Grabkammern und Drachenhorte erforscht? Alle Tiermenschen, Skelette, Zauberer, Riesenspinnen, Nagas und Oger besiegt? Euer Overlord rauft sich die Haare, weil eure Helden so gelassen übers Spielbrett spazieren, als würden sie über den Marktplatz der benachbarten Stadt bummeln? Ha, dann versucht einmal, euch den Herausforderungen zu stellen, welche „The Well of Darkness“ für euch bereithält. Glaubt mir: Ihr werdet Angst haben… ihr werdet Angst haben …

von Bernd Perplies

2005 kam das großformatige Brettspiel „Descent – Journeys in the Dark“, eine Art Fantasy-Variante des bereits höchst erfolgreichen „Doom – The Boardgame“, bei Fantasy Flight Games heraus. In klassischer „HeroQuest“-Manier schickte das Spiel eine Gruppe Abenteurer auf eine Queste über einen aus Gang- und Raumelementen zusammensteckbaren Spielplan, um Monster zu töten, Schätze zu sammeln und am Ende mit möglichst vielen Conquest Tokens das Spiel (und meist auch den Spieleabend!) zu beenden. Ihnen entgegen stand ein Spieler, der den sinistren Overlord mimte, den Spielleiter sozusagen, und dessen Aufgabe es nicht nur war, sukzessive den Spielplan aufzudecken und die Monster zu platzieren, sondern auch durch hinterhältigen Einsatz derselben – sowie seiner Overlord-Karten – tunlichst alle Recken so oft umzubringen, dass den Spielern die Conquest Tokens ausgingen.

„The Well of Darkness“ ist die erste Erweiterungsbox für das Grundspiel, ein Karton von nicht unbescheidener Größe, der allerdings relativ leichtgewichtig daherkommt. Das Cover zeigt drei neue Helden, die in einem eisigen Felsendom von fledermausartigen Ungeheuern eingekreist sind. Öffnet man die Wundertüte, so erkennt man rasch, dass die Box  keinen geringen Anteil an Luft enthält, was indes nicht heißen soll, sie wäre nicht obendrein voller interessanter neuer Goodies.

Ein einfaches Ausbauelement stellen die zehn neuen Kartenteile dar, die noch größere Dungeons ermöglichen. Dazu gibt es einen Stapel neuer Pappmarken für Hindernisse, Effekte, Schätze usw. Für landschaftliche Vielfalt unter der Erde sorgen die neuen Lava- und Mud-Markers, wobei Lava beim Durchwaten pro Feld zwei Wunden zufügt und zwei Burn Tokens dem Helden aufbürdet (ein schnell tödlicher Spaß also), derweil Schlamm die eigene Bewegung schlicht hemmt, was sich in zwei statt einem Bewegungspunkt pro Feld niederschlägt. Nicht minder fies sind die drei neuen Fallen „Dart Field“, „Scything Blades“ und „Boulder“, also Pfeile, die aus der Wand geschossen kommen, Klingen, die aus dem Boden fahren und riesige Steinkugeln, die die Helden unerbittlich durch die Gänge jagen – die „Indiana Jones“-Filmtrilogie stand hier ganz offensichtlich Pate.

Im Zusammenhang mit den Fallen stehen auch die beiden neuen „andauernden Effekte“, nämlich „Bleed“ und „Daze“. Blutende Helden müssen in der Runde, nachdem sie die Tokens genommen haben, pro Stück einen weißen Würfel würfeln und erhalten entsprechenden Schaden. Danach sind die Wunden sozusagen verschorft und die Tokens werden abgelegt. Benommene Charaktere müssen indes versuchen, ihre „Daze“-Tokens durch Surges auf den schwarzen Power Dice abzuschütteln, ansonsten verlieren sie pro Token einen Angriffswürfel (ihrer Wahl), was jedweder Attacke deutlich an Durchschlagskraft zu nehmen vermag.

Ein wahrer Kracher ist das riesige Bolt Template, das ähnlich dem Breath Template im Grundspiel an Fallen und Monster mit der entsprechenden Fähigkeit angelegt wird, um den Raum abzustecken, der von deren Angriff betroffen ist. Nur zwei Felder breit, aber erschreckende zehn Felder lang, wirkt sich solch ein Blitz-Angriff also gerade in Gängen verheerend aus.

Drei neue Monstertypen – die im Schwarm angreifenden Kobolde, die blutige Wunden schlagenden Ferrox und die massiven, kaum zu stoppenden Golems – machen in Form 27 neuer Plastikminiaturen unter der Herrschaft des Overlords die Unterwelt unsicher. Darüber hinaus stehen 39 neue Overlord-Karten zur Verfügung, die aber nicht einfach eingemischt werden, sondern ein gezieltes Zusammenstellen des Overlord-Decks ermöglichen. „Treachery“ heißt dieser neue Spielmechanismus, der sich an den Quests orientiert und so die Effektivität des Overlord-Zugstapels, da nun maßgeschneidert, deutlich erhöht!

Doch auch an die Spieler wurde gedacht. Sechs neue Helden (Karte und Figur) erweitern die Qual der Wahl für die Spieler, mit welchem Recken sie in die Dunkelheit ziehen wollen. Darunter der Runemaster Thorn, der die praktische Fähigkeit der Teleportation auf Sicht beherrscht, die Elfenschurkin Tetherys, die ihr Ziel nach dem Angriffswurf neu wählen darf und der „Tank“ Nanok of the Blade, dessen natürlicher Rüstungsschutz proportional zu seinem Melee-Wert steigt. Insgesamt handelt es sich bei dem Sextett um eben die Helden, die auf den zwei Spielboxen abgebildet sind und nun hier erstmals in persona ins Geschehen eingreifen dürfen.

Um diese Heroes bereit für den Kampf zu machen, liegen der Box zwölf neue Skill-Karten sowie zwölf neue Gegenstände, 23 Schatzkarten und sechs Artefakte bei. Die Auswahl ist bunt, manche Dinge (etwa die „Tunic“) sind ziemlicher Mist, andere (etwa das Schwert „Icetooth“) ausgesprochen heftig. Neu ist auch die Power Potion, die als grünes Fläschchen in dunklen Ecken der Dungeons (oder im Regal des Gemischtwarenhändlers um die Ecke) liegt und es erlaubt, nach Genuss beim nächsten Angriff alle fünf Power Dice zu würfeln. Gut für Anfänger, wahre Recken werden diesen Trunk eher selten brauchen.

Das beiliegende Heft vereint diesmal Regeln und Quest Guide unter einem Cover. Acht Seiten lang werden die neuen Spielmaterialien vorgestellt und einige Regeln des Grundspiels noch einmal erläutert (oder korrigiert – so wie auch zwölf Ersatzkarten, etwa zu den Skeletten oder dem „Bow of Bone“, Grundspielmaterialien korrigieren), danach folgen neun neue Abenteuer, die, wenn man so will, das Kernstück der Erweiterung darstellen. Diese aber haben es wirklich in sich! Sie sind größtenteils so schwer, dass es im „Descent“-Forum bei Fantasy Flight Games lebhafte Diskussionen gab, ob die neuen Fallen, die wenigen Town Portals oder das Leveldesign an sich schuld sind, dass Heldengruppen, die eher auf Stimmung, denn auf taktisches Powergaming aus sind (das durchaus das Ignorieren von Monstern zum Zwecke der Schnelligkeit und das Opfern von Kameraden zur Ablenkung von Gegnern beinhaltet), sich regelmäßig dem Overlord geschlagen geben müssen. Vielleicht ist es auch nur eine Frage der Erfahrung – unsere ersten Ausflüge in die Grotten und Katakomben der schönen neuen „Descent“-Welt erwiesen sich jedoch auch als mittlere Katastrophe (aus Spielersicht gesprochen natürlich).

Fazit: „The Well of Darkness“, die erste Erweiterungsbox für das Brettspiel „Descent“, kommt mit etlichen neuen Spielmaterialien daher, von denen mir vor allem die perfiden Fallen, die neuen Monster und die zusätzlichen Helden gefallen. Auch Lava, Schlamm, blutende und benommene Helden sorgen für Abwechslung im Spiel und für Möglichkeiten beim eigenen Entwurf von Abenteuern. Nicht so gelungen erscheinen mir die neun neuen Questen, die mitunter wirklich brachial schwer sind. Hier muss der Spieler, der den Overlord übernimmt, ein feines Händchen beweisen, um den Spielern nicht den Spaß zu verderben. Denn Spieler, die sich einer unschaffbaren Aufgabe gegenüberstehen, verlieren genauso die Lust am Spiel, wie solche, die das Gefühl haben, der Meister macht es ihnen aus Mitleid leicht. Und im Gegensatz zum Rollenspiel kann der Spielleiter noch nicht einmal schummeln…


Descent: The Well of Darkness
Brettspiel-Erweiterung
Kevin Wilson
Fantasy Flight Games/Heidelberger Spieleverlag 2006
ISBN: 1-58994-291-4
33 Plastikminiaturen, 110 Karten, 10 Kartenteile, 134 Spielmarken, Regeln & Quest Guide, englisch
Preis: $ 39,95