von Daniel Pabst
Dieser Sammelband beinhaltet die drei Einzelbände „Joker/Harley – Psychogramm 1-3“ aus den Jahren 2020 bis 2022. Geschrieben wurde der Comic von Kami Garcia und gezeichnet von Mico Suayan, Mike Mayhew und Jason Badower. In der Mitte des Bandes gibt es zudem die Secret Files, welche einen Einblick in die Patientenakte des Jokers bieten. Zudem enthält der Band am Ende eine Kurzgeschichte („Harley Quinn 30th Anniversary Special“). Das Format von 21,6 x 27,7 cm im Softcover-Format mit 312 Seiten ist recht üppig. Da es sich bei dieser Geschichte um eine DC-Black-Label-Geschichte handelt, kann alles passieren. Anders als in der gewöhnlichen Geschichtserzählung, hält sich das DC Black Label nämlich an keinen Kanon und kann damit Grenzen überschreiten. Wie weit wird Kami Garcia gehen?
Der Beginn ist schon ein echter Schocker. Wir sehen Dr. Harley Quinn in Schwarz-Weiß-Zeichnungen über Ermittlungsakten gebeugt, und sie hält eine Ansprache an die Leser und Leserinnen, in der sie betont: „Psychopathen sind die Tiger der Gesellschaft (...) Sie kennen nur die Jagd“. Anlass hierfür bietet ein neuer Kriminalfall, der den Polizeibeamten Kopfzerbrechen bereitet: Auf einer Parkbank wird eine Leiche gefunden, deren Unterkörper abgetrennt wurde. Handelt es sich um einen Serienmörder? Und was hat ein längst vergessener Cold Case damit zu tun?
Im Anschluss hieran sehen die Leserinnen und Leser eine Szene aus der Vergangenheit. Harley Quinn kehrt in ihre Wohnung zurück und ruft freudig: „Edie? Ich bin zurück“. Doch statt eine Antwort, eine Umarmung oder einen Kuss zu erhalten, liegen im Essbereich geöffnete Glückskekse, und als Harley sodann in das Badezimmer schaut, sieht sie ihre Freundin in der Badewanne liegen. Sie atmet nicht mehr. Ihre Kehle wurde durchtrennt. Um sie herum im Wasser schwimmen die Sprüche der Glückskekse und ihr Gesicht zeigt ein furchteinflößendes Lächeln. Wer war der Mörder oder die Mörderin? Dieses Verbrechen brennt sich ins Gedächtnis von Harley ein und lässt auch uns nicht mehr los.
Was sich wie ein roter Faden durch diesen Comic zieht, ist die Spur des Lächelns. Immer wieder muss Harley mitansehen, wie Menschen verstümmelt werden und ihnen ein Lächeln mittels eines verbogenen Kleiderbügels ins Gesicht gezerrt wird. Die Unmenschlichkeit ist für alle Beteiligten kaum auszuhalten. Und doch treibt sie der unbändige Wille an, die Serienmorde zu stoppen und den Verantwortlichen oder die Verantwortliche hinter Gitter zu bringen. Harley Quinn nimmt bei den Ermittlungen die Rolle der beratenden Psychologin ein, die versuchen soll, das Muster und die Ursprünge für diese Verbrechen zu entdecken. Zunehmend aber verschwimmt die Rolle der Beraterin mit der der Ermittlerin. Aufgrund der persönlichen Verstrickung nährt jeder weitere Mord die Rache in ihr. Wo führt das hin?
Spätestens ab dem Zeitpunkt, als Harley den Polizeibeamten einen Schritt voraus ist, fragen sich die Lesenden, ob Harley ihr Wissen für ihre eigene Rache ausnutzen wird, oder ob sie nicht doch ihr Wissen teilen wird – verpflichtet hierzu wäre sie allemal. Zudem bergen die eigenen Ermittlungen Gefahren. Dies bekommt sie eindrücklich zu spüren, als sie eines Abends in ihre Wohnung eintritt und ein Mann mit grünen Haaren und einem roten Lippenstift, welcher quer über den Mund gezogen wurde, auf sie wartet und sie begrüßt mit den Worten: „Suchst du mich?“
Dieser Comic will viel. Er versucht sich nicht nur an der Auflösung einer Mordserie, sondern auch an Einblicken in die Psyche. Dabei kommen erschreckende Details zum Vorschein. Sowohl in der Kindheit von Harley als auch in der Kindheit des Jokers hat es Ereignisse gegeben, die ein Trauma verursacht haben, welches sich scheinbar nicht mehr heilen lässt. Bei Harley kommt hinzu, dass sie ihre beste Freundin verloren hat und damit ein weiteres Trauma existiert. Die Lesenden werden in diesem Comic insbesondere mit der Frage konfrontiert, ob es einen „Kipppunkt“ gibt, an dem die eigenen Motive plötzlich stärker wiegen als es die menschliche Vernunft gebietet. Auch hier lässt sich jedoch Harley zurufen, dass Selbstjustiz zu keiner Zeit ein probates Mittel sein darf. Nicht ohne Grund stehen ihr die Polizeibeamten von Gotham zur Seite. Ist das Klicken von Handschellen etwa nicht die Bestätigung einer funktionierenden Justiz?
An die Seite der Suche nach dem Mörder reiht sich Harleys persönliche Suche nach Gerechtigkeit. Doch gibt auch die „andere Seite“ ausreichend Stoff zum Nachdenken. Wie viel Verzweiflung muss vorhanden sein, um sich über das Gesetz zu stellen? Harley Quinn ermöglicht es, den Menschen hinter dem Joker zu erblicken. Dennoch fällt es schwer, das Gezeichnete anzusehen. Zum Glück handelt es sich nur um eine erfundene Geschichte, deren Opfer aus der Fantasie der Autorin entsprungen sind. Dennoch lässt es sich Kami Garcia nicht nehmen, Parallelen zu realen Mordfällen einzustreuen und so unterschwellig darauf hinzuweisen, wozu Menschen in der Lage sein können. Das schockiert.
Unterstützt wird die Geschichte durch die sehr eindrucksvollen Zeichnungen. Hierbei werden unterschiedliche Stile verwendet. Zum einen gibt es immer wieder Schwarz-Weiß-Zeichnungen, was die Trauer und Trostlosigkeit von Harley Quinn betont. Zum anderen gibt es sehr realistische Zeichnungen, die wie Fotografien der Personen wirken. Das ist ein guter Kontrast zu den Schwarz-Weiß-Zeichnungen und hebt die Geschichte noch näher in die Realität. Auch die Zeitsprünge tragen zur Lebendigkeit des Werks bei. Durch die Implementation eines fiktiven „psychologischen Profils“, welches auf 29 Seiten die Ergebnisse von Harley Quinn abbilden, wird eine weitere Ebene der (vorgetäuschten) Realität geboten. Das ist kreativ und wirkt auch nicht als unnötiges Beiwerk, mit dem der Comic aufgeplustert werden sollte.
Trotz der vielen positiven Aspekte, die „Joker/Harley - Psychogramm des Grauens“ bietet, bleibt ein fader Beigeschmack. Die Ermittlungen des Serienmordes kommen einer Effekthascherei nahe. Immer brutalere Morde bedeuten nicht gleichzeitig ein spannenderes Leseerlebnis. Hier hätte sich Kami Garcia zurückhalten können. Denn auch die Ermittlungsarbeit wird dadurch nicht besser. Bereits in der Hälfte des Sammelbandes wissen die Lesenden, wer hinter den Morden steckt. Der innere Zwiespalt von Harley wird durchaus gut dargestellt, bleibt aber auf eine Art und Weise eindimensional. Das berühmte Harley-Quinn-Kostüm beispielsweise wird man in diesem Comic nicht zu sehen bekommen. Es bleibt bei der Kriminalgeschichte, die Brüche zeigt, die nicht nur die Protagonistin schmerzen.
Was also trägt dieser Comic zu den bekannten Figuren Joker und Harley Quinn bei? Definitiv enthält er einen sehr realistischen Ansatz, wenngleich er durch die Morde wieder ins Reich der Fiktion abdriftet. An manchen Stellen möchte der Comic ins Bewusstsein rufen, dass auch der grausamste Mörder ein Mitmensch ist und jedes Übel einen Ursprung hat. Dennoch bleibt es dabei, dass es zu jeder Zeit ein Zurück gegeben hätte und auch ein Joker sein Handeln nicht durch seine Kindheit und sein soziales Umfeld rechtfertigen kann. Das zeigt dieser Comic eben sehr gut. Das Gleiche gilt auch für Harley. Auch sie darf ihr Handeln nicht durch Rachegelüste leiten lassen, sondern hat rational zu bleiben. Dass das nicht immer leicht ist, wird auch in der Darstellung ihrer Person sehr anschaulich. Am Ende taucht eine letzte spannende Frage auf, welche hier jedoch nicht verraten werden soll. Nur so viel: Wie weit wird Harley gehen?
Fazit: Insgesamt ist dieser Sammelband eine Möglichkeit, sich mit Gerechtigkeitsfragen zu beschäftigen und gleichzeitig den Horizont zu erweitern. Die Autorin Kami Garcia bietet gelungene Ansätze – auch bei der Beziehung zwischen dem Joker und Harley. Dennoch überzeugt dieser Comic nicht vollends. An den Zeichnungen und Farben liegt es nicht. Diese lassen die Geschehnisse sehr lebendig wirken. Es fehlt schlicht an der Tiefe der Charaktere und einem erinnerungswürdigen Finale. Vieles davon kennt man. Auch ist die Erzählung zu effekthascherisch und klischeehaft. Trotz dieser Abstriche ist der Comic lesenswert. Vielleicht liest man ihn an einem regnerischen Tag, nachdem man den Kinofilm „Joker: Folie à Deux“ von Todd Phillips mit Lady Gaga und Joaquin Phoenix gesehen hat. Das würde passen.
Joker/Harley – Psychogramm des Grauens (Sammelband)
Comic
Kami Garcia, Mico Suayan, Mike Mayhew
Panini Comics 2024
ISBN: 978-3-7416-4016-2
312 S., Softcover, deutsch
Preis: 35,00 EUR
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