Der Weg nach Vanasfarne

Der neue, in Alba angesiedelte Abenteuerband „Der Weg nach Vanasfarne“ von Gerd Hupperich enthält eine Mini-Kampagne mit drei Abenteuern, welche auf niedriggradige Spielfiguren zugeschnitten sind. Zusammengehalten werden die drei Abenteuer durch die Geschichte eines reuigen Geistes, welcher die Abenteurer am Ende des ersten Abenteuers darum bittet, einen gestohlenen, heiligen Kelch wieder in den Schoß des Vana-Klosters Vanasfarne zu betten.

von P. S. Goering

 

Vom Aufbau her erinnert die Kampagne an eine Trilogie, ohne freilich einen wirklichen, inhaltlichen Zusammenhang zwischen den Abenteuern zu schaffen. Trotzdem hat mir persönlich die Einbettung der drei Abenteuer in die Jahreszeiten – „Orcwinter“ im, na?, Winter, „Druidenmond“ im Frühling und Sommer und „Unheilnebel“ im Herbst – sehr gut gefallen. Die Abenteuer heben sich dadurch atmosphärisch deutlich voneinander ab. Zudem bietet sich den Spielfiguren die Möglichkeit, zwischen den einzelnen Abenteuern zu lernen, was nicht selbstverständlich ist.

Das erste Abenteuer „Orcwinter“ konzentriert sich laut Gerd Hupperich auf das „Anwenden der MIDGARD-Regeln“. Und tatsächlich sind dort auch insbesondere die kämpferischen Fähigkeiten der Spielfiguren gefragt, geht es doch auf Orcjagd. Zudem sind aber auch Fertigkeiten (insb. Wildnis und Erkundung) und Zauber (insb. Erkundung und Kampf) vonnöten, um das Abenteuer erfolgreich bestehen zu können. Der Autor empfiehlt daher auch, die Hälfte der Gruppe aus Kämpfertypen bestehen zu lassen. Dieses ist sinnvoll, allerdings könnte man diese Empfehlung auch für jedes beliebige Abenteuer aussprechen, da selbst das atmosphärischste Abenteuer irgendwo seinen „Endkampf“ hat, an dem gewisse Typenzusammensetzungen fast zwangsläufig scheitern, solange der Spielleiter nicht korrigierend eingreift. Allerdings bietet das Abenteuer auch gute Möglichkeiten zur Integration von kampfstarken NSCs (z.B. eines Zwergen), so daß auch weniger kampfstarke Spielfiguren gute Möglichkeiten haben, das Abenteuer zu überstehen. Die rollenspielerischen Aspekte treten im „Orcwinter“ eher in den Hintergrund, was aber – auch gerade im Hinblick auf die folgenden Abenteuer, in denen Rollenspiel groß geschrieben wird - nicht schlimm ist.

Inhaltlich begibt sich die Gruppe auf Orcjagd, um Kopfgelder zu kassieren. Schnell wandelt sich das Unternehmen aber in eine Rettungsmission, um den Überlebenden eines überfallenen Gehöfts der MacConuihl ein schreckliches Schicksal in orcischer Gefangenschaft zu ersparen. Dafür muß die Gruppe zuerst einmal die Orcs aufspüren und dann in einer dramatischen Aktion die Orcs niederringen und die Gefangenen befreien. Später Höhepunkt dieses Abenteuers ist sicherlich die rasante Flucht vor erbosten, rachsüchtigen Orchorden, welche schließlich nur mittels des Einsatzes eines behelfsmäßigen Schlittens gelingt. Endlich kommt einmal die so oft geschmähte (und verlachte) Fertigkeit „Schlittenfahren“ zum Einsatz; auch wenn man zu Recht bezweifeln mag, daß irgendein Charakter diese Fertigkeit als gelernte mit an Bord haben wird.

Das zweite Abenteuer „Druidenmond“ betont die rollenspielerischen Fertigkeiten der Spielfiguren und der Spieler. Die Gruppe sieht sich hier animiert, am Aufbau eines Vana-Klosters mitzuwirken. Dieser Aufbau wird schließlich durch das plötzliche Auftauchen einer unbekannten Schönheit, welches zu politischen Verwicklungen führt, gestört. Auch ein geheimnisvoller schwarzer Hirsch macht den Abenteurern zu schaffen. Die Auflösung schließlich wird kaum jemand als Happy-End bezeichnen wollen und dürfte gerade bei einfühlsamen Spielern einen bitteren Nachgeschmack haben.

Spielerisch bietet das Abenteuer eine gute Möglichkeit, das harte Leben der albischen Landbevölkerung darzustellen. Dabei kommen die Spieler sowohl mit der einfachen Bevölkerung, als auch mit Geistlichkeit in Gestalt von fünf Nonnen des Ordens der „Schwestern unser lieben Vanafred“ in Berührung. Aber auch der Adel gibt sich in Person des Thaen von Deorstane die Ehre. Gerd Hupperich sieht in diesem Abenteuer das Schaffen einer (stimmigen) Atmosphäre im Vordergrund. Dem kann ich nur zustimmen. Die Spieler müssen in den Bann des albischen Landlebens gezogen werden; zudem muß ihr Ehrgeiz bzgl. des Klosteraufbaus geweckt werden. Dann werden sie vom Auftauchen der unbekannten Schönen und den Intrigen des schwarzen Hirsches genauso geschockt sein, wie die Landbevölkerung selbst. Und nur dann wird sich den Spielern auch die Tragik dieses Abenteuers in ihrer vollen Bandbreite erschließen.

Das dritte Abenteuer „Unheilnebel“ schließlich präsentiert sich als (fast) klassische Detektivgeschichte. Die Gruppe wird ganz unverhofft in die Geschicke eines niedergegangen Zweiges des Clans der MacRathgar hineingezogen. Sehr interessant, allerdings auch sehr fordernd für den Spielleiter, ist die Tatsache, daß drei verschiedene Ziele zu erfüllen sind.

Offensichtlich ist lediglich die Jagd nach Schmugglern, zu der die Abenteurer direkt beauftragt werden. Ob sie dabei noch dem Mord nachgehen, der direkt vor ihrer Nase begangen wird, hängt ganz von der Neugier und der Hartnäckigkeit der Gruppe ab. Leicht aufzuklären ist dieser nämlich mitnichten. Reine Indizienbeweise existieren kaum, so daß im Endeffekt nur eine schlau ausgeklügelte Falle dem Mörder seiner gerechten Strafe zuführen kann. Aber vorher muß erst einmal dessen Identität festgestellt werden, was der Gruppe nur durch ein exzellentes und akzentuiertes Rollenspiel des Spielleiters ermöglicht werden kann.

Schließlich existiert noch das Geheimnis eines Verrates, welcher zum Untergang des besagten Zweiges der MacRathgar und einer ganzen Stadt führte. Daß dieser Verrat aber existierte bzw. überhaupt aufklärbar ist, muß die Gruppe gänzlich aus eigenem Antrieb erahnen. Hierzu existieren zwar vielerlei Hinweise und Spuren, auf die die Abenteurer während ihrer Ermittlungen in den anderen beiden Fällen stoßen können. Der Zusammenhang zwischen diesen Hinweisen ergibt sich aber nicht zwangsläufig.

Der Gruppe stimmig die komplette Auflösung dieser drei Rätselgeschichten zu ermöglichen, mag sich als größte Herausforderung des Spielleiters im „Unheilnebel“ herausstellen.

Fazit: „Der Weg nach Vanasfarne“ ist eine sehr gute Kurzkampagne, welche sich an unerfahrene Spieler richtet, aber auch erfahrenen Spielern viel Spaß machen wird. Der Spielleiter allerdings sollte kein Neuling auf seinem Gebiet sein. Ansonsten wird es ihm schwerfallen, die Abenteurer beim Mitaufbau des Vana-Klosters stimmig bei der Stange zu halten. Noch schwieriger dürfte ansonsten auch die Aufgabe sein, der Gruppe die vollständige Aufklärung von „Unheilnebel“ zu ermöglichen.

Ansonsten aber können sich alle Beteiligten auf ein stimmungsvolles und gut ausgearbeitetes Abenteuererlebnis freuen. Die Atmosphäre Albas wird gut eingefangen. Unter Hinzuziehung des Alba-Quellenbuches kann sie zudem noch perfektioniert werden. Desweiteren bietet die Kampagne Raum noch weitere Abenteuer miteinzupflechten.

Lediglich die Grundmotivation der Gruppe nach Vanasfarne zu reisen wirkt etwas gestelzt. Die Geschichte des reuigen Geistes, der den gestohlenen Kelch wieder in den Schoß Vanas zurückbringen lassen will, scheint mir persönlich – trotz der besonderen Geistersituation in Alba – etwas konstruiert, was aber Geschmackssache sein mag. Immerhin hilft diese Konstruktion gerade unerfahrerenen Spielleitern dabei, einen Zusammenhang zwischen den drei Abenteuern entstehen zu lassen.

Inhaltlich sind diese ansonsten vollkommen unzusammenhängend und eignen sich daher auch sehr gut als Stand-Alone Abenteuer, was der Autor in der Einleitung aber auch betont. Erfahrene Spielleiter können die Geschichte des Geistes und des Kelches ohnehin einfach weglassen. Ihnen dürfte es nicht schwer fallen, eine andere Motivation für die lohnende Reise nach Vanasfarne zu finden.


Der Weg nach Vanasfarne
Abenteuer
Gerd Hupperich
Pegasus Press 2002
ISBN: 3930635232
82 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,95

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