Circle of the Crone

Der Circle of the Crone ist der wahrscheinlich mysteriöseste und verschlossenste der Bund der Vampire in „Vampire: The Requiem“. Als eine lose Vereinigung heidnischer Kulte hat der Bund dann doch genug vereinigende Faktoren, um ihn als eine Entität wahrzunehmen – nicht zuletzt das Durchführen dämonischer Rituale und die Anwendung von Cruác, der Blutmagie. Nun hat White Wolf auch für diesen Bund ein dickes Quellenbuch veröffentlich.

von Nicolas Hohmann

 

Ein weiteres Quellenbuch für „Vampire: The Requiem“, das einen Bundsehr detailliert betrachtet und unser Spiel bereichern soll. 220 Seiten stark ist das Buch und natürlich kommt es in einem festen Einband daher. Die Abbildung der Titelseite ist, wie ich finde, weniger gelungen, auch wenn das Thema heidnischer Kulte durch Dolch, Kelch und Schweinekopf sehr gut portiert wird. Der innere Aufbau folgt dem bekannten Schema: Zunächst eine einleitende Kurzgeschichte, eine kurze Einführung und ein Überblick über den Inhalt. Anschließend wird die Geschichte des Circles beleuchtet, eine Abhandlung über die inneren Stukturen und Machenschaften des Bundes geliefert und dann folgt ein Kapitel über die Verstrickungen und Interaktionen mit der Außenwelt und den anderen Bünden. Anschließend gibt es eine Beschreibung eines guten Dutzend Fraktionen und Blutlinien, bevor man sich neue Cruác-Rituale und Disziplinen zu Gemüte führen darf. Zum Schluss werden einem für die eigene Chronik noch viele neue NSC an die Hand gegeben.

Die Kurzgeschichte, die wohl zum Motto hatte, möglichst viele Verbalinjurien auf möglichst wenig Seiten zu verteilen, will ich hier, genauso wie die Einleitung, mal überspringen und mich gleich dem Kapitel über die Geschichte des „Circle of the Crone“ widmen. Dort findet man zunächst den Schöpfungsmythos der Vampire durch die „Crone“ (engl. für „altes Weib“), der wohl eher eine Metapher für alle in der Weltgeschichte angebeteten heidnischen Götter darstellt. Kerninhalt aller Kulte, die in diesem Bund zusammengefasst sind, ist nämlich die Akzeptanz des Vampirs als Bestandteil der natürlichen Welt und eine positive Einstellung zu diesem Zustand, womit der Bund im Gegensatz zur „Lancea Sancta“ und „Invictus“ steht, welche das Vampirsein eher als schuldbeladen und als Strafe ansehen.

Gleichzeitig sind die Akolythen des Kreises von den judeo-christlichen Moralvorstellungen und Normen losgelöst und leben ihre Spiritualität in heidnischen Kulten und Ritualen aus, die je nach Ort sehr unterschiedlich geprägt sein können. Da sich diese Kulte je nach Ort stark unterscheiden, ist es auch gar nicht möglich, eine einheitliche Geschichte zu schreiben. Stattdessen haben die Autoren lieber generelle Muster, wie Kulte entstehen und welches Schicksal sie im Laufe der Jahre erleiden, beschrieben. So kann ein neuer Kult zum Beispiel dadurch entstehen, dass ein Vampir nun plötzlich inspiriert und erleuchtet wird und eine neue populäre Lehre gründet oder eben durch Rekonstruktion alter Lehren, die kürzlich wiederentdeckt wurden. Leider ist das ganze Kapitel somit sehr unspezifisch gehalten und gibt eher Hinweise, worauf man achten sollte, anstatt konkretes Spielmaterial zu liefern.

Das zweite Kapitel „Unlife in the Circle of Crone“ befasst sich mit dem Aufbau und den Grundsätzen des Bundes. Die relevanten und für das Spiel interessanteren Fakten nehmen leider nur wenige Seiten ein. Es ist schon von Interesse zu wissen, was ein Akolyth vom Torpor und dem Vinculum hält, wie Mitglieder des Kreises Golconda bewerten und welche spezielle und von den anderen Konventen sehr unterschiedliche Sichtweise sie zum inneren Biest haben. Auch ist es ganz gut zu wissen, dass Kulte dazu tendieren, sich eine Zuflucht zu teilen, was mit Vor- und Nachteilen behaftet ist.

Zuviel Wert wurde in diesem Kapitel aber auf verschiedene Rollen gelegt, die man innerhalb des Kreises einnehmen kann. Hier wurden ausgearbeitete, ritualisierte Rollenmuster katalogisiert, die manche Akolythen annehmen. Es ist nicht besonders spannend zu lesen und entbehrt für mich in dieser Form auch an Relevanz für eine Chronik. Gut hingegen sind die ebenfalls sehr detailliert ausgearbeiteten heidnischen Rituale und Feste, auch wenn es nicht geschadet hätte, nicht ganz so ausführlich zu sein. Hier bekommt man dargelegt, wie Akolythen die Wintersonnenwende oder die Walpurgisnacht feiern.

Durchaus amüsant ist die dunkle Hochzeit zwischen zwei Vampiren, von denen dann tatsächlich ein zweisames Unleben für die Ewigkeit erwartet wird sowie die Todesnacht (als Umkehrung des Geburtstages), zu dem die besten Freunde des Vampirs kommen und sich Gegenstände von ihm mitnehmen dürfen. In dem Weltbild des Kreises spielt das Loslassen und das unbewusst seiner selbst bewusst werden eine große Rolle, da es als natürlicher Zustand angesehen wird. Diese Kraft des Unterbewussten und der spirituelle Weg dorthin werden ebenfalls besprochen. Alles in allem ein Flickenteppich an Informationen mit schwankender Qualität.

„The Circle of the Crone and the Danse Macabre“ widmet sich den Verstickungen zwischen dem Zirkel und der restlichen Welt – sterblich und untot. Zunächst wird sehr genau auf die Frage eingegangen, wie ein Vampir nun zu einem Akolythen wird. Welche Prüfungen muss er auf sich nehmen und welche Opfer erbringen, bevor man ihm die Geheimnisse anvertraut und ihn Cruác lehrt? Politik ist ein zweites großes Thema des Kapitels. Ein Bund wie der „Circle of the Crone“ ist weniger für seine weltumspannenden Intrigen und sein Bewußtsein für politische Macht bekannt. Bei seinen Mitgliedern handelt sich vielmehr um einsiedlerische Kulte am Rande der Vampirgesellschaft mit einem seltsamen bis erschreckenden Weltbild. Und oftmals werden diese Kulte, wie damals die heidnischen Kulte, die von der katholischen Kirche gejagt und vernichtet wurden, von der Lancea Sancta zum Feind erklärt und ausgerottet. Es liegt also im eigensten Interesse des Kreises, sich eine Machtbasis zu schaffen und zu bewahren. Die speziellen Methoden werden hier eindrücklich erläutert. Dieses Kapitel stellt, wie es auch bei den anderen Quellenbüchern zu Bünden der Fall ist, eher eine Ergänzung zum vorangegangenen Kapitel dar.

„Factions and Bloodlines“ bietet uns genau das: acht Fraktionen des Bundes, fünf neue Blutlinien und eine neue Ghulfamilie. Für den, der noch nicht genug Differenzierung an Gruppen und Subgruppen in seinem Spiel hat. Nein, ganz ehrlich, einige der Ideen sind echt nett, aber ich frage mich an dieser Stelle immer, wie weit ich mein Spiel und die Grundsätze der Hauptfraktionen noch weiter herunterbrechen und spezialisieren muss. Manchmal habe ich auch echte Probleme, den eigentlichen Bund in den Fraktionen zu erkennen, und die Blutlinien leiten sich eh von den Clans ab und sind somit vom Bund losgelöst, auch wenn manchmal einer nahliegend ist. Sei es drum, was bietet uns das Kapitel an harten Fakten?
Neue Fraktionen:

  • People of the Land: Darwinisten, die das Prinzip von Jäger und Beute auf Mensch und Vampir übertragen. Als Teil des natürlichen Zyklus sorgen sie dafür, dass ihre Beute sich nicht über die Maßen vermehrt.
  • The Second Descent: In Anlehnung an die akkadische Legende „Inannas Abstieg in die Unterwelt“ wird der Kuss zum Vampir als zweiter Abstieg wahrgenommen – in die Unterwelt. Diese ist aber keine Hölle im judeo-christlichen Sinne sondern eine andere Wahrnehmungsebene.
  • The Hag: Wer im Torpor liegt, kann manchmal sehr lebhafte Albträume erfahren, die als Besuch der Hexe bezeichnet werden. Diese Vampire suchen nach dieser Erfahrung und messen ihr eine höhere Bedeutung zu.
  • The Disciples of Silence: Die Nihilisten unter den Kultmitgliedern. Stille wird hier mit Nichts gleichgesetzt und die Suche nach dem ursprünglichen Zustand des Seins ohne Bewusstsein spielt eine zentrale Rolle.
  • Sipan: Südamerikanische Hexen und ihre Kulte, welche einen offenen Krieg gegen die Lancea Sancta und den Invictus führen.
  • Amanot Sukai: Japanische Kulte, die einen Sonnengott anbeten.
  • Daughters of the Goddess: Sie beten die Göttin an, welche für Menschen und Vampire da ist. Sie streben nach Einigung zwischen beiden Spezies und haben manchmal ein Problem mit der Maskerade.
  • Semioticians: Diese Vampire glauben nicht an die „Crone“, sondern an die Macht von Cruác direkt. Scheinbar funktioniert es auch so.

An neuen Blutlinien haben wir:

  • Asnam: Arabische Egozentriker, die sich selbst anbeten lassen. Die neue Disziplin Ralab erlaubt es ihnen, Kraft aus ihren Anbetern zu ziehen.
  • Carnon: Die gehörnten Götter wurden von einem Rocker im Drogenrausch gegründet, nachdem er zu viel über Wicca-Hexen gelesen hat. Keine neue Disziplin.
  • Childer of the Morrigan: Ansammlung alter Kriegsherren, die für den ehrenhaften Kampf einstehen und Probleme mit der modernen Kriegsführung haben. Keine neue Disziplin.
  • Gorgon: Auch die Medusen genannt, die Blutlinie lässt sich bis weit ins antike Griechenland nachverfolgen. Ihre Disziplin Amphivena lässt sie langsam zu schlangenartigen Wesen werden.
  • The Mara: Diese Blutlinie betet still eine Wassergöttin an – eine wilde Mischung griechischer, germanischer und keltischer Legenden. Keine neue Disziplin.

Kapitel 5 „Rituals and Disciplins“ führt die zwei neuen Disziplinen Amphivena und Ralab ein und liefert uns darüber hinaus noch eine Menge neuer Rituale für Cruác-Blutmagie. Des Weiteren wird Cruác metaphysisch ausgebaut, man erfährt also ein bisschen was über die Hintergründe, wie es gelernt und gelehrt wird und wie man neue Rituale erschafft. Durchaus nützliche Informationen und so manch ein Spieler oder Erzähler wird sich über das eine oder andere gemeine Ritual freuen.

Im Anhang werden uns 13 NSC im gewohnten Format präsentiert.

Fazit: Mal wieder ein typisches Bund-Quellenbuch, es hat einfach zu viele Seiten und die wirklich für das Spiel relevanten und nützlichen Infos werden in einem Meer von eher Uninteressantem ertränkt. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ein Buch zu allen fünf Bünden die bessere Wahl gewesen wäre. Knackig und gebündelt, ein notwendiges und vernünftiges Maß an Details. Mit 220 Seiten pro Bund ist man erschlagen und zudem wird man keine fünf Bücher zu einer Rollenspielsitzung mitnehmen. Man ist also an seine Bibliothek gefesselt oder greift im Spiel nur selten zu den Büchern. Man muss es sich also gut überlegen, ob man Bundbücher in sein Spiel integrieren will. Will man dies, so bietet „Circle of Crone“ gewohnte Qualität in Sachen Layout, Verarbeitung und Textinhalt. „Circle of Crone“ ist sicherlich schwächer als „Invictus“, schlägt in Punkten Innovation und Ideen aber „The Carthians“. Kann man kaufen, muss man aber nicht.


Circle of Crone
Quellenbuch
David Chart, Ray Fawkes, Greg Stolze, Chuck Wendig, Will Hindmarch
White Wolf 2006
ISBN: 1588462633
220 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 31,99

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