Before Watchmen: Silk Spectre

Viele Frauen spielen in Alan Moores und David Gibbons epochalem „Watchmen“-Comic nicht mit. Und Silk Spectre, alias Laurie Juspeczyk, die einzige weibliche Hauptrolle, wenn man so will, hat nicht nur wenig zu tun, sie hat auch als Tochter einer herrischen Mutter und Geliebte eines gleichgültigen Doktor Manhattan wenig zu lachen. Im Rahmen der „Before Watchmen“-Reihe steht sie nun endlich mal im Mittelpunkt – und macht eine gute Figur.

von Frank Stein

Die junge Laurie ist frustriert. Ihre Mutter, früher mal eine kostümierte Vigilantin und Teil des Teams der Minutemen, leider aber auch für ihren freizügigen Lebensstil im Amerika der 1940er-Jahre gescholten und heute unglücklich und an der Flasche hängend, engt sie ein und nimmt ihr jeden Spaß am Leben. Oder sagen wir: Spaß mit Jungs. Stattdessen muss Laurie ständig trainieren und bereit sein, um irgendwann den Namen ihrer Mutter – Silk Spectre – zu übernehmen und selbst zur großen Verbrechensbekämpferin zu werden, eine Aussicht, die sie alles andere als begeistert.

Also bricht sie buchstäblich aus ihrem alten Leben aus. Mit ihrem Freund Greg flieht sie und lässt sich per VW-Bus von einer Gruppe junger Hippies mit nach San Francisco nehmen, wo im Sommer 1966 (der übrigens nicht der „Summer of Love“ ist, wie in der Einleitung vom Verlag behauptet) ein Leben voller Liebe und Partys auf sie wartet – und ein paar fiese Typen, denen dieser freigeistige Lebenswandel gehört auf den Senkel geht und die daher mit Drogen und Gewalt wieder herzustellen versuchen, was ihnen verloren zu gehen droht: eine Welt des Kommerzes und Konsums! Als sie dabei allerdings Lauries Freunde mit hineinziehen, erwecken sie die Silk Spectre in ihr.

Das Duo Darwyn Cooke und Amanda Conner (letztere erst als Zeichnerin eingestellt, die aber rasch auch Einfluss auf die Geschichte selbst genommen hat) liefert mit „Silk Spectre“ ein eindrucksvolles Porträt einer jungen Rebellin ab. Von der spießigen Heimat, die den Mief der gescheiterten Elterngeneration atmet, über das pulsierende San Francisco, das vom hellen Ort der Liebe zu einer psychedelischen Drogenhölle wird, folgen wir Laurie durch ihr Leben und lernen sie dabei besser kennen, als selbst im ursprünglichen „Watchmen“-Comic.

Die Stärke der Geschichte (und auch der Bilder) liegt dabei in meinen Augen in der Bereitschaft, nicht nur Schatten zu zeigen, sondern auch Licht, etwas das vielen Superheldengeschichten mit chronisch kaputten Gestalten heute schwer fällt. So wirken Lauries Schicksalsschläge noch heftiger nach, wenn man zuvor erlebt hat, wie glücklich sie in einer traumhaften Umgebung wie dem San Francisco zur Hochzeit der Hippie-Bewegung war. Diese bei aller Ernsthaftigkeit gewisse Unbeschwertheit im Erzählton erinnert eher an die späteren (also nach der Highschool angesiedelten) „Buffy“-Geschichten von Joss Whedon, als an kostümierte Heldenkolleginnen wie „Catwoman“ und Co.

Auch visuell ist der Comic ein kleines Fest. Amanda Conners Panelstruktur ist weitgehend klar und aufgeräumt, dafür nutzt sie jedes Panel wirklich aus. Ihre Zeichnungen sind detailreich und treffsicher in der Darstellung der Figuren. Stimmungen werden gekonnt transportiert. Kleine visuelle Kniffe (etwa Lauries blühende Fantasie, die zu Panels in unterschiedlichem Zeichenstil führt) lockern das Ganze zusätzlich auf. Und wer genau hinschaut, kann sich obendrein über diverse Anspielungen an „Watchmen“ und die Hippie-Kultur erfreuen.

Mit den anderen Comics verknüpft wird „Silk Spectre“ über die Cameos von Hollis Mason, dem alten Nite Owl, über den Comedian und über das erste Treffen der Crimebusters, das hier aus Lauries Sicht geschildert wird.

Fazit: „Before Watchmen: Silk Spectre“ ist weniger eine Superheldengeschichte, als vielmehr das Porträt einer Jugendlichen, die für einen Sommer aus ihrem spießigen Leben ausbricht, um zu sich selbst zu finden und zur Frau zu werden. Das macht den großartig erzählten und gezeichneten Comic nicht nur für „Watchmen“-Fans interessant, sondern auch für alle, die Lust auf eine Zeitreise ins San Francisco der 1960er Jahre haben. Unter den „Before Watchmen“-Comics, die ich bisher gelesen habe, rangiert dieser hier weit oben.


Before Watchmen: Silk Spectre
Comic
Darwyn Cooke, Amanda Conner
Panini Comics 2013
ISBN: 978-3-86201-484-2
112 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,99

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