Das Vermächtnis der Völker

Das DSA-Abenteuer „Das Vermächtnis der Völker“ (VV) widmet sich schwerpunktmäßig den Verständigungsproblemen zwischen Menschen und Elfen, die sogar noch schwieriger sind als die zwischen Mann und Frau. Im Sinne eines humanoidenfreundlichen Weltbildes werden dabei die Problempunkte aus der Sichtweise beider Rassen beleuchtet und mittels eines bombastischen allfriedenschaffenden Rituals zu einem harmonischen Ende geführt.

von Reinhard Kotz

 

Auf einer ihrer Reisen treffen die Helden zufällig auf den Elfen Golodion Seemond. Dieser ist ein bekannter Zaubermaler und gerade auf der Suche nach einigen seltenen Utensilien, die er für seine Farben benötigt. Schnell freundet man sich an und so bittet Golodion die Helden, seine Utensilien zur Magierakademie in Gerasim zur dortigen Leiterin der Elfe Mondglanz Eichenfeld zu bringen, während er sich noch auf die Suche einer letzten Zutat begibt. Die Reise verläuft ohne größere Höhepunkte, bis die Helden eines Tages mitten in einem verzauberten Elfenwald aufwachen und weder wissen, wo sie sind, noch, wie sie dahin gekommen sind. Scheinbar haben sie ihr Gedächtnis verloren. Da ihre letzte Erinnerung eine Reise nach Gerasim war, machen sie sich (abermals) auf den Weg dorthin.

Gerasim ist eine außergewöhnliche Stadt, in der Elfen und Menschen friedlich zusammenleben. Als vor vielen Jahre zahlreiche Menschen fliehen mussten, trafen sie hier auf Elfen, die ihnen eine neue Heimat anboten, wenn sie bereit wären, nach Ihren Geboten zu leben. Die Menschen waren einverstanden und so lehrten ihnen die Elfen, wie man mit der Natur im Einklang lebt. Noch heute besteht dieses Bündnis, doch ist die Harmonie in letzter Zeit ins Schwanken geraten. Zum einen ist für die Elfen nach den umstürzenden Ereignissen in den letzen Jahren (Rückkehr Borbarads) ein neues Zeitalter angebrochen, in dem sie sich immer mehr von der wirklichen Welt zurückziehen und sich der geträumten Welt des Lichts zuwenden. Zum anderen lagern seit einigen Tagen mehrere Dutzend Flüchtlinge aus einer von Thorwalern überfallenen Goldgräbersiedlung vor der Stadt, die nicht nach den Sitten der Elfen zu leben gelernt haben und nun (unbewusst) gegen Ihre Sitten verstoßen, was natürlich den Missmut der Elfen hervorruft.

In Gerasim stellen die Helden fest, dass sie hier schon einmal waren und dass die Elfe Mondglanz, der sie die Zutaten übergeben sollten, (immer noch) spurlos verschwunden ist. Da ihr letzter Versuch, sie zu finden (zu den Elfen im Elfenwald zu gehen) erfolglos blieb, versuchen sie diesmal auf anderen Wegen sie zu finden. Nach langem Suchen und viel Fragen, finden sie schließlich ein Zauberinstrument, mittels dessen sie die Elfe rufen können. Von ihr erfahren sie schließlich, welche Pläne sie verfolgt.

Mittels eines großen Zauberrituals (Salasandra), an dem sowohl Elfen als auch (zum ersten Mal) Menschen teilnehmen sollen, soll die Harmonie zwischen den Rassen wiederhergestellt werden. Doch bis es soweit ist, ist noch viel zu tun. Konflikte zwischen den Gerasimern und den Flüchtlingen müssen beseitigt, würdige Teilnehmer gefunden und die wilden Waldelfen zur Teilnahme überredet werden. Doch zu guter Letzt finden sich (fast) alle auf dem Platz der Verständigung ein und das Salasandra, bei dem ein Bilde von Golodion übrigens eine wichtige Rolle spielt, wird durchgeführt...

Das Abenteuer kommt in gewohnter DSA-Qualität daher: Es besitzt ein sauberes Layout, eine übersichtliche Struktur und eine leserfreundliche Gestaltung. Mit den Bildern ist etwas gegeizt worden. Es sind nicht wirklich viele und ihre Qualität lässt zu wünschen übrig, ohne dabei schlecht zu werden. Die schwarz-weiße Karte der Stadt Gerasim hingegen ist schlicht, aber schön. Der Text liest sich gut und flüssig. Die Autorin legt viel Wert darauf, die Handlung stimmungsvolle zu inszenieren. Im Anhang wird Gerasim beschrieben und alle Nichtspielercharaktere (immerhin 21 NSC!) vorgestellt. Die Beschreibungen sind kurz, aber stimmungsvoll. Bedauerlich finde ich, dass es nur zu einem NSC ein Portrait gibt. Gerade wenn so viele NSC auftauchen, teile ich als Meister gerne Porträts aus, damit die Spieler den Überblick nicht verlieren.

Das vorliegende Abenteuer bietet wenig Action, aber viel Atmosphäre. Es ist vor allem für erfahrene Rollenspieler interessant, die mit der Welt Aventuriens gut vertraut sind und die sich für gesellschaftliche Probleme interessieren, die nicht mit dem Schwert zu lösen sind. Ein fundiertes Wissen über Aventurien ist von Vorteil, da der Schwerpunkt des Abenteuers auf Kommunikation und Interaktion mit NSC liegt. Die Gespräche haben teilweise ein sehr anspruchsvolles Niveau und gehen oft ins Philosophische. So müssen die Helden einmal einen Waldelfenstamm davon überzeugen, warum die wirkliche Welt der geträumten Welt des Lichts vorzuziehen ist. Hier mag sich ein unerfahrener Spieler überfordert fühlen.

Noch höher als die Erfahrung der Spieler sollte aber die des Meisters sein. Er muss nicht nur zahlreiche NSC glaubhaft und individuell verkörpern, sondern er muss auch Szenen mit wenig Handlung stimmungsvoll erzählen können. An einer Stelle muss er beispielsweise den Helden beim Salasandra vermitteln, wie ein Elf die Welt empfindet oder was er fühlt, wenn er einen Wohnbaum formt. Es ist sicherlich nicht einfach, alles umzusetzen, aber wenn Spieler und Meister hier gut zusammenarbeiten, dann kann „Das Vermächtnis der Völker“  zu einem unvergessenen Abend werden.

Aber auch einige Schwachpunkt möchte ich ansprechen: Die Idee des Gedächtnisverlustes ist nichts Neues, zwar immer wieder gut; hier aber leider völlig überflüssig. Auch wenn man den Gedächtnisverlust gut begründen kann, so ist er für die vorliegende Handlung weder erforderlich noch eine Bereicherung. Es macht keinen Unterschied, ob die Helden vorher schon mal irgendwo gewesen sind oder nicht. Er wird daher im späteren Abenteuer auch nur noch ein oder zweimal erwähnt. Meiner Meinung nach hat man es hier versäumt, ein lustiges Zwischenspiel zu bieten, dem die Helden wehrlos ausgeliefert sind (wie zum Beispiel: eine junge, den Helden unbekannte Wirtstochter fällt einem der Helden um den Hals, küsst ihn leidenschaftlich und flüstert ihm dann ins Ohr: „Ich wusste, Du gehörst nicht zu den Männern, die nach einer Nacht verschwinden und nie mehr wieder etwas von sich hören lassen...“). Schade, hier wäre mehr drin gewesen.

Sonderbar finde ich es auch, dass Mondglanz ein Musikinstrument besitzt, mit der man ihr Nachrichten übermitteln kann. Sinnvollerweise hätte sie das gute Stück einem Freund schenken müssen, es sei denn, sie führt gerne Selbstgespräche...

Fazit: „Das Vermächtnis der Völker“  ist ein spezielles Abenteuer für spezielle Leute. Seine größte Stärke ist zugleich seine größte Schwäche. Es ist auf Stimmung und Atmosphäre ausgelegt und die Höhepunkte sind gesellschaftliche Konflikte und philosophische Diskussionen über die Weltansicht der Elfen. Wer so etwas mag, der wird das Abenteuer lieben; wer hingegen mehr auf Handlung und Action wert legt, der wird mit der Geschichte wenig anfangen können.


Das Vermächtnis der Völker (DSA-Abenteuer Nr. 137)
Abenteuerband
Katharina Pietsch
Fantasy Production 2005
ISBN: 3-89064-426-0
52 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 10,00

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