Britannia

Die Welt ist ein Dorf, manchmal auch eine Insel. Umso mehr bei „Britannia“, da der Spielplan das nunmehr Vereinigte Königreich ist. Dass es dort bis vor 1000 Jahren viel kriegerischer zuging, beweist dieses historisch fundierte Strategiespiel schon auf dem Cover. Die Völker Britanniens werden von 4 Spielern gelenkt und sind dabei umso erfolgreicher, je eher sie der Geschichte treu bleiben.

von Lars Jeske

 

„Britannia – Aufstieg und Fall der Völker Britanniens“ ist die 2008 auch auf Deutsch erschienene Neuauflage eines zum Klassiker avancierten Spieles von 1986. Für die überarbeitete Auflage hat dessen ursprünglicher Entwickler Lewis E. Pulsipher noch einmal die Regeln überarbeitet und alles wurde graphisch aufgewertet. Heraus kam ein gut funktionierendes spielerisches Schwergewicht.

Die Aufmachung

Der auch physisch schwere Karton enthält zuallererst einen großen Spielplan. Diese Landkarte besteht dabei aus 37 Gebieten, deren Zugehörigkeit zu England (20), Schottland (10) oder Wales (7) vor allem bei Wertungen wichtig wird. Das übrige Spielmaterial sind jede Menge Pappmarker für die Einheiten der verschiedenen Völker und die Siegpunkte, Völkerübersichtskarten und 5 Würfel. All das reicht, um sich die nächsten 3+ Stunden strategische Gedanken über geeignete Siedlungsflecken seiner Völker zu machen und dabei durch das Erreichen individueller Missionsziele die meisten Siegpunkte zu sammeln. (Anmerkung: Zuerst war ich enttäuscht, dass die Einheitenmarker nur aus Pappe sind und keine modellierten Plastikfiguren. Jedoch zeigt sich im Spiel schnell, dass diese der Übersicht abträglich wären. Es ist vor allem als Anfänger schon schwer genug alles genau zu planen und die Gebiete zu finden. Da sollte man sich nicht zusätzlich dadurch verwirren lassen müssen, die Einheiten nicht auseinanderhalten zu können.)

Ein bisschen Regelkunde muss sein

Bevor es losgeht muss man – wie bei Spielen dieser Art und Komplexität üblich – die Anleitung gelesen, nein, sogar studiert und im günstigsten Fall verinnerlicht haben. Die 24 Seiten sind verständlich verfasst und folgen einer inneren Logik, welche jedoch nicht immer nachvollziehbar ist. Nebenbei vermittelt die Anleitung in groben Umrissen sogar historisches Wissen. Das Heft ist mit reichlich Beispielen und Bildern versehen, sodass im Prinzip nichts mehr schief gehen kann. Jedoch merkt man schnell, wie komplex die abzubildende Geschichte ist. Selbst Spieler ähnlich gelagerter Monster wie „Arkham Horror“, „Warrior Knights“ oder „World of Warcraft“ können sich da noch überraschen lassen. Sogar in „Caylus“ (2005 mit dem Sonderpreis „Komplexes Spiel“ ausgezeichnet) ist der Einstieg einfacher.

Dabei sind die Grundregeln relativ einfach. Um jedoch die historische Entwicklung auf der Insel möglichst exakt nachzuzeichnen, gibt es nicht nur viele Spielregeln, sondern man geizt auch nicht mit Ausnahmen. Vor allem die Römer nehmen eine Sonderrolle mit vielen Vorteilen ein. Somit ist die Einstiegshürde recht hoch. Neben den enthaltenen und überaus brauchbaren Anfängertipps wäre daher noch eine Kurzübersicht sinnvoll gewesen.

Das Spielprinzip

Hat man die Regeln aber erst einmal intus, kommt man überraschenderweise relativ schnell in das Spiel rein, und es läuft auch zunehmend flüssiger. Die 4 Spieler übernehmen die 17 Völker (etwa Römer, Angeln und Sachsen), welche zu verschiedenen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Zielen ihren Fuß auf die britische Insel setzten. Die meisten Siegpunkte erhalten die Spieler dabei generell durch das Kontrollieren oder Besetzen von Gebieten, jedoch gibt es auch andere Möglichkeit Siegpunkte zu erhalten. Bestimmte Einheiten zu schlagen, oder sich als Bretwalda/König über England ausrufen zu lassen steht allen offen, die Römer haben noch zusätzliche Möglichkeiten.

Es werden 16 Runden gespielt, jeweils in 5 Phasen unterteilt. Das Besondere hierbei ist, dass nicht die Spieler nacheinander ihren Zug durchführen, sondern es eine bestimmte Abfolge für die Völker gibt. Dieses kommt der persönlichen Downtime zugute.

Die Phasen einer Runde sind dabei eindeutig und zumeist schnell abgehandelt. Wie bei typischen Eroberungsspielen gibt es zuerst den Einheitennachschub (abhängig von der Anzahl im Moment gehaltener Gebiete) und dann treten gegebenenfalls besondere Ereignisse für dieses Volk in der Runde ein (Boote, Plünderer, Anführer, Große Invasion). Nachdem die Einheiten bewegt werden, kommt es mitunter zu Kämpfen, und anschließend wird einer möglichen Überbevölkerung Rechnung getragen. Dann ist auch schon das nächste Volk an der Reihe. Ab und an gibt es eine Wertungsrunde, das war es schon.

Neben den allgemeingültigen und grundlegenden Standardregeln gibt es wie erwähnt jedoch immer wieder zahlreiche Sonderfälle, wenn wichtige historische Momente stattfinden. Immerhin beträgt der Zeitrahmen des Spiels über 1000 Jahre. Wichtig sind dabei vor allem der Abzug der Römer aus Britannien, der Limes, Unterwerfungen bestimmter Völker oder besondere Verstärkungen. Dafür kann man jedoch getrost auf das Regelwerk zurückgreifen, in welchem alles genau beschrieben ist. Auch dadurch wird das Spiel komplex, jedoch nicht unnötig kompliziert, wodurch eine enorme Spieltiefe geschaffen wird.

Der Reiz des Spieles

„Britannia“ ist in dem Sinne einzigartig, als dass jeder Spieler die Geschicke mehrerer Völker lenkt, welche nacheinander historisch so korrekt wie möglich ins Geschehen eingreifen. Diese haben immer ihre eigenen Missionsziele. Römer wollen ganz Britannien beherrschen und Forts bauen, während Iren oder Pikten Punkte für das Zerstören der Forts bekommen. Dadurch muss man deren Ziele nicht nur untereinander, sondern auch gegenüber den anderen Spielern optimieren. Dafür sollte man sich vorher mit all seinen Völkern vertraut machen, um sich nicht später selbst zu behindern. Man muss somit nicht nur Vorausplanen können, sondern sich auch schnell an Strategien der Gegner anpassen. So ergibt sich eine hohe Komplexität und mannigfaltige Expansionsentscheidungen müssen immer wieder neu überdacht und getroffen werden. Die tatsächlichen Begebenheiten in Britannien geben dabei nur grob die Richtung vor. What-If-Szenarien bleiben somit möglich, und jeder hat die Gelegenheit, die Geschichte neu zu schreiben, wodurch jedes Spiel anders verläuft.

Prinzipiell steht es jedem Volk jederzeit offen sich zu verhalten wie es will. Um als Spieler (nicht als Volk) das Spiel für sich zu entscheiden, sollte man sich jedoch dicht an die tatsächliche Geschichte halten. Dafür gibt es, wie auf den Völkerkarten vermerkt, die meisten Punkte. Diese sind quasi die Missionskarten. Natürlich können sich beispielsweise die Waliser bis ins von Schotten bevölkerte Skye durchschlagen, ihre wahre Heimat rund um Gwynedd zu halten, bringt jedoch mehr Siegpunkte ein.

Ebenso ist es faszinierend zu beobachten, wie unterschiedlich sich die 4 Spieler (respektive deren Völker) spielen. Das Spielgeschehen verlagert sich, und jede Farbe dominiert einmal die Landkarte. Während die Römer zu Beginn ihre Blütezeit haben, erstarken später die Sachsen, nachdem sie die Romano-Briten von der Landkarte fegten. Sind dann die Sachsen noch im Kampf um die Vormachtstellung mit den Angeln verstrickt, erscheinen mit den Dänen schon neue Eroberer, die entscheidend eingreifen können. Einige Völker starten also erst spät, während andere frühzeitig sehen müssen, wo sie bleiben. Demzufolge sammeln einige Spieler sehr früh Siegpunkt, andere erst am Ende, sodass man nie sicher sein kann, für wen es am Ende reicht. Auch dadurch lohnen sich Kooperationen der Spieler untereinander nicht besonders.

Zudem ist „Britannia“ keine Materialschlacht. Man bekommt nicht unendlich viele Einheiten pro Runde (wie am Ende von „Risiko“), also ist eine geschickte Planung im Vorfeld nötig (eingedenk von Verstärkungs-, Material- und Überbevölkerungslimit). Aber selbst wenn man einmal schlecht mit den Einheiten wirtschaftet, bekommt man oft neue an die Hand (jeder spielt 4-5 Völker), mit denen man anders agieren könnte.

Das Spiel gewinnen wird zumeist derjenige, der die Stärken seiner Völker erkennt und geschickt miteinander kombinieren kann. Jedes Volk hat seine Stärken und Schwächen, dennoch hat jeder Spieler die gleichen Chancen, mit der vorgegebenen Kombination zu gewinnen, da die Verteilung trotz allem sehr ausgeglichen gelungen ist. Ein Volk im richtigen Moment für eines seiner anderen zu opfern (oder eben nicht) kann mitunter dem Spiel die entscheidende Wendung geben. Nichtsdestotrotz gibt es neben der ganzen Strategie auch Glück im Spiel. Dieses kommt bei dem Austragen der Kämpfe zur Geltung, wobei man zumeist mit einer 5 oder 6 trifft beziehungsweise getroffen wird. Obwohl es somit immens wichtig ist, Kämpfe für sich zu entscheiden, immerhin ist es ein Eroberungsspiel, kann man das persönliche Würfelpech auch mit der richtigen Taktik minimieren.

4 Spieler sollten es sein

Einziger Haken an dem Spiel ist die statische Spielerzahl, trotz der Packungsangabe von 3-5. Optimal ist „Britannia“ für 4 Spieler, da es grundlegend dafür ausgelegt ist und die Einheiten in 4 Farben daherkommen. Die Varianten für 3 oder 5 sind allenfalls Hilfskonstruktionen, welche im ungünstigsten Fall sogar unausgewogen sind. Zusätzlich stören dann womöglich die „falschen Farben“, was vor allem Neueinsteiger irritieren dürfte. Ebenso sind die Startaufstellungen nicht immer korrekt niedergeschrieben. Allein die 2-Spieler-Option mit den angegebenen Szenarien ist eine interessante Variante für Zwischendurch oder als Einstieg in die Welt von „Britannia“ geeignet und dadurch empfehlenswert.

Fazit: „Britannia“ ist ein toll ausgeklügeltes, überaus anspruchsvolles, zeitlich intensives Eroberungsspiel mit einer hohen Spieltiefe. Für Strategen, die sich für die Geschichte der britischen Inseln vor dem Vereinigten Königreich interessieren, ist „Britannia“ ohnehin ein Pflichtkauf. Bemerkenswerte und unterhaltsame Geschichtsstunden live und in Farbe. Liebhaber von Spielen mit komplex konzipierten Regeln, aber einem leichten Spielfluss, werden auch voll auf ihre Kosten kommen, zumal einem alle taktischen Möglichkeiten erst nach und nach deutlich werden. Besonders empfehlenswert für 4 Eroberer.


Britannia
Brettspiel für 2 bis 5 Spieler
Lewis E. Pulsipher
Fantasy Flight Games/Heidelberger Spieleverlag 2008
ISBN: 4-015566-010475
1 Spielplan, 17 Völkerkarten, 443 Marker, 5 Würfel, 1 Regelheft, deutsch
Preis: EUR 39,95

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