Dämmerstunden

In der neuesten Abenteueranthologie für „Das Schwarze Auge“ geht es düster zu: Gänsehaut und Gruselspaß verspricht der Klappentext. Immerhin vereinen sich in „Dämmerstunden“ vier Abenteuer, die „Horror“ zum Oberthema haben. Dabei werden ganz verschiedene Aspekte des Horrors gestreift: von Geisterscheinungen über das „Lebendig begraben werden“ bis hin zu finstersten Albträumen.

von André Frenzer

 

 

Die enthaltenen Szenarien sind dabei eigentlich universell einsetzbar; zwei von ihnen sind räumlich gebunden, in einem spielt der Metaplot des aventurischen Kontinents eine untergeordnete Rolle. Allerdings lassen sich mit wenig Aufwand alle Szenarien problemlos in eine laufende Kampagne integrieren.

Angeführt wird der düstere Reigen von dem 25-seitigen Abenteuer „Geisterjahrmarkt“. Die Helden erreichen am späten Nachmittag einen kleinen Weiler, in dem sie die Nacht verbringen wollen. Doch die Dorfbewohner sind in heller Aufregung, sind doch einige von ihnen auf der Suche nach zwei vermissten Kindern in der Nähe des alten Jahrmarkts verschwunden. Echte Helden sehen dort natürlich gleich nach dem Rechten und treffen neben einigen Geistererscheinungen auf ebenso lebendige wie tödliche Attraktionen als auch auf einen Gegner, den sie nur mit einer List werden besiegen können. „Geisterjahrmarkt“ ist universell einsetzbar, ausführlich beschrieben und setzt die geisterhafte Stimmung gut um. Schade, dass dem Bösewicht des Szenarios mit normalen Mitteln nicht beizukommen ist – so erklären sich zwar einige Handlungen der Nichtspielercharaktere, doch gibt es dem Szenario auch etwas Willkürliches.

In „Die Nacht der geifernden Mäuler“ begleiten die Helden einen Borongeweihten durch die gerade befreite Warunkei bis zu einem kleinen Dorf, in dem er den Boronanger segnen und damit wieder benutzbar machen soll. Bei der Segnung kommt es zu der Begegnung mit einem wahrhaft nekromantischen Ungetüm; doch das Ende des untoten Gewürms ruft nur noch weitere Schwierigkeiten auf den Plan … „Die Nacht der geifernden Mäuler“ greift auf 30 Seiten ein bekanntes Motiv aus diversen Horrorfilmen auf: die Zombie-Invasion. Zwar werden die Helden hier nicht von Zombies sondern Ghulen durch die Nacht gehetzt, doch ist diese Änderung zwar regeltechnisch interessant, für den Horrorfaktor aber eher von marginaler Natur. Zahlreiche interessante NSC mit eigener Agenda, eine sehr flexibel geschriebene und einsetzbare „Ghul-Dämmerung“ und nicht zuletzt Schauplatz und Stimmung machen dieses Szenario zu meinem persönlichen Highlight aus vorliegendem Band.

„Das letzte Stündlein“ wiederum führt die Heldengruppe zunächst einmal an ihre psychische Belastbarkeitsgrenze. Auf der Suche nach einem verschrobenen Gelehrten reisen die Helden nach Thalusa. Dort angekommen, müssen sie sich der Grabschändung schuldig machen, um dem Ziel ihrer Suche näher zu kommen: Der Gelehrte soll nämlich in den nächsten Tagen aufgrund seiner Vergehen lebendig eingemauert werden! Dieses Schicksal blüht nun also auch den Helden – doch dies ist erst der Beginn einer Reihe morbider und erschreckender Ereignisse … „Das letzte Stündlein“ setzt auf Untote, Dunkelheit und Orientierungslosigkeit, um die richtige Horror-Atmosphäre zu erzeugen. Leider reichen die 25 Seiten kaum aus, um die komplexe Hintergrundgeschichte und die zahlreichen Möglichkeiten der Helden erschöpfend zu behandeln. So bleibt hier noch viel zu tun für den Meister; nichtsdestotrotzt erhält er ein spannendes, interessantes und solides Gerüst.

Die letzten 23 Seiten vor den gemeinsamen Anhängen nimmt dann das Szenario „Hinter dem Spiegel“ ein. Hier wird die Heldengruppe unversehens in den Streit zweier rivalisierender Feen hineingezogen. Sie müssen sich durch finstere Traumwelten kämpfen, die einige Schrecken zu bieten haben. Wer sich das eine oder andere Mal an „Alice im Wunderland“ erinnert glaubt, muss sich im Übrigen nicht einsam fühlen: Mir erging es genauso. Trotz oder gerade wegen dieser Reminiszenzen ist „Hinter dem Spiegel“ ein gelungenes Szenario mit vielen interessant-skurrilen Szenen und großer Bewegungsfreiheit für die Spieler und ihre Helden.

Technisch bietet der Band keine großen Überraschungen. „Dämmerstunden“ ist komplett in Schwarz-Weiß gehalten, mit einem klar lesbaren Schriftbild, deutlichen Absätzen und Illustrationen von guter bis gehobener Qualität. Für meinen Geschmack hätten es allerdings ruhig mehr Illustrationen sein können, und auch das einzelne Motive wiederholt verwendet werden, gefällt mir nicht wirklich. Allerdings sehen die Handouts und Karten für die Spieler großartig aus, sodass dieses Manko nicht schwer ins Gewicht fällt.

Fazit: Horror lebt von der Ohnmacht und Ausgeliefertheit der Protagonisten. In einem Fantasy-Setting wie Aventurien, in dem die Charaktere heldenhafte Krieger oder mächtige Zauberer darstellen, wird diese Ohnmacht nur schwer auf die Heldengruppe zu übertragen sein. Freizauberische Gegner wie im ersten oder letzten Szenario lassen die Helden zwar tatsächlich chancenlos zurück, doch führt dies eher zu Unmut denn zu Angst. Um „echte“ Horrorszenarien handelt es sich bei den vier in der Anthologie „Dämmerstunden“ versammelten also weniger, vielmehr um „DSA“-Abenteuer, die mit verschiedenen Horrormotiven durchsetzt sind. Das macht die Abenteuer aber nicht schlecht: Sie sind alle gut geschrieben und weisen interessante Ideen auf. Layout und Illustrationen sind gewohnt ordentlich, das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Wer seine Gruppe schon immer einmal das gewisse „Mehr“ gruseln wollte, der wird hier sicherlich fündig.


Dämmerstunden (DSA-Abenteuer Nr. 194)
Abenteueranthologie
Muna Bering, Roman Bering, Jan Bratz, Dominic Hlader, Martin John
Ulisses Spiele 2012
ISBN: 978-3-86889-234-5
116 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 20,00

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