Astro City: Der gefallene Engel

Alle kennen sie: die fantasievoll kostümierten, oft maskiert und mit schmissigen Straßennamen auftretenden Vigilanten, Mutanten, Außerirdischen, Topathleten, die sich, mit übermenschlichen Kräften ausgestattet, dem Schutze der Menschheit vor jedweder Gefahr verschrieben haben. Die Geschichten über sie – im Comic, im Kino, als TV-Serie – sind Legion. Und genauso kennt jeder ihre Erzfeinde: diabolische Superhirne, gewaltige Killerroboter, extraterrestrische Schrecken. In ihrem Schatten aber leben die Versager, die Kleinganoven, die zwar Superkräfte haben mögen, aber trotzdem stets scheitern. Ihnen hat Kurt Busiek in diesem Sammelband ein Denkmal gesetzt.

von  Bernd Perplies

Astro City, eine Metropole, wie es sie zu Dutzenden in Superheldengeschichten gibt. Durch die Straßenschluchten schieben sich Autokolonnen, Hochhäuser ragen steil zum Himmel auf, und dort oben kreisen sie, die maskierten Beschützer der Stadt, und halten die Wacht über Astro Citys Bewohner – „Engel“ nennt sie die Ma des kleinen Charlie Donewicz. Die Sache hat nur einen Haken: Diese Engel öffnen nicht nur Türen, sie bewachen sie auch – wie Charlie viele Jahre später, mittlerweile in der Persona des Steel-Jacketed Man (kurz: Steeljack), erleben darf. Denn er ist gefallen: Er, der immer wie eine dieser geflügelten oder Cape tragenden Lichtgestalten sein wollte, um dem Elend des Kiefer Square, des Armenviertels, wo er aufwuchs, zu entrinnen, unterzog sich einer fragwürdigen Operation, die ihm eine glänzende, superharte Metallhaut und Bärenkräfte verlieh. Doch danach hatte er Schulden, viele Schulden, musste Jobs übernehmen, kam vom rechten Weg ab – und landete am Ende im Knast.

Zu Beginn des Comic-Sammelbandes „Astro City: Der gefallene Engel“ der „Wildstorm Signature Series“ von Panini Comics, der die Hefte #14 bis #20 von „Astro City Vol. 2“ in sich versammelt und eine Übersetzung des amerikanischen Sammelbandes „Astro City: Tarnished Angel“ darstellt, kommt Steeljack aus dem Gefängnis raus und muss irgendwie zusehen, wie er sein Leben bestreiten will. Eigentlich möchte er nur noch seine Ruhe haben, einen ehrlichen Job, einen Ort zum Schlafen und drei ordentliche Mahlzeiten am Tag. Seine Vergangenheit als Verbrecher soll Vergangenheit bleiben. Sein Problem: Er ist alt, verbraucht, hat nicht besonders viel Grips, von Fingerspitzengefühl ganz zu schweigen. Und so hängt er wieder am Kiefer Square ab, diesem miesen Viertel, dem er nie entrinnen konnte, der Heimat von Kleinkriminellen, Pennern, Schlägern und gescheiterten Superschurken.

Doch dann beginnt plötzlich jemand seine alten Kollegen – und Freunde – umzubringen. Und niemand will sich darum kümmern, die Cops nicht und die Superhelden schon gar nicht. Aus Angst heuern die Leute Steeljack an, den Morden auf den Grund zu gehen. Und weil er nichts anderes kann, und weil ihm gleichzeitig diese einfachen Leute mit ihren kleinen, gescheiterten Leben trotz allem im Laufe der Jahre irgendwie ans Herz gewachsen sind, nimmt er an. Und so begibt sich Steeljack gegen alle Widerstände auf die Suche nach dem mysteriösen Täter und entdeckt dabei schließlich ein schmutziges Geschäft, das die Leben aller, die ihm wichtig sind, gefährden könnte.

Kurt Busieks mit zahlreichen Eisner Awards und Harvey Awards ausgezeichnete Serie nähert sich dem Superhelden-Genre von einer ungewöhnlichen Perspektive. In „Astro City“ stehen die normalen Probleme des Lebens als Mensch mit übernatürlichen Kräften im Vordergrund. Da jagt ein Superheld Tag für Tag fliegend von Verbrechensschauplatz zu Verbrechensschauplatz, nur um festzustellen, dass er niemals die Freiheit des Fliegens wirklich genießen kann. Oder zwei hochdekorierte Superhelden müssen sich den Irrungen und Wirrungen der Liebe stellen.

„Astro City: Der gefallene Engel“ nun rückt konsequent die kleinen Superschurken ins Rampenlicht, also jene Minions, die von Superhelden oft beinahe nebenbei beim Ausführen ihrer Missetaten gestoppt und festgenommen werden. Manche von ihnen machen sich kurzzeitig einen Namen, doch die meisten enden in der Armut, nachdem sie sich über Jahre hinweg an die verzweifelte Hoffnung geklammert haben, noch das eine große Ding zu drehen, nach dem man sich zur Ruhe setzen kann. Entsprechend ist Busieks Welt schmutzig und irgendwie trostlos und es mutet geradezu zynisch an, wenn sich ein Mann wie Steeljack der guten Sache widmen will, ihm aber weder die Polizei noch die elitäre Superheldenriege von Astro City Glauben schenkt.

Zeichner Brent Eric Anderson und Tuscher Will Blyberg verleihen dieser Trostlosigkeit wundervolle Anschaulichkeit. In vielen kleinen Details wird Steeljacks Lebensumfeld in Szene gesetzt, die heruntergekommenen Mietskasernen, die schäbigen Kneipen, die leeren, dreckigen, nächtlichen Straßen. Braun- und Grautöne herrschen vor, ebenso gedeckte Farben, so als sei der Himmel über Astro City ständig von Regenwolken verhangen. Nur in der Erinnerung – oder wenn die Superhelden auftreten – gönnt sich der Comic Annäherungen an die Four-Color-Farbenpracht klassischer Superheldengeschichten.

Dennoch: „Astro City: Der gefallene Engel“ ist keineswegs ein düsteres Ghetto-Drama. Immer wieder blitzen Momente zwischenmenschlicher Wärme auf. Die Leute vom Kiefer Square mögen alle Gescheiterte sein; wenn es darauf ankommt, stehen sie doch füreinander ein. Insofern erzählt der Comic in Wort und Bild vielmehr die leise melancholische Geschichte eines Mannes, der immer gerne besser sein wollte, aber irgendwie nie die Chance erhielt, seinen Lebensumständen zu entrinnen – bis zum… naja, „Happy End“ wäre wohl das falsche Wort; sagen wir: Frieden, den er letztlich doch finden darf. Nette Anspielung übrigens: Carl Donewicz in seiner schweren physischen Präsenz und dem behäbigen, stets leicht niedergeschlagenen Gestus erinnert nicht von ungefähr an den gealterten Robert Mitchum. Tatsächlich stand der amerikanischen Schauspieler Pate für den Anti-Helden mit der harten Schale und dem weichen Kern.

Fazit: „Astro City: Der gefallene Engel“ ist ein Superhelden-Comic, der einen interessanten Seitenweg von der immergleichen Mainstream-Ware beschreitet. Kurt Busiek interessiert sich für die Schattenseiten der Four-Colour-Geschichten und stellt einen gescheiterten Superschurken, der ein neues Leben beginnen will, ins Zentrum seiner Handlung. Trostlosigkeit und Melancholie bilden die Grundstimmung in Wort und Bild, doch Busiek gönnt seinem Protagonisten auch die Hoffnung auf bescheidenes Glück. „Eine sehr gute Gangster-Story. Und eine noch viel bessere Superhelden-Story“, sagt Frank Miller in seiner Einleitung des Sammelbandes. Dem kann ich mich nur anschließen. Hoffen wir, dass uns Panini irgendwann auch die anderen Geschichten aus Astro City bringt!


Astro City
Comic
Kurt Busiek, Brent Eric Anderson u. a.
Panini Comics 2007
ISBN: 978-3-86607-422-4
192 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 19,95

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