Das geraubte Paradies

Die letzte Etappe auf ihrer Reise führt Carya und ihre Freunde weg vom Hof des mysteriösen Mondkaisers in die Schweizer Alpen. Dort in der verbotenen schwarzen Zone, von der noch nie jemand zurück kam, erhofft sie sich das Geheimnis ihrer Herkunft endgültig zu lüften.

von Andreas Loos

Mit dem vorliegenden Band bringt Bernd Perplies seine „Carya“-Trilogie zum Abschluss. Auch diesmal hat der Lyx-Verlag eine hochwertige Verarbeitung gewählt. Das stabile Hardcover mit Schutzumschlag reiht sich gut mit den anderen beiden Bänden im Regal ein. Das Papier ist griffig und das schon obligatorische schwarze Lesebändchen hat mir ebenfalls gefallen. Das Lesebändchen habe ich allerdings kaum benutzt. Dafür war die Handlung zu dicht und spannend geschrieben, sodass ich mich zwingen musste, das Buch aus der Hand zu legen. Das lag nicht zuletzt an dem unterhaltsamen, plastischen Schreibstil, den sich der Autor in den letzten Jahren erarbeitet hat. Die Qualität ist über alle Bände gleich geblieben. Zudem hat der Roman keine unnötigen Längen, die den Fluss der Handlung hätten behindern können. Die Handlung wurde vom Autor routiniert durchdacht und ist – trotz der Wirrungen und Wendungen, die sie enthält, recht linear gehalten. Kunstgriffe wie Rückblenden werden nur minimal eingesetzt.

Kurz zum Inhalt: Nachdem das Geheimnis über Caryas Herkunft zum größten Teil im Band „Im Schatten des Mondkaisers“ gelüftet wurde, fassen die Protagonisten den Plan, Caryas Vergangenheit  vollends aufzudecken. Ihr Weg führt vom durch den Sternenfall verwüsteten Paris durch die Wildnis in die Alpen, wo sich die schwarze Zone befindet. Diese Zone gilt als Ort des Todes, von dem bisher niemand lebend zurückgekehrt ist. Es dürfte wohl klar sein, dass sich in der Zone jemand verbirgt, der nicht von der Außenwelt behelligt werden möchte. Wer das ist und welche Ziele er verfolgt, ist eigentlich das große Mysterium der Geschichte. Gefreut hat mich das Wiedersehen mit vielen Protagonisten, die bereits im ersten Band auftraten und die auch zum Abschluss noch einmal in Aktion treten dürfen.

Der Aufbau gleicht dem Vorgängerband. Es beginnt als Roadmovie durch das zerstörte Europa und verästelt sich in zwei Handlungsstränge, die jeweils einem der beiden Hauptprotagonisten folgt. Auf diese Weise kann der Autor dem Leser Informationen offenbaren, die den jeweiligen Protagonisten zeitweilig erst einmal verborgen bleiben. Auch diesmal hat sich Perplies ein Gesellschaftsmodel herausgepickt, welches der Leser zusammen mit den Protagonisten näher kennenlernt. Waren es im ersten Band eine fanatische Theokratie und im zweiten Band ein prunksüchtiger Autokrat, deren jeweilige Regime als Hintergrund genutzt wurden, so wird diesmal eine Technokratie mit all ihren Segnungen und Unzulänglichkeiten in Szene gesetzt. Die Prämisse, die hier gesetzt wurde, erinnerte mich an den Hintergrund des Rollenspiel-Dinosauriers „The Morrow Project“, auch wenn die Ähnlichkeiten nur oberflächlich sind.

Das bestimmende Grundthema, welches sich meiner Meinung nach durch alle drei Bände wie ein roter Faden zieht, befasst sich mit Selbstbestimmung und freiem Willen. Die Protagonistin könnte eigentlich an vielen Stellen der Handlung einen anderen Weg einschlagen und woanders ein neues Leben beginnen. Aber Carya ist wohl bewusst, dass sie, ohne ihre gesamte Vergangenheit und das Geheimnis ihrer Herkunft zu kennen, keine wirkliche Zukunft hat. Ich musste dabei ein wenig an den Plot von „Star Trek: Der Film“ denken. Dort kommt die Sonde V’Ger zu ihrem Ursprungsort zurück, um ihren Schöpfer zu treffen, damit sie sich weiterentwickeln kann.

Lyx, dessen Veröffentlichungen sich an junge Frauen als primäres Publikum wenden, bewirbt das Buch als „Romantic Fantasy“. In Bezug auf den Begriff „Romantic“ setzt der Autor hier zum Glück weniger auf schwülstige Momente, die vor Kitsch triefen. Zwar gibt es hier einige solche Momente, aber männliche Leser müssen nicht allzu oft mit den Augen rollen. Die Liebesgeschichte zwischen Jonan und Carya entwickelt sich nicht wirklich weiter. Gab es bei „Im Schatten des Mondkaisers“ noch Elemente, die diesen Aspekt der Geschichte mit Konflikten versorgten, findet hier keine weitere Entwicklung statt. Was den Protagonisten, aber auch anderen Personen anhaftet, ist vor allem Pathos. So bezeichnet Jonan einige der Akteure als „Männer von Ehre und Format“. Gut, diese Leute befinden sich auch in einer Position, in der man sich selbst in einer dystopischen Zukunft einen solchen Luxus leisten kann.

Die Hauptpersonen Carya und Jonan versuchen auch in den schwierigsten Situationen, das moralisch Richtige zu tun. Ich sage mit Bedacht „versuchen“. Denn vor allem die weibliche Identifikationsfigur Carya schwankt zwischen Moralität und tödlichem Pragmatismus. So sehr sie sich für die Rechte anderer einsetzt, genauso sehr hat sie auch kein Problem damit zu töten, wenn es die Situation zu erfordern scheint. Im Verlauf der Trilogie tötet sie mehrfach Gegner, ohne jemals wirklich Reue zu empfinden oder länger über ihr Handeln in diesem Aspekt zu reflektieren. Zumindest hatte ich nicht den Eindruck. Gut, die Kaltblütigkeit gehört zu dem ihr zugedachten Hintergrund, aber schließlich erwarte ich bei einem Roman eigentlich eine gewisse charakterliche Entwicklung.

Der Aspekt „Fantasy“ ist schlicht eine Fehlbezeichnung. Da hier keine übernatürlichen Kreaturen herumlaufen, es keine Magie gibt und sich weder Vampire noch Wehrwölfe herumtreiben, ist eine solche Einordnung falsch. Der Hintergrund ist sehr nüchtern und hart an der Realität. Die Postapokalypse hat keine fantastischen Elemente jenseits technologischer Entwicklungen, wie etwa Raketenflugzeugen und Panzeranzügen hervorgebracht. Es gibt auch keine fantastischen Mutationen.

Fazit: Mit „Das geraubte Paradis“ bekommt Bernd Perplies’ „Carya“-Trilogie zu einem würdigen Abschluss. Der Roman ist sehr unterhaltsam geschrieben und wies keine logischen Fehler auf, die die Handlung unglaubwürdig werden ließen. Auch wenn sich der Roman primär an junge Frauen richtet, wie das gesamte Programm des Lyx-Verlags, können auch Vertreter des männlichen Geschlechts bedenkenlos zugreifen, da der Autor die Klischees, die Romanen für Frauen anhaften, geschickt auslässt. Das stabile Hardcover macht sich auch optisch gut neben den beiden anderen Bänden im Regal.


Das geraubte Paradies
Science-Fiction-Roman
Bernd Perplies
Egmont-Lyx 2013
ISBN: 978-3802586392
512 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 19,99

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