Ausbauregeln IV: Kampagnen

Die Ausbauregeln IV widmen sich nach ihrem Titel einem wesentlichen Aspekt des Rollenspiels – den Kampagnen, also der Verknüpfung von Abenteuern über einen langen Zeitraum, häufig die Lebensspanne eines Charakters. Das Regelwerk konzentriert sich seiner eigenen Aussage nach auf die Zeit zwischen und abseits der Jagd auf Monster und Erforschung von Gewölben. Was genau kann der Spieler oder Spielleiter hier erwarten?

von Tobias Dworschak

 

Vielleicht ist es nicht die beste Art, eine Rezension einzuleiten, aber immerhin die ehrlichste: Ich habe mich mit dem Band „Ausbauregeln IV: Kampagnen“ wirklich schwer getan. Das liegt vor allem an zwei Dingen: Zum einen lassen sich meiner Erfahrung nach die wenigsten Regelbücher gut lesen in dem Sinne, dass es Spaß macht, darin herumzuschmökern. Das trifft auf die Ausbauregeln besonders zu, denn hier sind eine Vielzahl unterschiedlicher Sub-Systeme zusammengeführt, die unterschiedliche Aspekte des „Pathfinder“-Spiels betrachten. Ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen: Die meisten davon brauche ich vielleicht nur einmal in Jahren. Und analog zu ihrer Bedeutung verhält sich auch das Interesse, diese Systeme zu lesen. Zweitens hatte ich den Anspruch, für diese Rezension die Systeme wenigstens anzutesten. Dieses Ziel musste ich aufgeben – ich bin kein großer Freund von Regeln und wenn sich eine Situation mit einem erzählerischen Ansatz und gesundem Menschenverstand abhandeln lässt, dann ziehe ich diese Lösung vor. Die „Ausbauregeln IV: Kampagnen“ bieten einen anderen Weg.

Doch zuerst zu den Fakten: Das Werk umfasst 258 Seiten sowie eine ganze Reihe von Handouts. Das ist praktisch, wenn ich einzelne Bögen ausdrücken möchte. Aufmachung, Illustrationen und Layout überzeugen, auch wenn es dieses Mal sehr viele Tabellen gibt. Die Übersetzung ist gelungen. In der Gesamtschau erscheint mir das Regelwerk sehr textlastig.

Die Ausbauregeln umfassen vier Kapitel. Das erste trägt den verheißungsvollen Titel „Charakterhintergrund“. Als Spielleiter bin ich ein großer Freund davon, dass die Spieler sich Gedanken über ihren Charakter machen. Aber für mich ist das kein Selbstzweck. Ich möchte zwei Dinge: zum einen Charaktere, die ich irgendwie motivieren kann, Abenteuer zu bestehen, und die – zum anderen – möglichst mit individuellen Abenteuern, die den Charakter voran bringen. Dazu brauche ich ein paar Stichworte, keine seitenlange Erzählung, auch wenn die durchaus spannend zu lesen sein kann. Was mir an diesem Kapitel gefällt ist, dass es den Spieler und Spielleiter anhand einiger Ideen und Stichpunkten Anregungen gibt, um sich Gedanken über die Geschichte des Charakters zu machen. Das trägt zu individuelleren Figuren und damit meiner Meinung nach zu spannenderem Spiel bei. Vieles von dem, was hier zu lesen ist, mag trivial erscheinen. Aber je nach Vorbildung des Lesers finde ich hier wertvolle Tipps, um auch ohne großen Aufwand ein paar originelle Ideen zusammenzustellen.

Es folgt der sogenannte Hintergrundgenerator, der im wesentlichen aus 58 Tabellen besteht, mit denen ich alles – wirklich alles – was mit dem Hintergrund eines Charakters zu tun hat, auswürfeln kann: Eltern, Geschwister, unterteilt nach Völkern, Konflikte, romantische Beziehungen, Beziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern, spezielle Hintergründe je Klasse und so weiter. Das hat vielleicht noch den Vorteil, dass ich die Tabellen als reichhaltigen Fundus für Ideen ausnutzen kann. Streng nach Tabelle meinen Charakter auszuwürfeln, ist mir persönlich dann doch zu viel, und ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand so macht. Anschließend folgen weitere Wesenszüge, zu denen mein Charakter abhängig von den Ergebnissen der Tabellenwürfe Zugriff erhalten kann. 15 Seiten lang. Sicher, sie dienen dazu, einen Charakter weiter zu verfeinern (und ihm für seinen Hintergrund regeltechnische Vorteile zu verschaffen). Aber brauche ich wirklich mehr davon? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Fülle meist dazu führt, dass die Spieler sich in den Optionen verlieren und am Ende unzufrieden sind, nicht die optimale Entscheidung getroffen zu haben.

Die neue Mechanik der Questtalente beschließt das erste Kapitel. Sie sollen dem Charakter eine Richtung geben, eben die Queste, auf der er sich befindet, zum Beispiel das verlorene Erbe seiner Familie wieder in deren Besitz zu bringen. Die Talente bringen normale Vorteile, haben aber auch ein Ziel, bei dessen Erreichen es einen weiteren Bonus gibt. Die Idee ist, hier eine Langzeitmotivation zu schaffen und das Talent in die Kampagne einzuweben. So dürften die Schritte, die erforderlich sind, das verlorene Erbe zurückzuerhalten, mehrere Spielabende, wenn nicht gar das ganze Leben eines Charakters füllen. Die Idee an sich ist nicht schlecht – ich frage mich nur, welche Art von Spiel „Pathfinder“ eigentlich fördern will, wenn ich für solche Motive Talente benötige.

Das zweite Kapitel widmet sich der „Zeit zwischen den Abenteuern“. Hier wird ein komplexes System angeboten, um bestimmte Dinge zu erlauben, zum Beispiel Einkommen erwerben, Gebäude aufbauen, Geschäfte führen, Organisationen leiten und so weiter. Hierzu werden 4 Phasen eingeführt, die einzelne Schritte abhandeln. Ganz ehrlich, als ich das alles zum ersten Mal gelesen habe (das Kapitel umfasst immerhin knapp 60 Seiten), habe ich die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen. Das liegt zum einen daran, dass der Aufbau des Kapitels sehr unübersichtlich ist und der Leser lange rätseln muss, worauf der Text eigentlich hinaus will. Ich werde erschlagen mit Möglichkeiten, die ich einbauen kann, finde die Informationen dazu aber an unterschiedlichen Stellen. Es erfordert Aufwand, dieses neue System zu durchdringen, denn es ist aus meiner Sicht unnötig komplex.

Im Grunde ist die Idee nicht schlecht: Die Charaktere haben zwischen den Abenteuern etwas zu tun und das Spiel gewinnt eine neue Dimension. Denn dies ist eine andere Art von Spiel: mehr Wirtschaftssimulation als Rollenspiel. Deshalb erfordert es eine Gruppe und Spieler, die das in dieser Form überhaupt mitgehen. Diese Wirtschaftsphase kann leicht einen ganzen Spielabende in Anspruch nehmen und verschiebt meiner Meinung nach den Fokus des Abenteuers. Wenn ich zudem den typischen Abenteuerpfad ansehe, verbleibt dort kaum Anwendungsbereich für dieses System.

Im dritten Kapitel werden „Kampagnensysteme“ vorgestellt. Hierbei handelt es sich um weitere Regeln, die unterschiedliche Aspekte des Spiels abdecken und gerade zu Beginn beliebtes Beiwerk in den Abenteuerpfaden waren. Häufig ging es darum, bestimmte Auswirkungen abzubilden, zum Beispiel das Ansammeln von Reputation. Viele dieser Systeme finden sich hier wieder. Die neuen Regeln umfassen Bereiche wie Gefährten, Fragen der Gesinnung, junge Charaktere, Ruhestand, Ehre, Feilschen und so weiter. Das ist auf den ersten Blick eine erschlagende Vielzahl, aber nicht alle sollen und werden immer eingesetzt, sodass ich mich nicht immer mit allem beschäftigen muss. Und insgesamt sind die Optionen, die hier geboten werden, es wert, auch Einsatz im Spiel zu finden. Das Ansammeln von Ruhm durch bestimmte Aufgaben abzubilden, hat sich mehr als einmal als hilfreich erwiesen. Unter der Überschrift Erkundungen finde ich ein paar Regeln für Sandbox-Kampagnen, bei denen ich Schritt für Schritt Felder auf einer Karte untersuche. Die Regeln für das Feilschen machen diesen Aspekt wesentlich spannender als im Grundregelwerk vorgesehen. Hier kann ich als Spielleiter also nach Herzenslust zuschlagen und mir das System heraussuchen, das mich in meiner Kampagne gerade unterstützt. Dabei handelt es sich häufig um Aspekte, die sich vielleicht ad hoc nur mit mehr Aufwand oder unverbindlicher regeln lassen. Vieles kann mein Spiel verbessern und stellt sich tatsächlich als Bereicherung heraus.

Im vierten und letzten Kapitel finde ich zwei Regelkomplexe, die eigentlich zu den Kampagnensystemen gehören würden, inzwischen aber so detailliert und umfangreich sind, dass sie eigenes Kapitel beanspruchen: „Königreiche und Kriege“. Der Grundstein für beide Systeme wurde im „Königsmacher“-Abenteuerpfad gelegt und für das Regelbuch weiter entwickelt. Der Aufbau und die Verwaltung eines eigenen Königreichs ist ein eigenes Spiel, das sich ein wenig an die Regeln für die Zeit zwischen Abenteuern anlehnt, aber doch nicht ähnlich genug ist, um beide Aspekte mit einem Set an Regeln abzudecken. Das Kapitel erläutert, wie ich ein Königreich gründe, die Zugfolge nach der Gründung, Spielwerte für Gebäude, die Gründung von Ortschaften, Stadtpläne und natürlich den Königreichsbogen. Über unterschiedliche Führungsrollen und deren Einfluss auf das Königreich erfahre ich eine Menge, auch, welche Vorteile die Rolle bringt und welche Nachteile mit einer Vakanz verbunden sind. Ich lese Begriffe, die ich am Anfang noch nicht zuordnen kann, weil der Aufbau wieder konfus ist. Die Erklärung beginnt mit Rollen, aber dort lese ich, dass ich ein Königreich errichte, wenn ich meine erste Ortschaft erobert oder gegründet habe. Wie das geht, lerne ich erst über 20 Seiten später. Ein furchtbares Herumgeblättere und wiederholtes Lesen, um überhaupt eine Vorstellung davon zu bekommen, wie das System funktionieren soll.

Und dann dämmert mir: Das Ganze hätte vielleicht besser als Brettspiel umgesetzt werden sollen. Mit Baupunkten errichte ich Gebäude. Ich proklamiere Erlasse. Und bei allem würfle ich, ob Unruhen entstehen und was so passiert. Seitenlange Gebäudetypen und Zufallsereignisse. Bilder von den Gebäuden, die ich ausschneiden und auf einem Plan verteilen kann. Sicher, das kann Spaß machen. Eine eigene Stadt zu entwickeln und sogar die Gebäude zu platzieren, ist eine tolle Sache. Ich bin mir sicher, dass Paizo sich große Mühe gegeben hat. Leider erlebe ich die Regeln nicht als sehr eingängig – jedenfalls nicht beim Lesen. Es käme sicher darauf an, das mal auszuprobieren und ich bin geneigt, dem eine Chance zu geben. Nur: In meiner Rollenspiel-Kampagne ist dafür kein Platz.

Übrigens ebenso wenig für Massenschlachten. Aber ich kann verstehen, dass es hierfür ein einfaches und gut durchdachtes Regelgerüst geben sollte. Wieder störe ich mich ein bisschen am Aufbau. Ich persönlich hätte gerne zuerst erfahren, wie ich eine Armee aufstelle. Aber man kann auch zuerst die Schlachtphasen erläutern. Schade ist, dass die Massenkampfregeln auf das Königreich Bezug nehmen. Zwar gibt es eine kurze Erklärung, wie das ohne eigenes Königreich zu handhaben ist, aber anders herum und damit generischer wäre mir lieber gewesen, zumal ich die Verweise auf Königreichs-Regeln beim Lesen als störend empfunden habe.

Die Schlacht teilt sich in drei Phasen: Taktik-, Fernkampf- und Nahkampfphase. Es gibt unterschiedliche Kommandos, unterschiedliche Einheiten, Bedingungen auf dem Schlachtfeld und besondere Fähigkeiten einzelner Individuen. Insgesamt scheinen die Regeln die Komplexität der Schlacht auf ein handhabbares Maß zu reduzieren. Ich habe im Rahmen der Rezension mal eine Schlacht zwischen zwei gleich starken Armeen ausgetragen. Das geht schnell von der Hand, ist unkompliziert, aber auch langweilig. Ich will nicht ausschließen, dass dies daran liegt, dass ich alleine getestet habe. Aber mir fehlten spannende oder herausfordernde Elemente. Im Grunde ging es nur darum, schneller mehr Schaden zu verursachen, was möglicherweise die Essenz einer jeden Schlacht ist. Am Ende des Kapitels gibt es optionale Schlachtenregeln und Beispielarmeen.

Fazit: Ich bin von den „Ausbauregeln IV: Kampagnen“ insgesamt eher enttäuscht. Das liegt auch daran, dass ich hohe Erwartungen an das Buch hatte. Neue Ideen, wie ich einzelne Geschichten zu Kampagnen verbinde, wie ich die Zeit zwischen den Abenteuern sinnvoll ausfülle, suche ich immer. Was ich hier bekomme, sind endlose Seiten mit Subsystemen. Einzelne davon kann ich gut nutzen, aber das Meiste war bereits bekannt, die Überarbeitungen halten sich in Grenzen. Und so furchtbar originell ist das auch nicht. Am Ende muss ich mir die Fragen stellen: Brauche ich wirklich für alles eine Regel? Und welche Komplexität will ich einzelnen Aspekten des Abenteuers zugestehen (Schlachten, Königreich, das Führen von Geschäften).

Die Antwort darauf hängt offenkundig von den Vorlieben der einzelnen Gruppen ab, aber für mich führt das zu einem Spiel, das mit dem Rollenspiel, wie ich es mag, nicht mehr viel zu tun hat. Wenn ich aber bereit bin, mal etwas anderes zu spielen, können die Ausbauregeln gut Dienste leisten. Für das, was ich wahrscheinlich aus diesem Buch nutzen werde, ist mir der Preis für das gedruckte Werk zu hoch – zumal die Regeln Teil der OGL und damit kostenlos im Internet verfügbar sind. Im Großen und Ganzen empfinde ich die angebotenen Regelsysteme aber als zu komplex und wenig eingängig beschrieben, insbesondere gemessen an der Häufigkeit, mit der sie in einer durchschnittlichen Kampagne – oder in meiner Kampagne – eine Rolle spielen werden.


Ausbauregeln IV: Kampagnen
Regelwerk
Jason Buhlman u.a.
Ulisses Spiele 2014
ISBN: 978-3-95752-010-4
256 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 39,95

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