Descent: Sea of Blood

Wenn Captain Bones mit seinem Schergen, dem Kraken, sich anschickt, den Leviathan, der unter dem Meer erwacht, von seinen Fesseln zu befreien, sind tapfere Helden gefragt, um seinem finsteren Treiben Einhalt zu gebieten. Vorhang auf für „Sea of Blood“, der nach „Road to Legend“ zweiten Kampagnenbox für „Descent – Journeys in the Dark“ – einer Abenteuerreise über die Meere von Torue Albes, die von zwei bis fünf Spielern vor allem eines fordert: Sitzfleisch.

von Bernd Perplies

Mit der mittlerweile fünften Boxenerweiterung des höchst erfolgreichen Dungeon-Crawlers „Descent – Journeys in the Dark“ von Fantasy Flight Games (dt. vom Heidelberger Spieleverlag) ist einmal mehr eine so genannte Advanced-Campaign-Expansion erschienen. Im Gegensatz zum normalen Brettspiel erforscht man hier nicht nur ein Dungeon, um am Ende des Abends alle Spielmateralien wieder wegzusortieren, sondern erlebt eine ganze Abenteuerkampagne, die sich über mehrere Spielabende hinweg zieht und während derer die Spieler ihre Helden durch die Lande ziehen lassen, um (dann doch wieder) Dungeons zu durchwandern, Inseln zu besuchen und Begegnungen auf See zu erleben, während die Lieutenants (also die Schergen) des in Form eines Avatars in Erscheinung tretenden Spielleiters/Overlords Städte schleifen und allerlei sonstiges schändliche Werk treiben.

Die „Sea of Blood“-Kampagne spielt in Torue Albes – wobei ich keine Ahnung habe, wie man das in Englisch ausspricht –, einer Inselgruppe jenseits von Terrinoth, dem Standardschauplatz der „Runebound“-/„Descent“-Reihen. Entsprechend durchzieht das Seefahrer-Thema das ganze Spiel. So kann die Heldengruppe zwar, wie in „Road to Legend“ auch über Land reisen, besitzt allerdings zusätzlich ein magisches Schiff, die Revenge, mit der sie von Hafen zu Hafen schippert. Dieses Schiff lässt sich, genau wie die Charaktere und die Monster auch, mit Erfahrungspunkten und Geld verbessern, also beispielsweise vergrößern oder mit zusätzlichen Kanonen ausstatten.

Diese Kanonen werden auch dringend benötigt, denn die Seewege sind alles andere als sicher. Während es keine Probleme bereitet, auf einer der größeren Inseln von Dungeonschauplatz zu Dungeonschauplatz zu spazieren, müssen die Spieler bei jeder Seereise würfeln, ob es zu einer Begegnung kommt, die oft genug Kampf bedeutet – gegen Geisterschiffe, Piraten und die allgegenwärtigen Daggertooth Sharks. Je nach Bereich der Karte sind diese Begegnungen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher sowie gefährlicher oder ungefährlicher. Dies wird durch grüne, gelbe oder rote Markierungen verdeutlicht, in denen sich eine Zahl befindet (1 bis 4), welche die Menge Würfel angibt, die geworfen wird, um zu ermitteln, ob die Revenge auf dem Ozean auf Gegner trifft.

Das ganze Reisen dient vor allem vier Zwecken: um Dungeons, Inseln oder Städte zu erreichen sowie um Lieutenants zu jagen und anzugreifen und so die Bemühungen des Overlords zu untergraben. Wenn die Helden Dungeons oder Inseln erreichen, wird das normale „Descent“-Brettspiel ausgepackt und ein aus drei kleinen und meist zufällig ermittelten Levels bestehendes Spielbrett zusammengebaut. Dabei besteht der Unterschied zwischen Dungeons und Inseln nur darin, dass bei Inseln das erste Level oberirdisch sind, wofür ein immer gleicher Faltspielplan zum Einsatz kommt, der je nach Insel durch einige Geländemarker individualisiert wird. Die drei Levels werden dann weitgehend nach den bekannten „Descent“-Regeln gespielt, wobei auffällt, dass die Helden relativ viel Gold sammeln können, was sie später allerdings auch dringend zur Charaktersteigerung brauchen.

All das geht in „Game Weeks“ genannten Spielzügen vonstatten, die aus jeweils vier Phasen bestehen. Zu Beginn erhält der Overlord Conquest Tokens (gleichbedeutend mit Erfahrungspunkten respektive XP). Anschließend wird unter Umständen ermittelt, ob seine Lieutenants eine belagerte Stadt auszulöschen vermögen. Danach darf der Overlord jedem seiner Lieutenants einen Befehl erteilen (das heißt sie dürfen sich bewegen oder einen Schauplatz belagern) sowie ein Upgrade für seinen Avatar oder seine Monster kaufen, sollte er genug XP haben. Und zuletzt dürfen die Spieler ihre Helden entweder zu einem Dungeon, einer Insel oder einer Stadt bewegen oder – wenn die Gruppe in einer Stadt ist – dort trainieren, einkaufen oder in der Taverne nach Gerüchten horchen, die eine Art Spezialaufgaben darstellen und nach einer etwas größeren Herausforderung auch eine etwas größere Belohnung bereithalten (wenn sie sich nicht als falsch erweisen!).

Sehr schön ist der zunehmend ansteigende Schwierigkeitsgrad. Während die Kampagne mit relativ schwachen Helden und Monstern im Copper Level beginnt, steigt sie nach einer gewissen Anzahl gesammelter XP ins Silber und Gold Level auf, wodurch die Monster stärker werden, was wiederum dafür sorgt, dass die Spielbalance halbwegs gewahrt bleibt, auch wenn die Helden mittlerweile gut mit Schätzen und Attributsupgrades ausgestattet sind. Auch die Mechanismen zufällig generierter Dungeons und Begegnungen auf See wirken elegant, allerdings leiden sie ein wenig darunter, dass die Insellevel und die Seebegegnungen immer den gleichen Spielplan nutzen. Für ein Brettspiel ist das völlig legitim. Für ein Rollenspiel, an das „Sea of Blood“ mit seinem Kampagnenmodus ja beinahe grenzt, wirkt es irgendwann etwas eintönig. Auch stößt leicht auf, dass sich die 30 vorgefertigten Dungeonlevel (plus 10 Insellevel und 10 Rumorlevel) früher oder später zwangsläufig wiederholen. Irgendwie möchte man halt nicht zweimal die gleiche Master Naga besiegen oder den gleichen eingepferchten Hell Hound mit einem Stück Fleisch besänftigen.

Entsprechend schätze ich den Wiederspielwert von „Sea of Blood“ als eher gering ein. Zwar kann der Overlord in unterschiedlichen Avatar-Formen in Erscheinung treten (etwa der des untoten Captain Bones oder des vampirischen Count) und drei verschiedene Plots verfolgen, darunter auch das eingangs erwähnte Entfesseln des Leviathans. Auf die gesamte Spielzeit berechnet, wirken sich diese Unterschiede allerdings nicht gravierend aus. Das Kernelement der Kampagne, Dungeonlevels zu durchwandern, bleibt immer gleich. Und hier setzt dann aus oben genannten Gründen ein mitunter mehrfaches Wiederholen derselben Dungeonlevels ein, das leicht langweilig werden kann.

Das ist aber ausnahmsweise kein Problem. Denn während bei Brettspielen ein mangelnder Wiederspielwert eher ein K.O.-Kriterium ist, gehört es bei Rollenspielen (und diesen ist das Konzept von „Descent“ an sich in vielerlei Hinsicht deutlich näher, als einem „Monopoly“ oder „Risiko“) einfach dazu. Und schon das einmalige Bewältigen einer „Sea of Blood“-Kampagne kann sich leicht über mehrere Wochen hinziehen. Gespielt wird bis der Overlord entweder fünf Städte zerstört hat, bis er eine vom jeweiligen Plot vorgegebene spezielle Siegbedingung erreicht oder bis Spieler und Overlord gemeinsam 600 Erfahrungspunkte gesammelt haben, wonach es sofort zum Showdown im Dungeon des Avatars des Overlord kommt (der vorher für die Helden nicht zu betreten ist). Da man an einem Spielabend vielleicht 30-50 XP sammeln kann, ist das also ein größerer Akt und man wird mit „Sea of Blood“ viel Spaß haben, auch wenn man die Kampagne kein zweites oder drittes Mal angeht.

Zum Spielmaterial muss nicht viel gesagt werden. Fantasy Flight Games hat hier Standards gesetzt, die kontinuierlich eingehalten werden. Stabile Pappmarker, optisch ansprechende Spielkarten und ein umfangreiches Regelwerk lassen kaum Wünsche offen. Im Detail mögen vielleicht Unklarheiten bestehen, aber das ist bei einer so komplexen Materie kaum zu verhindern, und für gewöhnlich schaffen FAQs bei Fantasy Flight Games schnell Abhilfe.

Fazit: Für „Descent“-Spieler, die sich schon immer gewünscht haben, mit ihren Charakteren länger als nur für einen Dungeoncrawl verbunden zu bleiben, ist „Sea of Blood“ genau das Richtige. Obwohl die Box keine neuen Schätze oder Gegenstände – für gewöhnlich des Spielers liebste Neuerung – mit sich bringt, ist durch das Konzept des Charakterupgrades und die vielen neuen Kleindungeons genug Anreiz, auch für ein längeres Spielen, gegeben. Die Seefahrtsthematik ist schön umgesetzt, das Spielmaterial wie immer sehr gut. Wer bereits „Road to Legend“ besitzt, für den bietet „Sea of Blood“ vielleicht zu wenig Neues. Allen anderen „Descent“-Spieler ist diese Erweiterung hingegen durchaus zu empfehlen.


Descent: Sea of Blood
Brettspiel-Erweiterung
Kevin Wilson
Fantasy Flight Games 2009
ISBN: 978-1-58994-664-4
1 Spielplan, 1 Begegnungskarte, 1 Block Kampagnenbögen, 10 Powerwürfel, 220 Karten, 11 Kartenteile, 225 Spielmarker, 6 Aufbewahrungsboxen, Regeln, englisch
Sprache: Englisch
Preis: $ 59,95

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