Das Lied von Eis und Feuer – Die Schnellstartregeln

Der Kampf um die Sieben Königreiche und die Häuser Stark, Lannister und Targaryen hat auch das Rollenspiel erreicht. Während es bei den Büchern aus der Hand George R. R. Martins sowie den daraus entstandenen Comics und der TV-Serie nur ums Lesen und Zuschauen ging, dürfen die Leser beziehungsweise Spieler hier selbst aktiv werden und in die Geschehnisse auf Westeros eingreifen.

von Ansgar Imme

Natürlich werden Interessierte wissen, dass dies nicht die erste Möglichkeit ist, auf Westeros aktiv zu werden. Mit dem famosen Brettspiel und nicht minder exzellenten Kartenspiel (vgl. entsprechende Rezensionen) gab es bereits die Möglichkeit, tief in die Welt von Westeros einzutauchen. Doch während dort die Möglichkeiten natürlich begrenzt und durch das taktische Regelkorsett limitiert waren, können hier die Spieler nun aus dem Vollen schöpfen und Abenteuer, Krieg und Intrigen wie in den Romanen erleben.

Mit dem deutschen Mantikor-Verlag hat sich ein (bisher) sehr kleiner Verlag dem Rollenspiel angenommen, welcher vor allem durch die „Einsamer Wolf“-Spielbücher bekannt ist. Aber auch im Original steht mit „Green Ronin“ ein eher kleiner, aber feiner Verlag hinter der Veröffentlichung.

Unser ist der Zorn!

Mit dieser Überschrift werden die Schnellstartregeln eingeleitet, die auf 48 Seiten in Vollfarbe neben verkürzten Regeln auch ein kleines Einführungsabenteuer und sechs Archetypen enthalten. Nach einer sehr kurzen Einführung zu Rollenspielen im Allgemeinen und dem Besonderen des „Game of Thrones“-Rollenspiels folgt ein zweiseitiger Abriss über die wichtigsten Geschichtsdaten und bekannten Adelshäuser.

Anschließend geht es schon voll in die Regeln: Ein Charakter wird erläutert, der sich aus Fähigkeiten und Eigenschaften zusammensetzt. Die Fähigkeiten haben Rangstufen von 1 bis 7, wobei 1 für unzulänglich steht, 4 für geübt und 7 für makellos (was nur Legenden haben). Die Rangstufe drückt dabei gleichzeitig aus, wie viele Würfel man bei einer Probe verwenden darf, wobei der Einfachheit halber nur W6 verwendet werden. Die Fähigkeiten sind eine Mischung aus Fertigkeiten oder Talenten und Eigenschaften, wie man sie aus anderen Systemen kennt. Hier tauchen also sowohl Reiten oder Scharfsinn, aber auch Gewandtheit oder Ausdauer auf. Jede Fähigkeit kann dabei auch noch eine Spezialisierung haben (z.B. Fähigkeit Kampf, Spezialisierung Langklingen), wobei die Spezialisierung Bonuswürfel für eine Probe verschafft. Neben den Fähigkeiten gibt es noch Attribute (Wahrnehmung, Intrigenverteidigung, Kampfverteidigung, Gesundheit, Bewegung), bei denen im Schnellstarter mangels Generierungsregeln aber nicht klar ist, wie diese Werte zu Spielbeginn ermittelt werden. Im Schnellstarter sind diese für jeden Archetypen vorgegeben. Neben der Attributen gibt es dann noch Eigenschaften, die besondere Vorteile oder seltener Nachteile darstellen, die der Charakter hat – wie Stärken in einer bestimmten Waffenfähigkeit, Soziale Gunst oder Reichtum. Eine Eigenschaft besitzt dabei jeder Charakter – sogenannte Schicksalspunkte, mit denen man Proben verbessern, Schäden oder Verletzungen vermeiden oder andere Charaktere zum Teil beeinflussen kann. Die Schicksalspunkte ähneln dabei beispielsweise den Chips aus „Deadlands“ oder Bennies aus „Savage Worlds“.

Für Proben werden nur sechsseitige Würfel verwendet, wobei ein Würfelpool verwendet wird und die Anzahl der Würfel des Ranges der Fähigkeit entspricht (Rang 4 in Kampf = 4W6). Die Würfelergebnisse werden addiert und ergeben das Gesamtergebnis. Bonuswürfel erhöhen die Gesamtzahl der Würfel, aber für das Ergebnis werden trotzdem nur die Anzahl der Ränge in Würfel gezählt, sodass nur die Wahrscheinlichkeit auf ein höheres Augen-Ergebnis steigt. Die Anzahl der Bonuswürfel darf dabei nie die Anzahl des Ranges übersteigen. Strafwürfel reduzieren die Anzahl des Ranges und der damit zu wertenden Würfel um die jeweilige Anzahl. Die Schwierigkeit wird in 3er-Schritten gemessen und beginnt bei 3 für leicht über 6 für normal bis zu 18 für sehr schwer und 21 für heldenhaft. Bei Wettstreitproben (z.B. Laufen) zwischen Charakteren oder mit Nichtspielercharakteren wird das jeweils höchste Ergebnis gezählt, während bei einer Konfliktprobe wie dem Entdecken eines Schleichenden eine Vergleichsprobe stattfindet, wobei der aktiv Handelnde zuerst würfelt und dessen Ergebnis als Schwierigkeit für den Kontrahenten gilt. Für jede Probe gilt: Wenn der Schwierigkeitsgrad mindestens erreicht wird, gilt dies als knapper Erfolg. Die Überschreitung um jeweils 5 Punkte kann bis zu vier Erfolgsgraden führen, was das Ergebnis noch verbessert.  

Der Kampf funktioniert nach obigem Mechanismus, hat aber natürlich noch ein paar Besonderheiten. Der Kampf ist in Runden unterteilt, in der man eine große Aktion, zwei kleine Aktionen oder freie Aktionen (Brüllen, Waffe ziehen etc.) unternehmen kann. Mit einer Gewandtheitsprobe wird zu Anfang der Runde die Initiative ermittelt: Der höchste Wert beginnt. Die großen Aktionen sind z.B. Zweihandwaffenangriff, anstürmen oder ausweichen, kleine Aktionen sind etwa normale Waffen nutzen, Bewegungen oder sich fallen lassen. Bei einem Angriff wird eine Probe auf den Kampf- oder Schießenwert abgelegt und das Ergebnis mit der Kampfverteidigung des Gegners verglichen. Ein erfolgreicher Treffer verursacht Schaden nach einer zugeordneten Eigenschaft und einen Bonus je nach Waffenwert, jeder Erfolgsgrad gibt verdoppelt, verdreifacht oder vervierfacht dies. Von dieser Summe wird dann der Rüstungswert des Gegners abgezogen, die verbliebene Summe ist der Schaden, der von der Gesundheit des Gegners abgezogen wird. Wenn die Gesundheit auf 0 sinkt, ist man besiegt, und der Gegner entscheidet, ob man z.B. tot oder nur bewusstlos ist oder Lösegeld eingefordert wird. Anstelle des Abzugs der Gesundheit kann man sich auch entscheiden, eine Verletzung (Abzug von -1 auf alle Proben) oder eine Wunde (-1 Strafwürfel bei Proben) zu erleiden.   

Das Probenmodell gilt auch zudem für eine besondere Mechanik gegenüber anderen Rollenspielen: dem Intrigen-System. Dieses kann einerseits für das kurze Überzeugen eines anderen genutzt werden (eine Wache überreden, feilschen auf dem Markt, als Priester Menschen für sich begeistern), aber auch für längere Intrigen vor allem zwischen den Mächtigen der Königslande. Ein Angriff ist hier ein Wortwechsel, bei dem sich der Opponent mit Intrigenverteidigung schützen kann, und die Gelassenheit übernimmt die Rolle der Gesundheit. Die Gesinnung des Gegners modifiziert die eigene Probe. Die Intrige kann dann unterschiedliche Ziele haben (Freundschaft, Dienst, Informationen etc.), und man kann verschiedene Techniken einsetzen (Feilschen, Aufstacheln, Schmeicheln etc.). Wenn die Gelassenheit durch die Proben auf 0 sinkt, hat der Ausführende schließlich sein Ziel erreicht.

Der Band wird nach diesem Regelteil durch eine kurze Ausrüstungstabelle, das Szenario „Reise nach Königsmund“ und die Archetypen abgeschlossen. Das Szenario spielt vor dem Turnier des Königs Robert Baratheon aus den Romanen. Die Spieler reisen nach Königsmund (im Original: King’s Landing), machen eine schreckliche Entdeckung am Wegesrand und müssen sich mit Räubern herumschlagen. Die Schnellstarter-Charaktere sind jeweils auf einer Seite mit einem Hintergrundtext zu Vergangenheit, Motivation und Zielen sowie den notwendigen Werten versehen und damit sofort spielbereit. In den jeweiligen Innenseiten vorne und hinten im Band sind dazu noch Karten für das Abenteuer enthalten.

Der Winter kommt ...

Eines kann man dem Rollenspiel-Schnellstarter nach kurzer Lektüre bereits zu gute halten: Es ist ähnlich liebevoll gestaltet, wie auch schon andere Veröffentlichungen rund um die Romane, etwa das Brettspiel oder das Kartenspiel. Die vollfarbige Veröffentlichung hat ein angenehmes Layout, schöne Schriftzüge und zumindest tolle Bilder der Archetypen. Die sonstigen Illustrationen sind dagegen eher von minderer Qualität und dem Band/Heft nicht angemessen. Der deutsche Verlag scheint zudem Probleme bei der Konvertierung der Karten gehabt zu haben, denn im Original sind diese wesentlich besser erkennbar, während sie in der deutschen Ausgabe sehr dunkel sind und Kontraste fehlen.

Da die Illustrationen und Karten aber nicht das ausschlaggebende Kriterium für den Schnellstarter sind, sondern nur die B-Note mindern, kann man stattdessen lobende Worte für den Rest des Bandes finden. Die Einleitungen zum Rollenspiel und zum Hintergrund sind knapp gefasst und nehmen keine epische Breite ein. Ganz im Gegenteil, man hätte sogar vielleicht ein oder zwei Seiten mehr dafür aufbringen können, um das Verständnis des Lesers zu fördern. So wird der Neuleser in der Welt von George R. R. Martin noch gar nicht die richtige Faszination finden und das Ganze erfassen. Für Kenner ist die Auffrischung aber genau ausreichend.

Der Regelteil ist dann erfrischend einfach und schnell erlernbar (man kann nur hoffen, dass das Grundregelwerk dies nicht unnötig verkompliziert). Es gibt nur eine Sorte Würfel, diese bilden einen Pool, dessen Ergebnisse addiert werden. Dieses Ergebnis wird der Schwierigkeit gegenübergestellt. Wenn man vorher weiß, dass es sich um eine Schwierigkeit von 6 handelt und man 3W6 zur Verfügung hat, kann man recht gut abschätzen, ob die Probe gelingt oder nicht. Die Rechnerei hält sich in Grenzen, ein Ergebnis ist schnell zur Hand. Die Modifikationen von Bonuswürfeln, um den Pool zu vergrößern oder Maluswürfel, um vom Ergebnis einen Würfelwert abzuziehen, halten sich von der Komplexität her in Grenzen. Im Kampf ist es durch ein paar besondere Fähigkeiten und nach dem Würfelergebnis das Berechnen der Gesundheit und Verletzungen und Wunden zwar etwas komplizierter, hält sich aber im Verhältnis mit anderen Rollenspielen weit zurück. Einzig im Intrigenspiel wirkt es etwas unhandlich beziehungsweise eher zu einfach, wenn es um längere Intrigen geht, ist aber trotzdem noch spielerisch nutzbar.

Während die Archetypen mit schönen Illustrationen und stimmungsvollen Texten versehen sind, ist das Abenteuer dagegen eher eine Enttäuschung – selbst für einen Schnellstarter. Es ist so generisch, dass es überall spielen könnte, und selbst ein Hauch von Komplexität ist nahezu nicht vorhanden. Auch die Stimmung des Hintergrundes wird höchstens dann transportiert, wenn die Spieler die Romane oder Serie kennen. Hier muss man hoffen, dass künftige ausführliche Abenteuer dies dann ermöglichen.

Fazit: Für einen Schnellstarter die richtige Mischung aus einfachen, schnell verständlichen Regeln, die auf Wunsch mit etwas Komplexität versehen werden können, sodass man sehr schnell losspielen kann. Einzig das Abenteuer lässt noch nicht richtig Gefühl für Westeros und die Sieben Königslande aufkommen, dieses könnte auch in jeder anderen Welt spielen. Vom Gesamteindruck trotzdem empfehlenswert!


Das Lied von Eis und Feuer – Schnellstartregeln
Regelwerk
Robert J. Schwalb, Steve Kenson u.a.
Mantikore-Verlag 2013
ISBN: 3939212237
48 S., 1 großformatige Karte
Preis: EUR 9,95

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