von KaiM
Ich brauche unbedingt den Raben-Clan. Mit genug Kampfkraft kann ich das Hügelland einnehmen und meine Gegner nach Walhalla schicken. Und wenn ich Glück habe, bekomme ich auch noch ein paar Boote für noch mehr Einheiten. Aber wenn ich hier Abstriche mache, bekomme ich vielleicht etwas mehr Ruhm und die Rune „T“, das wäre der Hammer! Aber wer von meinen Gegnern hat denn jetzt gerade den Drachen auf der Hand? Und wer soll da den Überblick behalten?
Laut Packung soll das allen Personen ab einem Alter von 12 Jahren möglich sein, die bis zu 60 Minuten lang und in einer Gruppe von zwei bis vier Jarlen schwere Entscheidungen über ihre Handkarten fällen können. Das Alter geht in Ordnung und in einer Stunde ist das Spiel auch zu spielen, auch wenn die anfängliche Verwirrung zu etwas längeren Partien beiträgt. Aber im Großen und Ganzen sind die Angaben korrekt und man kann sich problemlos aufmachen und in die (Karten-) Schlacht stürzen.
Das Material
Das Spiel kommt in einer kompakten Box daher. Aber anders als das Spielprinzip vermuten lässt, liegen nicht ausschließlich Karten darin. Es gibt außerdem einen kleinen Spielplan mit einer Landkarte, diverse Holzwürfel und einen Wertungsblock darin. Von der Materialqualität über die Karten bis zu den Illustrationen, alles ist gehobener Durchschnitt. Beim Wertungsblock muss man jedoch ein paar Pünktchen abziehen, denn der ist leider nicht so gut geworden. Etwas zu unübersichtlich ist er strukturiert und teilweise sind die Details durch die Druckqualität und die Farbwahl schlecht zu erkennen. Die Regeln sind okay geschrieben, bis auf einige wenige kleinere Unklarheiten sind sie gut zu verstehen. Sonst gibt es in dieser Rubrik weder Grund zu meckern noch in Jubelstürme auszubrechen.
Der Spielablauf
Auch dieses Kapitel wird sehr übersichtlich. Wir spielen über vier Runden. Zu Beginn jeder Runde wird eine Gottheit aufgedeckt, um deren Gunst wir uns in den nächsten Minuten streiten werden. Dann werden Karten verteilt und so lange in bekannter Drafting-Manier im Kreis gereicht, bis alle gleich viele Karten gewählt haben. Nun werden die Karten ausgewertet, wobei jede Karte in bis zu sechs Rubriken einen Beitrag leistet. Ein Teil davon beinhaltet das Platzieren von Einheiten in verschiedenen Regionen auf dem Spielplan. Das ist insofern wichtig, da am Ende jeder Runde Kämpfe um besonders belagerte Regionen entbrennen. Alle Ergebnisse werden auf dem eigenen Wertungsbogen festgehalten und dann geht es in die nächste Runde. Am Ende zählen alle den gesammelten Ruhm zusammen und natürlich hat das Clanoberhaupt gewonnen, welches nach den Kämpfen am meisten davon gesammelt hat.
Wenn alle verstanden haben, wie die einzelnen Kategorien funktionieren, ist der Ablauf flüssig und mit wenig Wartezeiten, wie man es von Draftingspielen gewohnt ist. In einer Kategorie werden allerdings gleichzeitig und verdeckt Kreuze auf dem Wertungsblock gesetzt, die wiederum zu einer Manipulation der danach stattfindenden Schlachten führen können. Dieser Ablauf fühlt sich unpraktisch und sperrig an. Denn eigentlich soll man irgendwie Einheiten platzieren, wenn man Kreuze an bestimmten Stellen gemacht hat, aber auch, wenn man diese im Geheimen hinter vorgehaltener Hand auf den Zettel legt, ist das schon eine wichtige Information für die Gegner. Irgendwie einigt man sich dann auf eine Vorgehensweise, aber ein elegantes Spieldesign ist dieser Teil nicht. Das ist schon alleine deshalb schade, weil die Schlachten in jeder Runde einen Höhepunkt im Spannungsbogen darstellen.
Das Spielgefühl
„Clans of Midgard“ ist im Großen und Ganzen ein klassischer Vertreter des Draftingmechanismus. Die Karten, die man wählt, haben Effekte, die man im Blick behalten muss, und schlussendlich steht man immer wieder vor der interessanten Entscheidung, was man selbst unbedingt haben möchte und was man seinen Gegnern vielleicht lieber nicht gönnt. Das ewige Hin und Her zwischen Hoffnung, Jubel und Enttäuschung macht auch hier eine Menge des Spielreizes aus.
Dennoch macht dieses Spiel einiges anders. Zunächst einmal gibt es hier kein Entweder-Oder. In vielen Spielen dieser Art hat eine Karte einen Effekt und man muss sich entscheiden, ob man das eine oder das andere haben möchte. Hier jedoch hat jede Karte viele Effekte und die Herausforderung liegt eher darin, am Ende der Runde eine besonders gute Kombination aus Karten gefunden zu haben, um möglichst viele Ziele zu erreichen. Es wird zum Beispiel schwer, in einer Runde die Gunst der Götter zu erlangen, wenn man gleichzeitig noch mächtige Monster erschlagen möchte und viele Einheiten in den richtigen Gebieten platzieren will. Da alle Karten zunächst im Geheimen genommen werden, greift man erstaunlich oft auf den beiseite gelegten Stapel zu, um sich zu vergewissern, was man sich in dieser Runde bereits alles gesichert hat. In den ersten Runden ist man sogar ganz schön gefordert, wenn man alles im Blick behalten möchte, aber gleichzeitig noch mit der Wirkungsweise der einzelnen Rubriken zu kämpfen hat.
Auch die Kämpfe in den Regionen sind bemerkenswert, denn man schickt, je nach Kartenauswahl natürlich, eigene Einheiten aufs Feld. Kriegsschiffe auf den Karten erlauben es auch nachträglich noch, Einheiten in die Schlacht zu schicken, wenn die Chancen auf den Sieg schon größtenteils verteilt wurden. Sollten sich genug Krieger auf dem Schlachtfeld befinden, wird gekämpft. Die Besiegten ziehen nach Walhalla und die Sieger zur Siegesfeier. Der Kampf ist größtenteils nicht von Glück geprägt, da hier simpel und schnell Mehrheiten verglichen werden.
Manchmal greifen jedoch die Walküren in die Schlacht ein und unterstützen, wer auch immer in dieser Runde ihre Gunst hat. Dafür wird ein Würfel geworfen, der so manches Mal über Sieg oder Niederlage entscheidet. Dieser Aspekt hat natürlich zusätzlichen Einfluss auf die Planbarkeit von Schlachten und führt zu so manchen spannenden Momenten. Wenn man um den Sieg mitkämpfen möchte, darf dieser Aspekt auch nicht vernachlässigt werden, denn er macht 30 bis 40% der Gesamtpunktzahl aus, wenn man die gefallenen Krieger in Walhalla mit dazu zählt. Somit rücken die Kämpfe in den Mittelpunkt, wie es sich für ein Spiel aus der Welt von Midgard gehört.
Fazit: Ein Hoffen und Bangen um die richtigen Karten und darum, die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben. Zudem der ständige Blick auf das Schlachtfeld und die Überlegungen, was die Gegner wohl vorhaben. Ein bewährtes Prinzip, gut umgesetzt, mit einigen neuen Aspekten, ohne das Genre neu zu erfinden. „Clans of Midgard“ empfiehlt sich (nicht nur) für Fans des Themas und denjenigen, die von Drafting einfach nicht genug bekommen können.
Clans of Midgard
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 14 Jahren
Travis R. Chance, Alara Cameron
Corax Games 2024
EAN: 4255682705156
Sprache: Deutsch
Preis: 29,99 EUR
bei spiele-offensive.de bestellen