Before Watchmen: Nite Owl

Das monumentale Werk „Watchmen“ von Alan Moore und Dave Gibbons gehört zu den einflussreichsten Superheldencomics der letzten Jahrzehnte. 1986/87 erschienen, hat es das Bild vom gebrochenen Helden mitgestaltet, der heute praktisch die Standardform in Superheldencomics darstellt, wenn auch selten so konsequent kaputt wie in Moores und Gibbons’ Geschichte. Mit „Before Watchmen“ erzählt DC 25 Jahre später neue Geschichten um die Figuren Dr. Manhattan, Rorschach, Silk Spectre oder den Comedian – und eben auch um Nite Owl, den vielleicht Anständigsten dieser Gruppe gestörter Persönlichkeiten.

von Frank Stein

Für die „Nite Owl“-Ausgabe wurden einmal mehr große Namen verpflichtet. J. Michael Straczynski hat sich nicht nur als Schöpfer von „Babylon 5“ einen Namen gemacht, sondern auch an zahlreichen Comics mitgewirkt. An seiner Seite steht das Zeichnerduo Joe und Andy Kubert, Vater und Sohn, wobei der zweite für die Illustrationen verantwortlich war, der erste, eine seit 1938 tätige Comic-Legende, die während der Arbeiten an diesem Band 85-jährig traurigerweise verstarb, für die Tusche.

Die zu Beginn im Jahr 1962 angesiedelte Geschichte erzählt praktisch die Origin Story des zweiten Nite Owl alias Daniel Dreiberg, eines Jungen, der eine schwere Kindheit hatte, weil er unter einem gewalttätigen Vater zu leiden hatte und in der Schule gerne verprügelt wurde – womit er seinem späteren Partner Rorschach erstaunlich ähnlich ist. Allerdings verwandeln ihn seine Erfahrungen nicht, wie Walter Kovacs, zu einem düsteren, hasserfüllten Vigilanten, sondern in einen fast besessen aufrechten Beschützer jener, die ähnlich schwach sind, wie er es einst war, bevor er als junger Mann dem ersten Nite Owl Hollis Mason auf die Schliche kam und erst zu seinem Schüler und dann Nachfolger wurde. Ohne Superheldenkräfte, aber dafür mit großer Leidenschaft und einem Faible für technischen Gimmicks ausgestattet, was ihn an Batman erinnern lässt, geht er dabei auf nächtlichen Streifzügen zu Werke.

Neben diesen Rückblicken in die Vergangenheit von Daniel Dreiberg – und einigen, den „Rorschach“-Band ergänzenden Schnipseln zu Kovacs’ Kindheit – steht eine Mordserie an Prostituierten im Vordergrund, einer Gruppe von Frauen, zu denen sowohl Dreiberg als auch Kovacs aus ihrer Vergangenheit heraus kein neutrales Verhältnis hegen können. Dabei stoßen sie auf eine geheimnisvolle, ausgesprochen freizügig agierende Dame, die sich „Twilight Lady“ nennt, womit Straczynski einen winzigen Schnipsel aus „Watchmen“ aufgreift, wo ein älterer Dan Dreiberg gegenüber Silk Spectre ein Erinnerungsfoto, das diese bemerkt, auffällig abschätzig als „kranke Puffmutter, die auf ihn fixiert gewesen sei“ beiseite wischt. Dass tatsächlich viel mehr zwischen dem jungen Nite Owl und der Twilight Lady vorgefallen ist, wird hier nun belegt.

Straczynski hat eine schöne, gefällige Superheldenstory entwickelt, die einen bei aller Getriebenheit aufrechten Recken im Mittelpunkt hat, der von einer lasziven Schönheit und einem doch etwas psychopathischen „Sidekick“ flankiert wird. Dabei ist auch das urbane Amerika in „Nite Owl“ ein Sündenbabel, in dem Sex und Gewalt herrschen und die Polizei durchaus wegschaut, wenn sich Verrückte an Prostituierten vergehen. Spannung, eine Prise Humor, erstaunlich viel Gefühl, erhellende Blicke in die Vergangenheit und Querverweise auf die Bände „Before Watchmen: Rorschach“ und „Before Watchmen: Minute Men“ machen diesen Band zu einem runden Lesevergnügen.

Visuell kommt der Comic geradezu klassisch daher, mit weitgehend klarer Panelstruktur und einem deutlich „handgemachten“ Feeling, das wenig auf digitale Effekte setzt. Die Figuren sind treffend und expressiv getroffen, die Umgebung bleibt oft etwas fragmentarisch. Die Farben kommen überwiegend blass daher; man fühlt sich regelrecht wie in einer grauen Welt. Kräftige Akzente und dunkle Schattenflächen fehlen. Vermutlich passend für eine Welt, in der Gut und Böse nur schwer voneinander zu trennen sind.

Zum Abschluss gibt es die obligatorische Covergalerie. Lesenswert ist auch das knappe Nachwort, in dem Übersetzer Christian Heiß erklärt, aus welchen anderen Comic-Charakteren die Figur des Nite Owl einst entstanden ist und welche Querverweise die Geschichte zu anderen Comics bietet. Gerade „Before Watchmen: Minutemen“ bietet sich als Begleitlektüre an, denn hier wird das Schicksal des alten Nite Owl, Hollis Mason, eingehend beleuchtet.

Fazit: „Before Watchmen: Nite Owl“ gehört zu den gefälligeren Geschichten des „Watchmen“-Universums. Straczynski porträtiert einen ungewöhnlich „guten Mann“, den zwar eine schwere Kindheit plagt, der jedoch kaum so „gefallen“ ist, wie andere Leute um ihn herum. Das Abenteuer hat alles, was zu einer gute Geschichte gehört – Tragik, Spannung, Action, ein wenig Liebe – und fügt sich passgenau an Moores Ursprungscomic und die „Minutemen“-Ausgabe von „Before Watchman“ an. Für Freunde der „Watchmen“ eine lohnenswerte, das Universum bereichernde Lektüre.


Before Watchmen: Nite Owl
Comic
J. Michael Straczynski, Andy Kubert, Joe Kubert
Panini Comics 2013
ISBN: 978-3-86201-482-8
112 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,99

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