von Simon Ofenloch
Im slawischen Volksglauben ist ein Dampyr ein aus der Vereinigung einer Frau und eines Vampirs geborener Sohn. Halb Mensch, halb Blutsauger ist ein solcher Dampyr die einzige Kreatur, die es vermag, einen „Meister der Nacht“ zu töten, das Mitglied einer Rasse übernatürlich starker und mächtiger „Über-Vampire“, ebenso dessen Gefolge von Untoten und weitere finstere und schaurige Gestalten, die unsere und andere Welten heimsuchen.
Harlan Draka ist ein solcher Dampyr. Allerdings weiß er dies anfangs noch nicht. Seine Mutter ist bei der Geburt gestorben. Über seinen Vater weiß Draka nicht viel. Er glaubt, dass dieser ein feindlicher Soldat gewesen sei, der seine Mutter vergewaltigt habe. Die Dampyr-Legende ist ihm jedoch bekannt. Und er macht sie sich zunutze. Den Aberglauben der Balkanvölker ausnutzend, reist er mit einem Assistenten durch die Lande und verdient sich seinen Lebensunterhalt, indem er sich als Dampyr ausgibt, befähigt, den Fluch böser Geister abzuwenden. Doch im Grunde ist Draka nichts weiter als ein desillusionierter, zynischer Bauernfänger.
In der ersten Episode der Fumetto-Reihe, „Der Sohn des Teufels“, bekommt es eine kleine Militärgruppe in einem Kriegsgebiet auf dem Balkan mit seltsamen, übernatürlichen Gegnern zu tun. Nachts werden die Soldaten von unheimlichen Wesen angegriffen und einige von ihnen bestialisch niedergemetzelt. Kurjak, der mürrische Anführer der Soldaten, glaubt, dass an der Weissagung einer alten Frau, die sie in der verlassenen Geisterstadt Yorvolak vorfanden, etwas dran sein könnte. Die Alte sprach von Teufelswerk und behauptete, dass nur einer in dieser Situation helfen könnte: Dampyr.
Kurjak lässt nach diesem suchen und ihn nach Yorvolak bringen. Sein militärisches Selbstverständnis zwingt ihn dazu, in der Stadt die Stellung zu halten. Als in der Nacht die unheimlichen Wesen wiederkehren, muss Draka, der vermeintliche Dampyr, sich beweisen.
Und was er in dieser Nacht erlebt, verändert sein ganzes Leben. Von Tesla, einer gefangen genommenen Untoten, erfährt Draka mehr über sich und sein Wesen als ihm lieb ist. Am Ende stehen er, Kurjak und Tesla in einer völlig neuen Beziehung zueinander.
In der anschließenden Geschichte „Die Sippe der Nacht“ suchen Draka, Kurjak und Tesla in einer besetzten Stadt nach dem geheimen Unterschlupf von Gorka, dem „Meister der Nacht“, dem Tesla zuvor als Sklavin untertan war. Im Verlauf dieses Abenteuers lernt Draka sich und einige seiner besonderen Fähigkeiten näher kennen. Für ihn ist es eine Reise zu sich selbst, in seine Vergangenheit und zur Erkenntnis über den Sinn seiner Zukunft.
Ähnlich wie die andere, äußerst erfolgreiche Fumetto-Reihe aus dem Verlagshaus Sergio Bonelli Editore, die bereits im deutschsprachigen Raum Fuß gefaßt hat, „Dylan Dog“, verbindet „Dampyr“ Horror- und Mysteryelemente. Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Reihen mögen daran liegen, dass Mauro Boselli gleichsam einige Abenteuer für „Dylan Dog“ verfasst hat. Und auch Maurizio Colombo hatte einst mit dieser Comic-Serie zu tun.
Die Geschichten gründen auf dem Vampirmythos, erweitern diesen aber um ein eigenes Universum. Das unverbrauchte Szenario von Kriegsgebieten in Osteuropa machen die ersten beiden Episoden der Reihe zusätzlich interessant und schrecklich eindringlich.
Wie „Dylan Dog“ verzichtet „Dampyr“ auf farbige Zeichnungen. Die Bilder sind schwarz-weiß, und wo sie schwarz sind, sind sie tiefschwarz. Die Grafiken, die ausgiebigen Gebrauch von tiefen, schweren Schatten machen, kommen den Geschichten in ihrer emotionalen Wirkung zugute. Ebenso wie „Dylan Dog“ ist die Reihe nicht zimperlich in der Darstellung plakativer Gewaltszenen.
In Italien als Hefte über den Kiosk vertrieben, erscheinen die Geschichten in Deutschland im hochwertigen Hardcover. Dabei werden jeweils zwei Abenteuer in einem Band zusammengefasst.
Fazit: Mit „Dampyr“ haben Mauro Boselli und Maurizio Colombo eine geistreiche und aufregende Comic-Reihe erdacht, deren mythologisches Potenzial in den ersten beiden Episoden nur angedeutet wird, was den Leser erwartungsvoll auf mehr hoffen lässt. Der quasi-realistische Zeichenstil überzeugt, insbesondere in der stimmungsvollen Ausgestaltung in Schwarz-Weiß.
Dampyr 1: Der Sohn des Teufels & Die Sippe der Nacht
Comic
Mauro Boselli, Maurizio Colombo, Majo
Bonelli Comics 2007
ISBN: 978-90-78285-64-9
192 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 12,00
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