Complete Divine (v.3.5)

Nach „Book of Exalted Deeds“ v.3.5 und nach der 3.0-Edition „Book of Vile Darkness“ hat uns das gerade noch gefehlt. Die 3.5-Edition von Wizards of the Coast Publishing bringt mit „Complete Divine“ die göttergefälligen Helden in die Welt von „Dungeons & Dragons“.

von Jens Peter Kleinau

 

Die 192 Seiten sind wie immer optisch opulent gestaltet und wie das leidgeprüfte Auge gewohnt ist, wurde mit einer Bleimasse von Buchstaben gegen jeden Quadratzentimeter unbedruckten Papiers gekämpft. Für Illustrationen und Tempelskizzen sorgen 16 Zeichner, von denen der Münchner Franz Vohwinkel hier den größten Bekanntheitsgrad haben dürfte. Aber Grafiker wie Ron Spencer und Wayne Reynolds gehören seit Jahren zu den erfolgreichsten ihrer Zunft und haben auch hier ein Stück dazu beigetragen, dass die Optik des Buches zumindest einen Applaus verdient, selbst wenn die eine oder andere Zeichnung aus dem Recycling kommt.

David Noonan, der auch schon bei „Complete Warrior“, „Unearthed Arcana“ und „Races of Stone“ seine Feder über olle Kamellen schwingen durfte, hatte die undankbare Aufgabe, die verschiedenen Quellen zu den klerikal angehauchten Charakteren seit der ersten Ausgabe von „Dungeons & Dragons“ zu sichten, sie umzuschreiben und der 3.5-Edition regeltechnisch anzupassen. Der sehnsüchtige Klerikerspieler wird in Erwartung einer Masse neuer Materialien mehr Enttäuschung als Überraschung erleben. Doch wer seinen Kleriker von der Rolle des Feldarztes und Untotenschrecks zu einem echten Charakter aufwerten möchte, der bedrohe seinen Spielleiter mit diesem Buch des tieferen Regelwissens.

Unter einem „Offenen System“ scheint Wizards of the Coast inzwischen zu verstehen, dass man eine unendliche Anzahl von Klassen anfügen kann. Denn „Open Game Content“ ist in dem Buch nicht zu entdecken. Aber wir finden drei fast neue und recht mächtige Basisklassen. „Favored Soul“ wanderte aus dem „Miniature’s Handbook“ (Oktober 2003, ISBN 0786932813) der „Dungeons & Dragons Miniatures“ hier ein und verhält sich als Zauberer im Priestergewand. Er verwendet die Regelvariante der „spell list“, statt der vorbereiteten, eingeprägten Sprüche und im Gegensatz zu einem Kleriker hängt er keinem Glauben an, sondern favorisiert einen bestimmten Gott. Verständlich, dass er daraus ein paar Vorteile (beispielsweise eine Waffe) ziehen kann.

„Shugenja“ erinnert nicht nur vom Wortklang her an Asien, sondern auch von der Idee des Mystischen. Die Klasse stammt aus „Oriental Adventures“ (Oktober 2001, ISBN 0786920157). Dazu passend ist von Alderac Entertainment Group das Buch „Way of the Shugenja“ (Juli 2002, ISBN 1887953590) erschienen. Regeltechnisch ist die Klasse mit der „Favored Soul“ verwandt, nur muss hier ein Element festgelegt werden, das die Zauberspruchvielfalt einschränkt.

„Spirit Shaman“ ist die einzig wirklich neue der drei Klassen. Mit der Welt der Geister (spirit world) verbunden, erhält er besondere Fähigkeiten und kann entsprechende Zauber wirken, die er in seiner Meditation durch die Geister erhält. Die Klasse besitzt eine druidischen Touch, den nicht jeder mögen wird.

Selbstredend wird man in dem Buch auf eine Menge neuer Prestigeklassen treffen, die ich hier kurz aufführe, aber nicht kommentieren mag: „Black Flame Zealot“, „Blighter“, „Church Inquisitor“, „Consecrated Harrier“, „Contemplative“, „Divine Crusader“, „Divine Oracle“, „Entropomancer“, „Evangelist“, „Geomancer“, „Holy Liberator“, „Hospitaler“, „Pious Templar“, „Radiant Servant of Pelor“, „Rainbow Servant“, „Sacred Exorcist“, „Sacred Fist“, „Seeker of Misty Isle“, „Shining Blade of Heironeous“, „Stormlord“, „Temple Raider of Oldammara“, „Ur-Priest“, „Void Disciple“ und „Warpriest“. Insgesamt findet sich für jede Rasse, jede Gesinnung und jede religiöse Ausrichtung irgendeine halbwegs passende Schablone. Wie nicht anders zu erwarten, bekommen wir auch wieder magischer Gegenstände und weitere Feats, die wohl in keinem Buch mehr fehlen dürfen. Einzig interessant ist die neue Form des Relikts als magischer Gegenstand, der an eine Gottheit gebunden ist.

Eine Götter- und Monstersammlung erwartet uns schließlich auch noch. Die bekannten Gottheiten der „Greyhawk“-Welt belagern das Buch, aber auch ein paar Frischlinge bevölkern den Pantheon. Das Kapitel gehört damit für „Greyhawk“-Spieler zu den wertvollsten des Buches und für alle anderen zu überflüssigem Blei. Das Kapitel beliefert den Spieler und Spielleiter mit wesentlichem Hintergrundwissen zu den Gottheiten. Dazu erhalten wir noch weitere Konzepte, die so wichtige Fragen, wie das Leben nach dem Tod eines Charakters beantworten. Das Charakterblatt muss also nicht immer den Weg in den Mülleimer gehen. Auch über Sekten und andere klerikale Organisationen erhalten wir ein paar Informationen.

Viel Mühe hat sich die Redaktion mit den Domänen (domains) und Sprüchen (spells) gegeben. Hier werden alte Sachen aufgewärmt, korrigiert und angepasst, aber auch ein paar neue vorgeführt. Auch wenn es wieder mal eine Sammlung zu den bereits vorhandenen Sammlungen ist, sie ist recht überzeugend gelungen.

Es war sicherlich ein weiter Weg vom "Complete Priest‘s Handbook“ aus der „Advanced Dungeons & Dragons“-Edition bis zum aktuell vorliegenden Regelwerk. Doch er hat sich gelohnt. Auch wenn ich einen Index vermisse, gibt das Inhaltsverzeichnis doch genügend Nachschlagmöglichkeiten im gut strukturierten Text. Ein paar Tippfehler und fehlende Seitenangaben machen noch kein schlechtes Werk, wären aber vermeidbar gewesen. Aber an vielen Ecken beschleicht den versierten Leser das Gefühl der halbgar umgesetzten Idee, und der Anspruch der Vollständigkeit („complete“) ist nicht erfüllt. Genausowenig wie das Versprechen „A Player‘s Guide to Divine Magic for All Classes“ in dem Zusammenhang Sinn macht, wenn mit den Klassen hauptsächlich Kleriker und Druiden angesprochen werden. Als Spieler mit dem Wunsch, einen religiös motivierten Charakter darzustellen, wird man aufgrund der Unzufriedenheit mit den bisherigen Publikationen nicht um dieses Werk herumkommen. Ob man dann damit glücklich wird, ist eine andere Frage, die in vieler Hinsicht mit Geschmack an der einen oder anderen hier gut dargestellten Klasse zu tun hat.

Fazit: Handwerklich ist das Buch sicherlich in Ordnung, inhaltlich wäre hier mehr Neuware nötig gewesen, um zu überzeugen. Zwar hat nicht jeder „Defenders of the Faith“ (Mai 2001, ISBN 0786918403), „Masters of the Wild“ (Februar 2002, ISBN 0786926538), die oben genannten Bücher und die entsprechenden „Dragon“-Magazine und Downloads bei der Hand und daher ist eine Sammlung und Regelanpassung durchaus angebracht. Aber der Anteil an Recycling sollte eigentlich nicht die 50%-Marke so weit überschreiten.

Diese Rezension erschien ursprünglich bei www.x-zine.de.

Complete Divine
Quellenbuch
David Noonan
Wizards of the Coast 2004
ISBN: 0786932724
192 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 29,95

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