Claustrophobia

Der schwache Lichtschein meiner Laterne erlaubt es mir kaum, jene Zeilen zu entziffern, welche ich in genau diesem Moment niederschreibe. Eingekerkert in den uralten Katakomben unter der heiligen Stadt Neu Jerusalem, gibt es für mich und die Männer an meiner Seite wohl kein Entkommen mehr. Die Tunnel sind erfüllt von dem Gekreische und den Schatten finsterer Dämonen: hinterhältigen Troglodyten sowie noch viel größeren Schrecken, die von jenseits der Höllenpforte in unsere Welt gekommen sind. Möge Gott der Allmächtige uns beistehen ...

von Dominik Cenia

 

 

Nein, dies ist nicht der Auftakt des ersten offiziellen Ringboten-Romans (schön wäre es ja), sondern der Schauplatz von „Claustrophobia“, dem ersten eigenständigen Brettspiel aus dem „Helldorado“-Universum von Asmodee. „Helldorado“ ist ein französisches Tabletop-Spiel, dass vor allem durch seine auffälligen, teils recht bizarren Zinnminiaturen auf sich aufmerksam machen konnte. Vor einiger Zeit ist das Spiel zu dem spanischen Hersteller Cipher-Studios (bekannt durch das „Anima Tactics“-Tabletop-Spiel) gewandert und nimmt nach einer langen Pause jetzt so langsam wieder Fahrt auf. Das Brettspiel „Claustrophobia“ lässt sich allerdings völlig losgelöst von dem Tabletop-Spiel und unabhängig von irgendwelchem sonstigen Wissen über das „Helldorado“-Universum spielen.

Im Jahre 1634 hat sich durch das Massaker von Magdeburg (30 Jähriger Krieg) doch tatsächlich ein Tor zur Hölle auf Erden geöffnet. Seitdem strömen nicht nur munter Dämonen und Besessene aus der Hölle auf die Erde, sondern auch „westliche“ Völker und Sarazenen begeben sich auf heilige Kreuzzüge in die Gebiete jenseits der Höllenportale. Eines davon befindet sich unter der von verzweigten Tunneln durchzogenen Stadt Neu Jerusalem. An sich kein Problem, doch so langsam kommen die Dämonen an die Oberfläche, sodass vor allem Nachts niemand in der Stadt mehr sicher ist. Also wird es Zeit für eine Expedition in die Tiefen der Katakomben. Der heilige „Redeemer“ (engl. für „Erlöser“ – wobei das hier kein Jesus-Typ, sondern ein gepanzerter, wehrhafter Kerl mit Kriegshammer ist) soll mit seinem Gefolge (Strafgefangene und zum Tode Verurteilte, die eh nichts mehr zu verlieren haben und sich so von ihren Sünden reinwaschen können) für Ordnung sorgen.

Um es kurz zu machen: „Claustrophobia“ erinnert stark an den Games-Workshop-Klassiker „Space Hulk“. Zwei Spieler können sich hier entweder als Dämonen oder Menschen gegenseitig durch die unterirdischen Tunnel jagen. Während der Spieler der Menschen nur einen kleinen Elite-Trupp ins Feld führt, besitzt der Dämonen-Spieler einen fast unbegrenzten Vorrat an kleinen und gemeinen Troglodyten sowie eine Reihe seltener und einzigartiger weitaus mächtigerer Dämonen. In sechs unterschiedlichen Szenarien muss dabei etwa der Dämonen-Spieler verhindert, dass es den Menschen gelingt, wieder an die Oberfläche zu gelangen, oder der Menschen-Spieler muss versuchen, einen ganz speziellen Dämon zu töten, eine Höllenpforte zu schließen oder irgendein anderes spezielles Missionsziel zu erreichen. Für den Anfang bietet „Claustrophobia“ damit auf alle Fälle jede Menge Abwechslung. Weitere Missionen sollten sich mit ein wenig Einfallsreichtum auch schnell selbst gestalten lassen.

Die Spielmechanik von „Claustrophobia“ ist denkbar einfach und orientiert sich an so manchem „Dungeon Crawl“-Brettspiel-Klassiker. Zuerst bewegt der Menschen-Spieler seine Figuren und greift gegebenenfalls mit diesen in den Tunneln befindliche Dämonen an. Danach ist der Dämonen-Spieler am Zug, bringt neue Kreaturen in das Tunnelsystem, spielt Karten aus und macht Jagd auf die völlig in der Unterzahl befindlichen Menschen. So geht es abwechselnd hin und her, bis irgendwann einem Spieler das Erreichen seines Missionsziels, je nach Szenario, gelungen ist. Ein paar einfache wie auch geniale zusätzliche Mechanismen sorgen dabei jedoch dafür, dass jede Runde von reichlich Abwechslung geprägt ist. So sind die Werte der menschlichen Spielfiguren (Kampf, Bewegung, Verteidigung) von Runde zu Runde unterschiedlich. Mit einem Würfel wird zu Beginn einer Runde entschieden, welche der sechs verschiedenen „Lines of Action“ zum Einsatz kommt. Wurde ein Krieger bereits im Kampf verwundet, fehlt ihm die ein oder andere „Line of Action“ bereits, sodass es passieren kann, dass ein Würfel einem bereits „entfernten“ Werte-Block zugeordnet werden muss. In diesem Fall ist der Krieger für die folgende Runde aufgrund seiner Verwundung handlungsunfähig und kann weder bewegt werden noch kämpfen. Auch kommen auf die verschiedenen menschlichen Kämpfer unterschiedliche Aufgaben zu. So ist der „Redeemer“ zwar das Herzstück der Menschen, doch ohne seinen „Brute“ (eine Art kampfstarker Wächter) oder den flinken „Blade for Hire“ (eine Art Kundschafter) für die Dämonen leichte Beute. Dafür kann der „Redeemer“ seine Gefährten heilen oder diese mit speziellen Zauber und Artefakten unterstützen und ausrüsten.

Der Dämonen-Spieler hat neben seinen Troglodyten und einzigartigen Dämonen außerdem noch das „Board of Destiny“. Auf diesem kann er zu Beginn seines Zuges eine bestimmte Anzahl an Würfeln zuordnen, um verschiedene Effekte auszulösen. Dadurch kann er zum Beispiel neue Troglodyten ins Spiel bringen, seine Dämonen schneller und stärker machen oder Ereigniskarten ziehen. Besonders machtvolle Effekte lassen sich nur einmal pro Spiel einsetzen, während andere durch mehrere Würfel oder eine hohe Augenzahl entsprechend heftiger ausfallen. Ähnlich wie bei den Menschen weiß der Dämonen-Spieler also erst zu Beginn seines Zuges, welche Ressourcen ihm zur Verfügung stehen. Das macht, neben all den Kämpfen, das Spiel mitunter recht würfellastig, sorgt aber in jeder Runde auch fast immer für eine neue Ausgangssituation.

Ein weiteres besonderes Spielelement ist das Auslegen der „Room Tiles“. Diese werden nämlich verdeckt per Zufall von einem Stapel gezogen. Einen vorgefertigten „Dungeon Plan“ gibt es nur selten. Außerdem beinhalten einige der Räume verschiedene Sonderregeln mit klangvollen Namen wie „Hungry Tunnels“ oder „Booby-Tapped Tunnel“. Das Element des Zufalls ist dadurch recht stark vertreten. Zieht der Menschen-Spieler während seiner Bewegung eine Reihe von ungünstigen Räumen und Sackgassen, steht er schnell mit dem Rücken zur Wand. Auf der anderen Seite kann so ein Ausflug in die unterirdischen Tunnel von Neu Jerusalem zu einem wahren Spaziergang werden, wenn der Dämonen-Spieler einfach keine Zugänge für seine Monster findet oder die „Room Tiles“ ohne vorher gründlich nachzudenken auslegt.

Eine weitere Besonderheit der „Room Tiles“ besteht darin, dass von jeder Seite immer nur eine begrenzte Anzahl an Spielfiguren auf dem Feld stehen dürfen und nur die Seite in einen nebenstehenden Raum ziehen darf, die in der Überzahl ist (oder zumindest Gleichstand herrscht). Dies führt mitunter natürlich zu Problemen, denn wenn in einer 3 gegen 3 Situation (drei Dämonen und drei Menschen auf einem Feld) ein Mensch in den benachbarten Raum zieht, steht es nur noch 3 gegen 2 in dem ursprünglichen Raum, wodurch ein Weiterkommen der übrigen menschlichen Streiter verhindert wird (aber es gibt ja immer noch die Option sich den Weg zu Freizukämpfen). Dadurch ergibt sich während des Spielverlaufs immer wieder ein überaus spannendes Stellungsspiel. Bleiben die menschlichen Kämpfer in der Gruppe, kommen sie meist zu langsam voran und werden von der wachsende Masse der Dämonen irgendwann überrannt. Bewegen sie sich aber zu schnell, so reißt die Gruppe schnell auf und die isolierten und einzelnen Kämpfern sind leichte Beute für den Dämonen-Spieler.

Was die Ausstattung und das Spielmaterial angeht, so vermag „Claustrophobia“ wirklich zu beeindrucken. 36 toll illustrierte „Room Tiles“ aus stabiler Pappe, zahlreiche Spielkarten, 17 fertig bemalte Spielfiguren, zahlreiche Spielkarten und Tokens und jede Menge Würfel machen die Schachtel zu einem echten Schwergewicht im Schrank. Überraschend ist dabei die Spielzeit, die mit ca. einer Stunde pro Partie gut bemessen ist. Dank der einfachen Spielregeln und einer übersichtlichen Spielanleitung lässt sich „Claustrophobia“ damit recht zügig spielen. Hat man ein wenig Zeit, so sind zwei und vielleicht sogar drei Szenarien an einem Abend locker drin.

Abzüge, wenn überhaupt, erhält das Spiel höchstens für die etwas geringe Unterscheidbarkeit der beiden „Brute“ und „Blade for Hire“ Spielfiguren. Diese stellen nämlich mitunter verschieden ausgerüstete Kämpfer dar, sehen aber bis auf die Haarfarbe (die sich auch nur gering unterscheidet) identisch aus. Hier muss man einfach ein wenig aufpassen um unnötige Verwechslungen zu vermeiden. Tendenziell ist das ganze Spiel auch ein wenig zu sehr zu Gunsten des Dämonen-Spielers ausgelegt. Allzu viele Fehler kann man sich auf der Seite der Menschen auf alle Fälle nicht erlauben. Doch genau darin liegt wohl auch der Reiz von „Claustrophobia“.

Fazit: Die phantastische Ausstattung und die einfachen Spielregeln sowie ein schneller Spieleinstieg und eine zügige Spielbarkeit machen „Claustrophobia“ zu einem echten Geheimtipp. Für ein „Dungeon-Brettspiel“ ist das Thema vielleicht etwas ungewöhnlich, aber dadurch zumindest auch abwechslungsreicher als das zehnte „Ich hau den Ork tot“-Verlieskriechen. Durch die überschaubare Spieldauer mag „Claustrophobia“ außerdem vielleicht auch weniger abschreckend auf Spieler wirken, die mit der Materie ansonsten nicht so viel anfangen können. Obwohl das Spiel nur für zwei Spieler ausgelegt ist, lässt es sich relativ einfach auch mit mehreren Leuten spielen. Einfach die Anzahl der menschlichen Spielfiguren auf die Mitspieler verteilen und los geht’s. Und obwohl das Spiel nur sechs Szenarien enthält, kann man durch das Wechseln der Seite oder das relativ problemlose Entwickeln eigener Szenarien (das Gestalten von eigenen Tunnelsystemen entfällt dank des zufälligen Ziehen der „Room Tiles“ völlig) noch viel mehr aus der Schachtel herausholen. Alles in allem also wie gesagt ein echter Geheimtipp. Auch wenn es das Spiel bisher leider nur in englischer Sprache gibt. Vergleicht man den Preis außerdem mit so manchem gleichwertigen Fantasy-Flight-Games-Schwergewicht, ist die Überraschung perfekt.


Claustrophobia
Brettspiel für 2 Spieler
CROC, E. Beltrando, F. Frugier, u. a.
Asmodee 2009
ISBN: n.a.
Sprache: Englisch
Preis: ca. EUR 50,00

bei amazon.de bestellen