Der Schatten des Dämonenfürsten

Dunkel und finster ist die Welt des am Rande des Abgrunds. Doch gibt es noch tapfere Krieger, die sich dem Ende entgegenstellen. Auf jene fällt er, der „Schatten des Dämonenfürsten“. Wie gelungen ist diese Variante eines düsteren Fantasy-Rollenspiels?

von Jens Krohnen

Robert J. Schwalbs rollenspielerische Autorenvita liest sich beeindruckend. Beim Green-Ronin-Verlag arbeitete er an den „Warhammer“-Rollenspielen, „Freeport“ und „A Song of Fire and Ice“ mit, schrieb für Monte Cooks „Numenera“ und war außerdem einer der Lead-Designer der 5. Edition von „Dungeons & Dragons“, dem Platzhirsch unter den Rollenspielsystemen. 2014 begann dann die Arbeit an „Der Schatten des Dämonenfürsten“, welches seit 2018 im deutschsprachigen Raum vom System-Matters-Verlag herausgegeben wird.

Inhalt

Widmen wir uns also zunächst einmal dem schwergewichtigen Grundregelwerk. Dieses erscheint im stabilen Hardcoverformat, ist vollfarbig und reichhaltig auf hohem Niveau illustriert, verfügt gleich über zwei Lesebändchen und bringt stolze 354 Seiten auf die Waage. Die Verarbeitung ist absolut hochwertig und verspricht Langlebigkeit.

Ein Blick auf das umfangreiche Inhaltsverzeichnis offenbart, dass wir es mit einem kompletten System in einem Band zu tun haben. Nach den obligatorischen Einführungsworten der Autoren finden wir direkt alle notwendigen Regeln zur Charaktererschaffung und -entwicklung. Diese ist bei „Der Schatten des Dämonenfürsten“ interessant geregelt, sodass wir darauf später noch einmal gesondert zu sprechen kommen. In weiteren Kapiteln werden zahlreiche Ausrüstungsgegenstände, diverse Zauberschulen und ein ganzer Haufen unterschiedlichster Zauber vorgestellt. Außerdem wird auf knapp 32 Seiten ein eigenes Setting grob umrissen.

Die letzten knapp 120 Seiten des Bandes widmen sich dann dem Spielleiter. Dieser erhält nicht nur einen Aufsatz mit hilfreichen Tipps und Tricks zum Entwerfen von Abenteuern und Leiten von Kampagnen. Stattdessen wird auch ein ganzer Werkzeugkasten nützlicher Utensilien geboten. So werden Fallen vorgestellt, passende Belohnungs- und Schatztabellen, magische Gegenstände und Relikte und nicht zuletzt ein umfangreiches Bestiarium. Hier findet der interessierte Spielleiter wirklich reichlich Material, um seine eigenen Abenteuer schreiben zu können.

Regeln

Wie bereits angedeutet, möchte ich zunächst ein wenig auf die Charaktere eingehen. Diese setzen sich in erster Linie aus einigen Attributen – Stärke, Gewandtheit, Intelligenz und Willenskraft – sowie einigen davon abgeleiteten Eigenschaften – wie Lebenspunkten oder Wahrnehmung – zusammen. Eine Fertigkeitenliste gibt es nicht. Charaktere beginnen das Spiel auf Stufe 0 und können zu diesem Zeitpunkt zwar bereits einige Attributspunkte verändern und beginnen auch mit mehreren „Berufen“ sowie einer „Abstammung“; diese wirken sich aber nicht direkt auf die Spielwerte aus. Das ändert sich, sobald die erste Stufe erreicht wird und eine erste Klasse – hier „Lehrlingspfad“ genannt – gewählt werden darf. Auf der ersten Stufe gibt es nur vier solcher Klassen: Krieger, Priester, Schurke oder Zauberkundiger. In späteren Stufenaufstiegen darf man jedoch Gesellen- und Meisterpfade auswählen, von denen es eine rechte Vielzahl gibt und die auch munter miteinander kombiniert werden können. So kann aus dem Krieger der ersten Stufe später ein Zauberschmied oder ein Dieb – aber auch ein Kämpfer – werden. Die Kombinationsmöglichkeiten sind nahezu unendlich und versprechen vielschichtige Charaktere mit sehr individuellen Fertigkeiten.

Der eigentliche Regelkern ist simpel und dürfte jedem, der einmal ein D20-Regelwerk gespielt hat, schnell von der Hand gehen. Ein wenig wirkt das Regelkonstrukt wie eine Mischung aus den verschlankten „Dungeons & Dragons“-Regeln der 5. Edition und einigen modernen OSR-Vertretern. Grundsätzlich würfelt man eine Probe mit einem zwanzigseitigen Würfel gegen einen vom Spielleiter festgelegten Schwierigkeitsgrad (normalerweise zehn); hohe Werte in Attributen können Boni gewähren, andere Effekte Mali. Um äußere Umstände darzustellen gibt es die aus „Dungeons & Dragons“ bekannte Bonus-/Maluswürfel-Mechanik: ein zusätzlicher Würfel wird geworfen und je nach Situation muss man das bessere oder schlechtere Ergebnis verwenden.

Während die Kampfregeln ganz ähnlich funktionieren und Varianz in erster Linie über die verschiedenen Waffentypen hergestellt wird, ist noch das Initiative-System interessant: Man kann im Spiel wählen, ob man eine schnelle Aktion oder langsame Aktion ausführen möchte; während die schnellen Aktionen zwar zuerst agieren, dürfen die langsameren Charaktere zwei Aktionen durchführen. So werden ständig taktische Entscheidungen verlangt, welche den Kampf würziger gestalten. Ebenfalls erwähnenswert sind Regeln für Wahnsinn und Verderbnis, welche in einer düsteren Fantasy-Welt natürlich nicht fehlen dürfen; insbesondere die Verderbnisregeln versprechen interessante Rollenspielerlebnisse, wenn die Interaktion mit denkenden Wesen immer mehr erschwert wird.

Setting

Das kurz umrissene Setting beschreibt eine Fantasy-Welt am Rande des Abgrunds. Der Kaiser ist tot, die als Kriegssklaven geschaffenen Orks haben rebelliert und suchen nun ihren Platz in der Gesellschaft. Die Verehrung der alten Götter wurde von der Kirche des Neuen Gottes verdrängt und die dampfgetriebene Technik verändert die Landschaft immer weiter. Auf diese unruhige Welt fällt nun der titelgebende „Schatten des Dämonenfürsten“, welcher Verderbnis und Wahnsinn mit sich bringt. Und wenn es dem Fürsten gelingt, den Riss zwischen den Dimensionen so weit aufzustoßen, dass er hindurchtreten kann, ist die Welt dem Untergang geweiht … Das Setting ist dabei dicht genug beschrieben, um ein Gefühl für die großen Konflikte in der Welt zu entwickeln, und lässt gleichzeitig genügend Raum, der von erfahrenen Spielleitern recht problemlos gefüllt werden kann.

Kritik

„Der Schatten des Dämonenfürsten“ bringt einige charmante Ideen zusammen, welche ich an dieser Stelle etwas beleuchten möchte: Auf der einen Seite wäre da ein enges und gut durchdachtes Kampagnenkonzept. Die Charaktere können maximal bis zur zehnten Stufe aufsteigen; üblicherweise ist ein Stufenanstieg am Ende eines erfolgreichen Abenteuers angedacht. So erhält man eine Kampagne, die nach 11 Abenteuern – den Aufstieg auf die erste Stufe mit eingerechnet – beendet ist. So lassen sich dichte und intensive Kampagnen steuern, welche selbst für eher sporadisch spielende Gruppen absolut machbar sind. Diese Eigenart des Systems richtet sich ganz klar an Spieler mit einem vollen Terminkalender.

Auf der anderen Seite haben mir die wirklich unzähligen Zufallstabellen im Grundregelwerk imponiert. So lassen sich von der Charaktermotivation bis zum Zaubereffekt, von der Art und Beschaffenheit des magischen Gegenstandes bis zur boshaften Kreatur diverse Themen über stimmige Zufallstabellen abhandeln. Die schiere Menge der Tabellen zeugt von der großen Kreativität, die diesem Buch innewohnt. Und wie immer gilt natürlich: Wer den Würfelwurf manche Dinge nicht entscheiden lassen mag, der kann hier auch einfach nur reichlich Inspiration finden. Diese Modularität findet sich denn später auch in der Settingbeschreibung wieder, bei der problemlos einzelne Elemente gestrichen werden können.

Bei all der überbordenden Kreativität ist es fast schon schade, dass dem gesamten Spiel bereits ein erzählerischer Stempel aufgedrückt wurde, denn natürlich sind die dargebotenen Optionen und Settingversatzstücke bewusst grimmig und düster gehalten. Immerhin fällt bereits der „Schatten des Dämonenfürsten“ auf die Welt, sodass sie kurz vor dem Abgrund steht. Diese Düsternis spiegelt sich nicht nur oftmals in den Zufallstabellen wider, sondern wirkt sich insbesondere auch auf die Auswahl abscheulicher Kreaturen im Bestiarium aus. Während sich das System also prinzipiell eignet, um alle Arten einer fantastischen Kampagne darzustellen und das innovative Kampagnensystem problemlos auf andere Settings übertragbar ist, bedarf es doch noch einige Arbeit für Spielleiter wie Spieler, um die Tonalität des Materials zu ändern. Das muss freilich niemanden stören, der Spaß an grimmiger Dark-Fantasy hat.

Fazit: Ein eingängiges, leichtläufiges System gepaart mit einem wirklich vollständigen Regelwerk. Dazu reichlich verrückte Ideen und eine optisch höchst ansprechende Aufbereitung. Wer grimmiger Dark-Fantasy etwas abgewinnen kann, sollte hier unbedingt zugreifen, alle anderen dürfen zumindest einen Blick auf das gute Kampagnensystem und die interessante Charakterprogression werfen. Empfehlenswert.

Der Schatten des Dämonenfürsten
Grundregelwerk
Robert J. Schwalb, Daniel Neugebauer u.a.
System Matters 2018
ISBN: 978-3-96378-009-7
354 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 49,95

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