Chroniken des Wahns – Blutwerk

„Wenn man nur stark genug an etwas glaubt, wird es wahr.“ – Unter dieser Prämisse betreten die Leser die Welt der Wahnwirker, Täuscher und Besessenen. Es geht um den Aufstieg eines Menschen zu einem Gott, der dann manipuliert werden kann, um die Weltenordnung zu zerstören.

von Lars Jeske

(Dehr Author)

Selbstverständlich ist Fantasy nicht gleich Fantasy. Keine zwei Romane sind genau gleich, denn dann wäre einer überflüssig. Aber dann gibt es ab und zu Ansätze, die man noch nicht gelesen hat – vermutlich sogar egal wie viel man schon „gesehen“ und miterlebt hat. Bei dem Debütroman von Michael R. Fletcher namens „Blutwerk“ ging es mir so. Bastei Lübbe hat sich für ein Neulingswerk auf einem glücklicherweise stetig bearbeitetem Felde der Fantasy-Neuerscheinungen quasi umgehend die Rechte gesichert und bringt den Auftakt der „Chroniken des Wahns“ knapp ein Jahr nach dem im Original „Beyond Redemption“ benannten Werk heraus. Nach ein paar Kurzgeschichten des Kanadiers ist dieser knapp 600 Seiten starke Wälzer sein Debüt in der Romanwelt – und was für eine Welt er erschaffen hat.

(El Inhouldt)

Der Klappentext wird dem Inhalt nicht gerecht. Es steht dort zwar nichts Konkretes über den Inhalt, jedoch ist der lustig-saloppe Tonfall nichts, was sich im Buch wiederfindet. Eher ist man schnell betroffen und verstört, erst Recht mit der geschürten (falschen) Erwartungshaltung, etwas im Sinne von Terry Pratchett vorgesetzt zu bekommen.

In Fantasy-Romanen macht man immer wieder gern irgendetwas mit Göttern. Sie töten, jagen, erniedrigen oder sonstwie vom Antlitz der Welt und Erinnerung zu tilgen (vgl. „Schattenkrieger“ oder „Thron in Flammen“). In „Blutwerk“ geht einer der Protagonisten sogar noch einen Schritt weiter. Ethenor der Geweihte, Hohepriester der Geborenen, richtet sein Leben darauf aus, einen neuen Gott zu erschaffen. Die alten sind schon lange nicht mehr gesehen und was liegt da näher, als einen neuen Mythos um eine Person aufzubauen und diese dann aufsteigen zu lassen. Noch interessanter ist dies selbstverständlich, wenn man den Personenkult lenken kann und es die eherne Regel gibt, dass diejenigen, denen man das Leben nahm, einem im Todseits gehorchen müssen.

Nun, als alter Mann, ist Ethenor fast am Ziel. Auch der junge Morgan wurde von ihm nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit herangezogen, um nicht zu sagen gezüchtet, um genau diesem Ziel geopfert zu werden. Aber nicht das Alter setzt Ethenor am meisten zu. Seine Zeit verrinnt aus dem Grunde, da er als „Wahnmehrer“ seine Aspekte (abgespaltene Fragmente seiner Persönlichkeit, die sich materiell manifestiert haben) kaum noch unter Kontrolle hat. Duldsam, Furcht und Verlassen erschuf er durch seine Fähigkeit, doch neben dem praktischen Nutzen der Reflexion steigern sie auch seinen Wahn.

Ihm und seinen Getreuen und Verbündeten gegenüber gibt es unter anderem den Versklaver Puck. Dessen Kraft ist es, allein durch das Wort die Menschen in seiner Umgebung zu unterwerfen und sie zu seinen hirnlosen Werkzeugen verkommen zu lassen. Als er etwas nach der Hälfte des Romans von dem Gotteskind erfährt, will er diesem einen Besuch abstatten …

Jedoch ist die Welt nicht total verdorben. Durch die gesamte Geschichte zieht sich als roter Faden der Streifzug eines ungleichen Trios. Der abgehalfterte Kämpfer Deckard, Argos, seines Zeichens der (selbsternannte) größte Schwertkämpfer der Welt und die hinterhältige Rafferin Robyn hatten sich nicht gesucht, aber gefunden. Sie sind trotz sehr unterschiedlicher Gesinnungen und unterdrückter Feindschaft in dieser Welt aufeinander angewiesen, soll heißen, zusammen gelingt es ihnen besser dazustehen als alleine. In Ermangelung echter Sympathieträger in diesem Roman sind diese drei ansatzweise so etwas wie die Guten. Aber eben keine charismatischen, glorifizierbaren Helden, denen man die Daumen drückt, dass es ein Happy End gibt.

Das ist in diesem Landen jedoch auch sowieso verloren. Ein ideelles Versatzstück mit dem der Autor spielt. Sprachlich ist es aber dennoch eher etwas, was in der Musik unter „Explizite Lyrik“ fallen würde. Den gesamten Roman über geht es sehr hart, direkt, dreckig und mit Schimpfwörtern durchdrungen zu. Von moralischen Dilemma ganz zu schweigen, ebenso werden die falschen ethischen Grundsätze inthronisiert. Somit ist das Buch nicht für Kinder gedacht oder empfehlenswert, die Charaktere dadurch jedoch plastischer und deren Welt und Situation greifbarer, wenn nicht sogar abstoßend eklig.

(My Meyhnung)

Für ein Debüt ist es eine schöne Geschichte und ein zwar nicht innovativer, zumindest jedoch ungewöhnlicher Weltenentwurf mit diesen Gedankenkräften. Inhaltlich also eine überzeugende Variante der Inversion von „Des Kaisers neue Kleider“ – oder ist es das Übertreiben von Kants kategorischem Imperativ bei der Inklusion der Welt? Auf alle Fälle ist es eine überwiegend kurzweilige Geschichte in einer Welt, die sehr verbittert daherkommt und die Marktwirtschaft schon lange hinter sich gelassen hat. Schön zu erkennen sind ein paar der Merkmale, die sich vornehmlich bei einem der ersten Werke eines Autors wiederfinden lassen und nicht zwangsläufig als Manko gelten. Es gibt eine übersichtliche Anzahl an Handlungssträngen, wodurch auch die Anzahl der erschaffenen Charaktere beherrschbar bleibt und der Autor die Kontrolle behält.

Ungewöhnlich ist, dass widersprüchliche und gegensätzliche Charaktere in einer Gruppe zusammenarbeiten müssen. Ein kleines Manko ist bei dieser Art der Geschichte der allwissende Erzähler, der auch die Perspektive wechseln kann. Dadurch werden dem Leser die Gedanken aller wichtigen Personen einfacherweise direkt mitgeteilt, dadurch hat dieser wiederum jedoch einen Wissensvorsprung gegenüber jedem Charakter im Buch und wird zum Außenstehenden. Dies reduziert natürlich den Überraschungseffekt beim Leser im Verlauf der Handlung. Gestört haben mich im Prinzip lediglich die immer wieder aufkommenden inhaltlichen Wiederholungen.

Da die Geschichte an einigen Punkten offengelassen wurde und auch das Todseits als zukünftige zentrale Stelle einer Fortsetzung schon anklingen lassen wurde, kann man sich darauf freuen, unter Umständen eine endgültige Auflösung zu erfahren.

(Exkursus Appendicus)

Ein Vorwort des Autors ist häufiger anzutreffen. Dass es bei „Blutwerk“ auch ein Vorwort des Übersetzers André Taggeselle gibt, nimmt einem die Selbstverständlichkeit, dass es einfach ist, jeden Roman zu übersetzen. Erst hier wird dem Leser nämlich richtig bewusst (gemacht), dass der kanadische Autor extra an das Deutsche angelehnte Bezeichnungen für die Orte und Personen gewählt hatte. Diese Intention geht natürlich verloren, wenn alles drum herum jetzt auch deutsch geschrieben ist. Somit wurden für fast alles neue Namen gewählt und als Exkurs auch die Herleitung angeführt. Da hätte es sich der Übersetzer auch leichter machen können – tat er aber nicht, um den Charakter des Romans zu bewahren. „Bedeckt Imblut“ wurde zu Deckard, andere wurde vorrangig ‚eingeenglischt‘. „Erbrechen Gedanken“ wurde beispielsweise zu Puck oder „Stehlen Siealles“ heißt in der Übersetzung Robyn. – Klingt so herum cooler als „John Schnee“ oder „Königsmund“.

Fazit: „Chroniken des Wahns – Blutwerk“ ist ein gelungenes Romandebüt von Michael R. Fletcher. Ein ungewöhnlicher Plot hält den Leser gebannt und lässt ihn die Abgründe dieser Welt der Gedankenkontrolleure kennenlernen. Der Teaser „Nichts für zarte Gemüter“ ist jedoch Programm und die Welt dreckig, elend und in harten Sprachbildern beschrieben. Interessanterweise kann man den Roman nahezu als abgeschlossenes Werk hinnehmen, wenngleich eine Fortsetzung überaus wünschenswert wäre.


Chroniken des Wahns – Blutwerk
Fantasy-Roman
Michael R. Fletcher
Bastei Lübbe 2017
ISBN: 978-3-404-20863-0
600 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 15,00

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