von Frank Stein
Wir schreiben das Jahr 2600, wenige Jahre nach der Gründung des Sternenbundes durch Ian Cameron. Am Silvesterabend, der das neue Jahrhundert einläutet, wird der Assistent des Generalbundesanwalts ermordet in seinem Büro aufgefunden. SBGK-Agent David Gibbs wird auf den Fall angesetzt und heftet sich auf die Fährte der vier Attentäter. Der Fall scheint simpel, doch je weiter er bei seinen Recherchen vordringt, desto seltsamer wird die Geschichte. Ist Joshua Turner wirklich das Opfer gewesen? Und wenn nein, wessen Mörder jagt Gibbs dann? Es soll mehr als vier Jahre dauern, bevor er die ganze Wahrheit erkennt.
In der Zwischenzeit ist auf oberster Regierungsebene Krisenstimmung angesagt. Der zügellose Koordinator Leonard Kurita untergräbt mit seinem Hass und seiner Paranoia das Fundament, auf dem der Sternenbund errichtet ist. Truppen stehen an der Grenze zur Terranischen Hegemonie und es scheint, als sei der Drache tatsächlich auf Krieg aus. Davor fürchtet sich auch Burton Avellar, der Präsident der Außenweltallianz, und so schmiedet er Pläne, mit gleich zwei großen Hauslords „ins Bett zu gehen“. Ein gefährliches Spiel, das nicht ohne Tote bleibt.
Wer jetzt das Gefühl hat, eigentlich zwei völlig unterschiedliche Geschichten zu lesen, der irrt nicht. Tatsächlich wirkt „Über dem Gesetz“ so, als sei er aus mehreren Geschichten zusammengesetzt, die an und für sich nichts miteinander zu tun haben. Der kleinste gemeinsame Nenner wäre vielleicht: Regierungsintrigen innerhalb der Zeit von 2599 bis 2605, wobei auf der einen Seite ein Mann steht, der einer Intrige hinterherspürt, auf der anderen Seite eine ganze Gruppe von Hauslords und Regierungsoberhäuptern, die derlei Intrigen erzeugen. Beide Handlungsstränge üben auf ihre Weise ihren Reiz aus, zusammengenommen beginnen sie allerdings, in alle Himmelsrichtungen zu zerfasern.
Auf den ersten Blick scheint die Geschichte um den Agenten David Gibbs im Zentrum von „Über dem Gesetz“ zu stehen. Man merkt, dass Diel sich hierfür mehr als nur nachhaltig von James-Bond-Filmen hat inspirieren lassen, was sich sowohl im Prolog zeigt (dem Teaser, der Gibbs wie Bond in Aktion zeigt, bevor die eigentliche Story losgeht) als auch immer wieder zwischendurch – in Taten (wie spektakulären Verfolgungsjagden) und Zitaten (wie „Erwarten Sie von mir, dass ich mich entschuldige?“ – „Nein Mr. Gibbs. Ich erwarte von Ihnen, dass sie sterben.“) – bis hin zum Epilog („Oh, David...“). Das mag zum Schmunzeln anregen – ab und zu –, irgendwie passt es allerdings nicht so ganz ins BattleTech-Universum.
Die Kehrseite ist nämlich, dass man so gerade einen einzigen der sonst so tonangebenden Mech-Kämpfe miterleben darf. Ansonsten liegt das Augenmerk voll auf unserem Klischeeagenten, der zwar immer wieder betont, dass das Leben kein Agenten-Vid ist, aber trotzdem exakt so wirkt und handelt, als sei er eben doch einem entsprungen. Zudem – und es gibt wohl kaum einen größeren Spannungskiller – verstreicht zwischen Gibbs einzelnen Stationen seiner Recherche mitunter schon mal ein ganzes Jahr, was die einzelnen Ereignisse episodenhaft wirken und daher die (Mit)Fieberkurve immer wieder abrupt absacken lässt. Unterstützt wird dies noch durch Diels neue Unart, Charaktere einzuführen und dann einfach sang- und klanglos wieder aus der Geschichte zu kicken – ich sage nur Cassie DeBurke oder Katya Day, Frauen, deren Rolle man größer erwartet hätte, wenn Gibbs tatsächlich eine Art Bond sein soll.
Mitten im Buch muss Gibbs dann plötzlich eine Spielpause einlegen und Ian Cameron, der Erste Lord des Sternenbundes, wird zum Protagonisten. Hat man diesen Bruch in der Handlung erst einmal verdaut, entspinnen sich ein paar der besten Seiten des ganzen Romans, in denen wundervolle Intrige auf höchster Ebene betrieben wird. Ein Hauch feinster BattleTech-Politik weht durch die Zeilen, wenn sich die Hauslords zum Treffen hinter verschlossenen Türen begeben und man muss schon anerkennen, das Diel auch mit Größen wie Ian Cameron durchaus gekonnt umgehen könnte, würde er sich ihnen doch nur ausschließlich widmen.
Leider bleibt auch dieser Handlungsstrang weitgehend fragmentarisch. So wird zwar der Hass Leonard Kuritas auf Cameron betont, die Armeen marschieren an den Grenzen auf, wir erleben in einem völlig isoliert stehenden Kapitel die Entführung von Kindern durch draconische Einheiten und sind Zeugen des historischen Moments, an dem Nicholas Cameron die Familie Kerensky zu „Verteidigern des Ersten Lords“ ernennt, doch all diese Ereignisse sind nur Schlaglichter, ohne wirklichen Zusammenhalt, ohne Auswirkung und ohne Abschluss. Es scheint, als hätte Diel einen Block historischer Ereignisse aus der Timeline des BattleTech-Universums herausgegriffen und sich vorgenommen, diese auszuschmücken, ganz gleich, ob sie in einem Zusammenhang stehen oder möglicherweise nur zufällig zeitnah beieinander liegen. Dabei schreckt er nicht davor zurück, zwei bislang als mehr oder minder natürlich eingetreten beschriebene Tode in der ansonsten langen Liste aus Morden und Selbstmorden plötzlich auch in Mordfälle umzumünzen. Man mag sich streiten, ob daraus für BattleTech-Veteranen eine Art „Oho“-Effekt erwächst oder ob diese der Bruch mit dem bisherigen „Kanon“ einfach nur ärgert.
Alles in allem vermisst man die sichere Hand, die dem Roman die gleiche Geschlossenheit verleiht, die „Wahnsinn und Methode“ zu einem so schnellen, kleinen, coolen BattleTech-Roman machte. Vielmehr hat man das Gefühl, Diel habe im Grunde einen James-Bond-im-BattleTech-Universum-Roman schreiben wollen, sei dann aber von dem Gefühl – oder einem Redakteur – beschlichen worden, das sei doch ein wenig zu unspektakulär, habe danach ein paar willkürliche Highlights aus der Timeline um das Jahr 2600 gegriffen und schließlich versucht, Story A vor dem politischen Hintergrund von Story B spielen zu lassen, wobei sich allerdings Story B um Story A bestenfalls in einem Nebensatz schert und Story A von Story B eigentlich überhaupt nix mitbekommt. Das angestrebte Crossover aus Agentenkracher und Politthriller bleibt bei dem Versuch. Vielleicht muss man doch in einer höheren Liga spielen (respektvolles Nicken in Richtung Tom Clancy), um den Spagat zwischen Feldagent und „Oval Office“ elegant hinzubekommen.
Fazit: „Über dem Gesetz“ stellt den ambitionierten Versuch Michael Diels dar, einen Brückenschlag zwischen Legislative und Exekutive im BattleTech-Universum, soll heißen ein paar Feldagenten links und den Hauslords rechts, zu vollbringen. Leider laufen die diversen Handlungen dabei fast durchweg parallel nebeneinander her und stehlen sich zudem gegenseitig wertvolle Manuskriptseiten, sodass die ganze Geschichte, obschon stellenweise sehr atmosphärisch geschrieben, insgesamt fragmentarisch und unbefriedigend bleibt. Schade nach dem schwungvollen Einstieg mit „Wahnsinn und Methode“. Mein Tipp: Beim nächsten Mal vielleicht wieder etwas stärker auf ein Ziel konzentrieren.
Über dem Gesetz (Classic BattleTech-Roman Nr. 4)
Rollenspiel-Roman
Michael Diel
Fantasy Productions 2005
ISBN: 3-89064-517-8
347 S., Taschenbuch, deutsch
Preis: EUR 9,00
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