Blut aus Silber

Was geschieht normalerweise, wenn das letzte Kapitel eines Heldenepos geschrieben ist? „Blut aus Silber“ beginnt 20 Jahr später, rollt die Ereignisse auf und lässt die Königin von einst noch einmal ein letztes Abenteuer bestehen, welches so ganz anders ist, als gängige Heldensagen.

von Lars Jeske

Marketingtechnisch wurde alles richtig gemacht. Ein bekannter Autor schreibt seinen ersten Fantasy-Roman unter einem Pseudonym. Und um es vorwegzunehmen: Es ist wirklich Fantasy geworden, zumindest so etwas, was man seit „Game of Thrones“ darunter versteht. Als Ansatz gibt es hier sogar eine frische Idee. Für den Leser gibt es nicht die klassische Erzählrichtung, sprich den Werdegang der Kriegerin Zosia. Ihr schweres Leben, die Entbehrungen und wie ihr der Mut, Geschick, etwas Glück und Freunde dabei halfen, final den Thron des Reiches zu erklimmen – steht alles nicht im Zentrum. Erzählt wird vielmehr die Geschichte nach dem Abspann. Zwanzig Jahre nach dem Ende der großen Revolution ist die Geschichte von Königin Zosia schon eher Legende als Wahrheit und ein Traum von einigen. Die strahlende Siegerin von einst ist bereits lange tot.

So dachten zumindest alle. Als dann jedoch eine unbescholtene Bürgermeisterin in einem gottverlassenen Dorf Zeuge eines Massakers wird, ist plötzlich alles wieder da. Zosia, die Königin von einst, entscheidet sich noch einmal für das Leben in der Öffentlichkeit. Sie will erfahren, warum die alte Abmachung mit der Obrigkeit um Königin Indsorith nicht mehr gilt und was aus ihren Hauptleuten von einst, den fünf Schurken, geworden ist. Ihre alte Truppe, die Kobaltblauen, ist längst verstreut, aber es verdichten sich Gerüchte um eine Revolution. Und wer, wenn nicht die wahre Königin von Samoth, wäre als Anführerin einer neuen Gezeitenwende die Richtige? Eine zweite Bauernrevolution könnte folgen.

Der Roman „Blut aus Silber“ (im Original: „A Crown For Cold Silver“ – und das trifft es auch besser) besticht nicht nur durch seinen Umfang. Auf über 850 Seiten bringt uns ein gewisser „Alex Marshall“ die Geschichte rund um die einstige Ikone Zosia näher. Aber natürlich geht es nicht nur um sie, sondern es gibt ein ganzes Ensemble von Figuren und Charakteren, die einem im Laufe des Lesens ans Herz wachsen oder zumindest glaubhaft beschrieben werden und somit einen Eindruck hinterlassen. Wie üblich dauert es dadurch etwas, ehe man sich eingelesen hat und auch, bevor die einzelnen Handlungsstränge überschneidend zusammenkommen und die Hauptfiguren miteinander interagieren. Das Buch ist dazu passend in zwei Teile untergliedert. Wenn man den ersten bezwungen hat, sind die letzten 500 Seiten leichter zu lesen und nicht mehr alles langatmig und konfus.

Denn um ein Epos zu werden, wie es anscheinend Zoisa gebührt, gibt es auch viele historische Details zu berichten. Somit soll die Glaubhaftigkeit der Geschichte erhöhen werden, aber durch die vielen Hinweise wird der Leser streckenweise auch unnötig ermüdet. Der Stern, Zacken, Zygnema, Diadem als Hauptstadt der Provinz Samoth, Azgaroth, das scharlachrote Imperium, Feuerstein, Emeritus, Raniputri, Pantera-Wüste usw. usf. Natürlich ist es schön zu erfahren, wer mit welchem Reich mal wo Krieg führte und wo sich einzelne Orte befinden, aber dafür fehlt eine Landkarte, um alles einordnen zu können. Und noch viel schlimmer: Es fehlt zumeist die Relevanz für die primäre Geschichte.

Dadurch leidet diese und driftet passagenweise leider ins Dröge ab und lässt Abschnitte, mitunter ganze Handlungsläufe, schlechter dastehen, als es nötig wäre. Dabei gibt es sehr schöne Ideen. Beispielsweise hatte jeder der fünf Schurken von einst es geschafft, einen Dämon zu binden, der von nun an als Beschützer wacht, ohne sein rebellisches Eigenleben aufzugeben. Nur ein spezieller Wunsch kann die Verbindung lösen, sonst bleibt einem das verlängerte Leben nicht erspart. Auch die Idee des Autors, Dimensionstore bereitzustellen, ist sehr gelungen. Zudem wissen die meisten der mannigfaltig entworfenen Charaktere zu überzeugen. Maroto und die Hornwölfe, der hintersinnige Frostfalle, Fennec der Unberechenbare, die Stutzer, unter ihnen Tapai Purna oder auch die Riege der Widersacher in Personen von Sir Hjortt oder der Kette, vorrangig in der Geschichte vertreten durch die den Hexengeborenen Bruder Wan und Anathema Schwester Portolés. Spätestens bei der geplanten Fortsetzung wird dann ein Personenregister fällig. Oder wer waren doch noch gleich nochmal Keun-ju, Ji-hyeon oder Bang?

Jedoch gibt es noch einen weiteren Kritikpunkt (und damit meine ich nicht die gegen Ende immer häufiger auftretenden Rechtschreibfehler, welche nur bei den Namen wirklich ärgerlich sind): Obwohl es so umfangreich ist, fehlen ein paar Informationen. Es erschließen sich aus den Informationen nicht alle Handlungen, was aufgrund anderer Abschweifungen unausgegoren wirkt und ärgerlich ist. Der gestiegene Einfluss der Kirche und vor allem deren Oberhaupt, die schwarzer Päpstin Y’Homa hat noch Potenzial. Kurzum: Dem Autor sind viel mehr Informationen aus dem gewählten Weltenentwurf bekannt, aber ihm gelingt es nicht, diese dem Leser zu vermitteln. Es fehlt Grundlegendes, um die Geschichte zu verstehen und den Handlungsläufen folgen zu wollen. Insgesamt betrachtet ist es ein Buch, mit dem man erst einmal klarkommen muss, da es keinen richtigen roten Faden gibt. Die Handlung um Zoisa, die geplagte Königin, ist nur eine von vier. Primär geht es schon um die alte Kriegerin, die sich ihrem Erbe bzw. ihrer Verantwortung dem Gegenüber stellen muss, aber die anderen Stränge spielen auch eine gewichtige Rolle. Nicht nur die blaue Zosia wird auf dem Weg zur Entscheidung in Selbstreflexion zergehen. Einem Weg, der noch lange nicht beendet ist und noch ein paar Bücher zu benötigen scheint. Man muss nur interessiert bleiben, was einem der Autor nicht besonders leicht macht. Da es so viele literarische Alternativen gibt, wird er es schwer haben.

Fazit: Der Teaser auf dem Cover spiegelt nur einen Bruchteil der Handlung von „Blut aus Silber“ wieder. Leider fehlt das gewisse Etwas, um den Leser schnell in die Geschichte einzubinden, es gibt zu viele Handlungsstränge und Wiederholungen, die zu lange keine Relevanz finden. Es gibt eine ganze Welt und jede Menge Gruppierungen und Personen zu entdecken, man muss sich drauf einlassen können. Der Roman an sich ist abgeschlossen, das nachfolgende Buch ist jedoch schon geschrieben und könnte den treuen Lesern oder hartnäckigen Fans bestimmt einen Blick wert sein. Keine leichte Kost für Zwischendurch, kein Buch zur Entspannung.


Blut aus Silber
Fantasy-Roman
Alex Marshall
Piper 2015
ISBN: 978-3-492-70361-1
864 S., Paperback, deutsch
Preis: EUR 19,99

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