Algae Inc.

Was man nicht alles aus Algen so machen kann: Kraftstoffe, Shampoos, Hamburger, Hamburgerverpackungen … Bei „Algae Inc.“ kommen wir ins Algenwalgen und optimieren in unserer Abteilung die Algenverarbeitung, unser Vertriebsnetz und bauen unsere Forschung aus. Schließlich wollen wir der großartigste Abteilungsleiter werden. Das Besondere: In jeder Abteilung funktioniert das Prozessieren der Algen vollkommen anders. Wir haben das algige Schwergewicht auf den Spieletisch gehievt.

von LarsB

Traurig ist es schon. „Algae Inc.“ ist das letzte bei „Game Brewer“ erschienene Spiel. Inzwischen ist „Game Brewer“ als Verlag leider Geschichte. „Giant Roc“ hatte sich glücklicherweise an die deutsche Version des Spiels gemacht und beglückt uns nun mit einem Spiel mit deutlich erhöhtem Anspruch. Expertenspiel sagt man im ALGEmeinen dazu. Versprochen, keine weiteren Algen-Wortwitze. Aber mal eben schnell losspielen ist für Neulinge bei „Algae Inc.“ nicht vorgesehen. Neben den gemeinsamen Regeln sind auch immer die Sonderregeln für jeden Spieler im Blick zu behalten. Das legt die Zugänglichkeitslatte nochmal ein Stückchen höher. Inwieweit sich die Mühe lohnt, werden wir hier diskutieren.

Das Spielmaterial und der Spielaufbau

Es ist schon gemein, aber ich fange mit der einzigen auf das Spielmaterial bezogenen Unzulänglichkeit des Spiels an: dem Startspielermarker. Was ist denn da passiert? Eine viel zu kleine gestanzte „1“ in einem kursiven Font, der (für mich) sonst keinen Bezug zum Rest des Spiels hat? Wenn ich nur fünf Minuten Zeit hätte, einen Startspielermarker zu designen, würde vielleicht genau so etwas dabei herauskommen. Dieser Fauxpas fällt deswegen so sehr auf, weil der Rest des Materials grundsolide ist. 

4 kg Spielbox begrüßen einen beim erstmaligen Auspacken: Was für eine Spielbretter- und Plättchenorgie! Die zwei doppellagigen, funktionellen Spielbretter pro Spieler, der Hauptspielplan, der Aktionsplan, der in jeder Partie mit Aktionsstreifen, Wochenendbonusstreifen und Siegpunktstreifen zusammengefügt wird! Ein Haufen Holzsteine, -scheiben und -figuren soll hier nicht unerwähnt bleiben. Man bekommt hier wirklich ordentlich Brennwert für sein Geld – und das in einwandfreier Qualität.

Die Ikonografie ist an sich logisch, aber eben auch sehr vielfältig. Gut, dass auf der Rückseite der Anleitung achtzig (!) verschiedene Icons eingeordnet werden.

Der Aufbau des Spiels ist im Regelheft in 32 Schritten gut erklärt. Aber die Abhandlung von 32 Schritten dauert eben. Uff. Dafür bekommt man einen absolut modularen Spielaufbau: Das Vertriebsnetz unterscheidet sich in jeder Partie erheblich, die Abfolge von Aktionsmöglichkeiten ist wie in keiner zweiten Partie und die Meilensteinplättchen bieten in jeder Partie Siegpunkte für andere Errungenschaften.

Jeder Spieler hat dann ja noch sein eigenes Spielbrett, in das zum Beispiel zehn Exportplättchen eingefügt werden müssen und in die es die Wissenschafts-, Technik- und Komboplättchen einzupuzzeln und teilweise zu stapeln gilt. Und schließlich muss sich jeder, der noch nicht „Algae Inc.“-Profi ist, noch mit dem vierseitigen Regelheft seiner Abteilung beschäftigen. Doppel-Uff. Zumindest werden hier eigentlich alle Fragen beantwortet.

Auch ohne Erklärung dauert es schon mal 45 Minuten, bis das Spiel losgehen kann. Bleibt die Frage, ob sich der ganze Aufbauaufwand auch wirklich lohnt.

Der Spielablauf und das Spielgefühl

Zum Auftakt der Woche bescheren unsere bisher eingestellten Mitarbeiter unser Einkommen. Das können die vom Logistiker ergatterten Algen sein, die unsere Lager auffüllen, oder Wissenspunkte unserer Wissenschaftler, die unsere Innovationskraft verbessern. Unsere Ingenieure sorgen dafür, dass zum Montagmorgen schon mal ein paar Algen verlustfrei durch ein paar Stationen unserer Algenverarbeitungsmaschine geschickt werden.

Jede der insgesamt vier Wochen laufen wir einen Aktionspfad entlang, Das bedeutet, dass vorher gewählte Aktionen die kommenden Aktionsauswahlmöglichkeiten einschränken. Bevor man also den ersten Schritt macht, hat man besser schon einen Plan für die Restwoche. Die Aktionsmöglichkeiten selbst sind übersichtlich: einen Mitarbeiter rekrutieren, eine Fachabteilung arbeiten lassen oder unsere Maschine arbeiten lassen. Unser Logistiker soll nicht nur für neue Algen sorgen, sondern diese auch am Markt verkaufen. Auf unser Vertriebsnetz in Europa bezogen bedeutet das die Erschließung neuer Städte und den Erhalt von Boni, wenn uns das als erste Abteilung gelungen ist. Unsere Ingenieure sorgen dafür, dass unsere Maschinen effizienter arbeiten. Grundlage dafür bildet die Arbeit unserer Forscher, die einen „Innovationsraum“ schaffen. Spielmechanisch wird hier auf dem Abteilungstableau Platz geschaffen, um Plättchen aus der Anlage herauszunehmen und einpuzzeln zu können – natürlich mit einem Einpuzzlebonus, wenn man geschickt genug puzzelt. 

Hier hat das Spiel aus meiner Sicht seine großen Stärken. Es macht einfach Spaß, durch die Forschung Verbesserungen zu erreichen und seine Ingenieure an der Maschine schrauben zu lassen. Dabei gibt es gleich drei Maschinenabschnitte und jede Menge Haupt- und Nebenprozesswege. Fast alles lässt sich verbessern. Es ist so unglaublich viel auszuprobieren, wenn man sich vor Augen hält, dass die vier Anlagen der unterschiedlichen Abteilungen manchmal in Details, manchmal auch grundlegend anders funktionieren.

Aber man beachte, „Algae Inc.“ scheint kein Spiel zu sein, in dem man am Ende der Partie die gesamte Maschine ausgebaut hat. Das ist in meinen Partien zumindest niemandem auch nur ansatzweise gelungen. Hier braucht man den richtigen Fokus, auch in Verbindung mit dem Aktionsauswahl-Tableau.

Jetzt passiert es aber, dass das Aktionsauswahltableau nach jeder Runde wechselt, weil ein Aktionsstreifen umgedreht wird und damit andere Aktionen anbietet. Das ändert die Möglichkeiten in jeder Runde etwas. Damit können plötzlich ganz andere Aktionsabfolgen interessant werden. Manchmal verzweifelt man fast an der Aktionsmöglichkeiten-Abfolge. Es gibt Partien, da ergibt sich fast logisch „die beste“ Abfolge, und Partien, in denen man arg grübelt. In jeder Runde, in der ich exportiere, erhalte ich einen nachhaltigen Exportbonus. Ist dieser Bonus das wert? Muss ich alles daran setzen, in dieser Runde zu exportieren oder pfeife ich auf den Bonus und investiere lieber in die eigene Maschine?

Mit dem Erreichen von Meilensteinen erhöht man sein Siegpunkteeinkommen am Anfang einer jeden Runde. Mit dem Export hergestellter Waren in europäische Städte (das Handelsembargo von Russland ist in diesem Spiel politisch opportun umgesetzt) schaltet man monetäres Einkommen frei. Hat man auf diese Weise seine vorher mit Meilensteinscheiben und Exportscheiben belegten Exportplättchen freigespielt, darf man auch eines pro Zug ausspielen, um seinen Zug zu wiederholen. Will man wirklich auf das Einkommen verzichten, um seinen Zug mächtiger zu machen? Auch hier eine coole Abwägung. Insbesondere, da man seine Aktionen mit den entsprechenden Token noch leicht oder sogar komplett ändern kann! 

Jede Abteilung hat neun eigene Auftragskarten. Drei davon kommen für jede Fraktion zufällig ins Spiel. Man sucht sich nun eine Zusammenstellung aus meinem permanenten Effekt, einem besonderen Exportauftrag (inklusive Belohnung) und einem Auftrag, der einen in der Schlusswertung belohnt, heraus. Und ja, wir ahnen es, das verlagert Strategie und Taktik in jeder Partie.

Damit das Spiel nicht in eine Schieflage gerät, werden am Rundenende die allgemeinen Algenvorräte balanciert. Das fühlt sich nicht sofort intuitiv an. Es stellte sich in unseren Partien heraus, dass wir hier fast nie eingreifen mussten.
Der Vollständigkeit sei hier geschrieben, dass das Spiel noch gar nicht vollständig beschrieben wurde. Wir müssen beispielsweise noch die finanzielle Ausstattung unserer Abteilung ebenso im Blick behalten wie unsere Energievorräte. Genug Energie bedeutet mehr Rundenende-Boni und wahrscheinlich auch mehr Siegpunkte am Spielende. Wahrscheinlich ist aber euer Kopf schon geplatzt. Nehmt euch schnell einen Algen-Shake. Der ist echt lecker. Vielleicht.

Meine Gedanken

„Algae Inc.“ ist ein Spiel mit Ecken und Kanten. Es ist definitiv kein Spiel für jeden. Aber welches Spiel ist das schon? Den Spielern wird einiges abverlangt, sich das Spiel zu erschließen. Bei seiner Experten-Zielgruppe liefert „Algae Inc.“ ab.

Belohnt wird man nach Überspringen der Zugänglichkeits- und Aufbauhürde mit einem vielschichtigen und abwechslungsreichen Spiel, das man über zahlreiche Partien ergründen kann. Das Ausbauen der eigenen Maschine und das Erforschen der neuen Technologien können sich so belohnend anfühlen. Und manchmal fühlt es sich auch richtig blöd an. Weil man nicht im Blick hatte, dass man den gerade getätigten Ausbau gar nicht nutzen kann. „Algae Inc.“ verlangt von uns eben vorausschauendes Planen über den nächsten Zug hinaus. Gerade in den ersten Partien führt das zu Hirnschmelze. In späteren Partien spielt sich „Algae Inc.“ zunehmend flotter. Partien zu zweit sind dann in deutlich unter 60 Minuten zu bewerkstelligen.



Flott ist die Aufbauzeit des Spiels allerdings nicht. Ein großes Fragezeichen male ich an die Frage, ob bei „Algae Inc.“ die Balance zwischen Aufbauzeit und Spielzeit noch im Rahmen geblieben ist.

Ins Gehege kommt man sich mit den Mitspielern primär beim Erschließen der Märkte und beim Ausfassen der firmeneigenen Algenvorräte. Bei ersterem wird uns durch fleißige Mitspieler der Zugang zu neuen Märkten vergünstigt, aber die kleinen Überraschungsboni fallen dann für uns weg. Manchmal ist das der fehlende kleine Unterschied, der uns im nächsten Zug handlungsfähig gemacht hätte. Und bei den Meilensteinen sind wir dann womöglich hinten dran. Das Erreichen der Meilensteine geschieht nämlich im Wettrennmodus: Früher ergibt mehr Punkte – außer man hat eine permanente Fähigkeit, die einem beim Erreichen eines Meilensteins immer die volle Punktzahl gibt. Ihr seht schon, wohin das mit den Sonderfähigkeiten führt. 

Fazit: Aus Algen kann man bestimmt Weichspüler herstellen, aber „Algae Inc.“ selbst ist sicherlich kein weichgespültes Spiel. Es braucht Energie, sich dieses Spiel zu erschließen. Damit würde ich es in der Hauptsache erfahrenen Spielern mit Lust auf komplexe Spiele empfehlen. Diese bekommen dann ein Spiel, das sie über viele, wirklich viele, viele Partien ergründen können. Das zeichnet „Algae Inc.“ aus wie kaum ein anderes Spiel. Und interessante Entscheidungen mit erweitertem Planungshorizont bietet das Spiel zuhauf, wenn man erst einmal die Auswirkungen überblickt. Das vielseitige Basteln an der Anlage und das Verbessern der Maschinen machen „Algae Inc.“ zu einem wahren Engine-Builder, bei dem man sich manchmal so schlau und manchmal so dumm fühlt.

Algae Inc
Brettspiel für 1-4 Spieler ab 14 Jahren
Julia Thiemann, Christoph Waage
Giant Roc 2025
EAN: 4255682705514
Sprache: Deutsch
Preis 69,00 EUR

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