Blade Runner

Wer den Titel „Blade Runner“ hört, denkt an Harrison Ford, der mit verkniffenem Gesicht über einer abgrundtiefen Straßenschlucht vom Stahlträger eines Hochhauses hängt. Es war der Film von Ridley Scott, der 1984 dieses ikonische Bild schuf und damit seinen Namen mit dem Science-Fiction-Stoff „Blade Runner“ untrennbar verknüpfte. Selbst der ursprüngliche Roman von Philip K. Dick, mit dem eher sperrigen Titel „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ musste dahinter zurücktreten. Entsprechend verwundert es kaum, dass sich der Hörverlag der mächtigen Wirkung der Bilder bediente, um seine Hörspielfassung der Geschichte auf CD zu vermarkten.

von Bernd Perplies

Dabei ist das sehr schmucke Äußere der auf einer CD erzählten und mit 53 Minuten recht kurzen Handlung trügerisch. Denn inhaltlich fühlt sich das von Marina Dietz im Auftrag des Bayerischen Rundfunks 1999 inszenierte Projekt weit stärker der Romanvorlage als dem Film verpflichtet. Und das ist auch gut so, denn so sehr man sich an die Filmhandlung sowie die Figuren (und Stimmen) von Harrison Ford, Rutger Hauer und Sean Young gewöhnt hat, sie einfach nur auf die Tonebene zu übertragen, hätte ein Hörspiel zur Folge gehabt, bei dem man vor allem die Bildgewalt vermisst hätte.

Stattdessen gehen die Macher eigene Wege – auch zwangsläufig, denn diese Version von „Blade Runner“ ist zweifellos die bislang kürzeste und daher geraffteste. Die Geschichte beginnt an einem beliebigen Morgen im Leben des Prämienjägers Rick Deckard, der mit einer Frau, die eher ein virtuelles, denn ein reales Leben hat, ein bescheidenes Dasein führt. Deckard arbeitet für die Polizei als Replikantenjäger – pardon: Androidenjäger (der Begriff „Replikant“ existiert nur bei Scott) –, das heißt, er schaltet die von Firmen wie der Rosen Corporation gezüchteten Kunstmenschen, die als Sklaven auf den Offworld-Kolonien dienen, aus, wenn diese sich zurück auf die Erde wagen. Diesmal hat sein Chef Bryant fette Beute für ihn: eine Gruppe aus fünf Androiden, die vom Mars geflohen ist und sich seitdem in der Stadt herumtreibt.

Doch die Jagd, auf die sich Deckard im Anschluss begibt und die bis zum Abend andauern soll (auch hier ist die Erzählung deutlich gestrafft, wirkt mit seiner zudem örtlichen Begrenzung auf wenige urbane Schauplätze fast kammerspielartig), ist genau wie in Buch und Film nur Vorwand für ein eigentlich „philosophisches Problem“, das dem Androidenjäger im Laufe der Geschichte mehrfach unterstellt wird und den anhaltenden Reiz von „Blade Runner“ ausmacht: Wenn Androiden immer perfekter werden, so menschenähnlich, dass es komplizierter Testverfahren bedarf, um „die Anderen“ von uns Normalbürgern zu unterscheiden, wo lässt sich dann noch die Grenze ziehen zwischen dem Ausschalten eines marodierenden Objekts und dem Mord an einem Wesen, das genauso Träume hat, wie wir auch?

Erschwerend kommen künstlicher Erinnerungen hinzu, die dafür sorgen, dass manche Androiden nicht einmal mehr wissen, dass sie „künstlich“ sind. Im Grunde könnte also jeder ein Androide sein – und vorgeworfen wird es zeitweilig auch praktisch jedem der Protagonisten des Hörspiels. Die Tatsache, dass alle scheinbar sicheren Tests ihre Lücken aufweisen, verstärkt diese fundamentale Unsicherheit nur. Zynischerweise scheint erst die post mortem durchgeführte Knochenmarksanalyse endgültig zu klären, ob da ein Mensch, ein Androide, ein Mensch, der sich für einen Androiden hielt, oder ein Android, der sich für einen Menschen hielt, „aus dem Verkehr gezogen wurde“.

Die Sprecher tragen die Geschichte ganz hervorragend. Udo Wachtveitl mimt den innerlich zerrissenen Deckard – anfangs vielleicht ein bisschen zu energiegeladen, aber im Laufe der 53 Minuten zunehmend verbraucht und an seinen Auftragsmorden emotional „abgearbeitet“. Michael Mendl gibt einen brummigen Bryant, derweil Max Tidorf als psychotischer Cop Phil Resch glänzt – nicht zuletzt deshalb, weil es diesen Charakter im Film nicht gibt und er deshalb ganz aus Tidorfs Stimme heraus im Kopf des Hörer entstehen kann.

Die fünf Nexus-5-Androiden haben vergleichsweise wenig zu sagen und entwickeln daher kaum Charakter. Das stößt einem vor allem bei Roy auf, der so gar nichts von Rutger Hauers kontrolliertem Killer/Philosophen aus dem Kinofilm hat. Dafür spielt Lena Luft, die „deutsche Opernsängern“, eine weitaus größere Rolle, von Christiane Rossbach in einer Mischung aus Affektiertheit und Kaltblütigkeit dargestellt. Deckards Versuchung Rachel Rosen, die „Nichte“ des Konzernchefs Eldon Rosen, wird von Sophie von Kessel gesprochen, etwas spröde zu Beginn – gekünstelt möchte man sagen (Absicht?) –, später auch besser werdend. Wobei gerade ihre Rolle durch diverse achtlos eingeworfene Dialognebensätze unglaubliche Wendungen durchmacht.

Das ungeschlagene Highlight des Ensembles ist Arne Elsholz, dessen Stimme für uns hierzulande „Tom Hanks“ bedeutet und der John Isidore spielt, einen so genannten B-Typ, einen netten, harmlosen, einfältigen Mann („Forrest Gump“ lässt grüßen), der einsam in einem riesigen Gebäude lebt bis sich die flüchtigen Androiden bei ihm einnisten. Es mag dem Hörspiel nicht gerecht werden, aber die Vorstellung, dass Tom Hanks die Figur des J.F. Sebastian aus Ridley Scotts Film „Blade Runner“ als eine Art futuristischen Forrest Gump interpretiert, ist einfach grandios. Ganz abgesehen davon war J.F. Sebastian bereits im Film die traurigste aller Figuren und auch hier kann man nicht anders als mit dem einfachen Isidore mitfühlen, der sich nichts sehnlicher wünscht als Gesellschaft, und dabei völlig vorurteilslos auch Androiden als Nachbarn akzeptieren würde, und dessen Traum, eine echte Eule gesehen zu haben, die hier als Sinnbild des Lebens gilt, von Deckard gedankenlos zerstört wird.

So großartig die CD ist, einen Wermutstropfen hat sie meines Erachtens: ihre allzu starke Verknappung. Stellenweise wird die Handlung arg sprunghaft vorangetrieben. Während einige Szenen, etwa die Interaktion zwischen John Isidore und Priss oder zwischen Rick Deckard und Rachel sich angenehm Zeit für ihre Protagonisten lassen, sind andere, vor allem die rund um die Jagdhandlung, regelrecht lakonisch erzählt. Es geht von A nach B im Minutentakt und ein Android ist schneller abgefrühstückt als der nächste. Klar, dialogarme Kampf- oder Verfolgungssequenzen lassen sich in einem akustischen Medium ungleich schwerer umsetzen, als in einem visuellen, doch ein kurzes Poltern und das Zwitschern einer Laserwaffe wirken dann doch etwas unbefriedigend. Vor allem das Finale ist unglaublich antiklimaktisch – wobei das natürlich ein Gefühl ist, dass sich nur im direkten Vergleich zum Film von Ridley Scott einstellt (da kann man sich so viel Mühe geben, wie man will, ganz unbeeinflusst hört man die CD dann doch nicht). Auf der anderen Seite passt dieses Desinteresse an der eigentlichen Action wiederum ganz gut zu der eigentlichen Absicht der Geschichte, nämlich das Verhältnis von Mensch und Kunstmensch zu hinterfragen.

Fazit: Kaum jemand, der sich „Blade Runner“ – das Hörspiel – kaufen wird, wird nicht vorher „Blade Runner“ – den Film – gesehen haben (wenn er gut ist, hat er vielleicht sogar die Romanvorlage gelesen). Entsprechend vorbelastet geht man in das Hörerleben hinein, vergleicht und beurteilt Gemeinsamkeiten und Abweichungen. Doch die Geschichte erzählt nicht die Filmhandlung einfach nach, sie erzählt auch nicht den eigentlichen, ursprünglichen Roman von Philip K. Dick einfach nach, sie findet vielmehr in der Mitte irgendwo ihren eigenen Weg und weiß gerade dadurch zu begeistern. Obwohl mit 53 Minuten recht kurz, baut das Hörspiel eine bemerkenswerte Atmosphäre auf, innerhalb derer sich eine hoch verdichtete Handlung, interessante Charaktere und eine fundamentale Verunsicherung hinsichtlich der Frage, ob Androiden vielleicht auch von elektrischen Schafen träumen, entfalten.


Blade Runner
Hörspiel nach dem Roman von Philip K. Dick
Marina Dietz
Hörverlag 2005
ISBN: 3-89940-681-8
1 CD, 53 min., deutsch
Preis: EUR 14,95

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