Cosmogenesis

Es gibt viele Science-Fiction-Brettspiele da draußen. Die meisten erzählen vom Wettlauf ins All, von der Besiedelung des Mars und anderer Welten oder vom erbitterten Kampf zwischen außerirdischen Zivilisationen. Welch ungewöhnliche Abwechslung versprach da „Cosmogenesis“, das zur – zumindest grundlegend wissenschaftlich fundierten – Schöpfung eines eigenen Sternensystems einlädt. Das musste ich mir anschauen!

von Frank Stein

„Cover verkaufen Produkte“ – diese Wahrheit gilt für Bücher ebenso wie für Musik-CDs, Blu-Rays und Brettspiele. In dieser Hinsicht macht „Cosmogenesis“ wirklich alles richtig. Selten ist mir eine Spielebox untergekommen, deren Covermotiv mich derart verlockt hat, zuzugreifen und das Spiel mitzunehmen. Eine strahlende Sonne im Zentrum, umgeben von glühenden Nebeln, beleuchtet ein dichtes System aus Himmelskörpern, ein Schöpfungsbild von enormer Symbolkraft – und zugleich ein erstaunlich guter Teaser auf das, was kommen wird.

Auch das Spielmaterial im Inneren der Box kann sich sehen lassen. Blauschattierungen vom Violetten bis ins Grünliche herrschen vor, was angesichts der eigentlichen Schwärze des Alls nicht ganz realistisch sein mag, aber dem Auge ungemein schmeichelt. Dazu gesellen sich bunte Planeten, pockennarbige Asteroiden, glühende Kometen und mehr. Es mag den Bildmotiven an Opulenz mangeln (klar, ein kleiner Gasriesenmarker zeigt halt im Wesentlichen eine grüne, rote oder blaue Kugel), doch die Farbstimmung auf dem Tisch ist toll und sorgt für kosmische Atmosphäre.



Das Spielprinzip ist keineswegs kompliziert und wird durch gut verständliche Regeln (und mehrere Spielhilfen) anschaulich erläutert. In sechs Runden (zu je vier Zügen) müssen zwei bis vier Spielende ein eigenes Sonnensystem erschaffen. Das beginnt jeweils mit einer leeren Systemtafel, die fünf Slots für Planeten sowie deren Monde aufweist. Außerdem erhält man, je nach Position in der ersten Spielrunde ein bis vier Asteroiden sowie ein „planetares Ziel“ (dazu gleich mehr). Kernelement des Spiels ist die zentrale Kosmostafel mit vier Bereichen, auf der zu Beginn jeder Runde zufällig Planeten (in zwei Bereichen) sowie planetare Ziele beziehungsweise stellare Ziele ausgelegt werden. Dazu kommen – je nach Spielerzahl – noch Asteroiden und Kometen.

Beginnend mit dem Startspieler geht es dann los. Wer am Zug ist, hat eine Hauptaktion und eine Nebenaktion. Als Hauptaktion nimmt man einen seiner vier farbigen Spielsteine und platziert diesen in einem der vier Sektoren der Kosmostafel. Daraufhin darf man sich ein Plättchen aus dem Bereich nehmen, also zum Beispiel einen Planeten. Der wird dann in einen freien Slot der eigenen Systemtafel gelegt. Kleinere Planeten können auch als Monde platziert werden, Asteroiden landen im Asteroidengürtel usw. Als Nebenaktion darf man dann beispielsweise einen Mond (der Größe 1) erschaffen, indem man einen Asteroiden aus dem Asteroidengürtel in die Umlaufbahn eines Planeten bringt. Man kann auch einen Kometen erschaffen, indem man zwei Asteroiden ablegt. Kometen sind wichtig, um höherwertige Planeten zu erzeugen, also aus toten Erdähnlichen blühende Welten zu machen und Gasriesen mit hübschen Ringen zu versehen.



Ein wirklich wichtiger Spielmechanismus hierzu ist die Kollision. Kollisionen von Asteroiden mit Planeten erzeugen größere Planeten. Kollisionen von Kometen mit erdähnlichen Welten der Größe 3 und 4 erzeugen wasserreiche Planeten, die Basis für jedes Leben. Kollisionen von zwei Asteroiden bringen einen erdähnlichen Himmelskörper der Größe 2 hervor. Kollisionen sind also das Mittel der Wahl, um das eigene Sonnensystem „aufzuwerten“, bis es schließlich Leben hervorbringt, das im Laufe einiger Runden von der Mikrobe zur intelligenten Zivilisation aufsteigt. Diese Evolution geschieht weitgehend von selbst (am Ende jeder Runde rückt man den Marker eine Evolutionsstufe weiter), aber gewisse Belohnungen für das Erringen planetarer Ziele sowie gewisse astronomische Objekte können diese beschleunigen.

Bis hierhin klingt das alles wie ein gemütlicher Samstagnachmittagsspaziergang. Jeder spielt so vor sich hin und baut sich ein hübsches Sonnensystem. Tatsächlich ist der kompetitive Charakter in „Cosmogenesis“ eher gering. Man kann sich nicht direkt stören, abgesehen davon, dass man den Gegnern begehrte Plättchen von der zentralen Kosmostafel wegschnappt. Das eigentliche Ziel des Spiel besteht jedoch nicht darin, bloß wahllos Planeten und Monde auf Umlaufbahnen zu reihen. Stattdessen will man der „beste Weltenschöpfer“ sein, indem man am Ende bei der Punktwertung die meisten Punkte erringt.



Hier kommen die bereits erwähnten planetaren und stellaren Ziele ins Spiel. Jedes von ihnen zeigt gewisse Bedingungen an, die man erfüllen muss, um Punkte zu erhalten. Stellare Ziele geben dabei stets Planeten-Mond-Konstellationen vor. So muss man etwa einen Größe-2-Gasriesen und 2 Monde der Größe 1 in einem Slot haben, um ein Ziel zu erfüllen. Oder einen Größe-4-Erdähnlichen mit Wasser und 3 Monde der Größe 2. Dafür gibt es dann nicht nur Sofortbelohnungen, etwa einen extra Asteroiden oder das Fortschreiten der Evolution auf einer Welt um eine Stufe, sondern man erhält eben auch Punkte. Die stellaren Ziele werden im Laufe der Partie gesammelt, bis am Ende jeder Spielende drei hat. Hier kommt es beispielsweise drauf an, am Ende möglichst viele Asteroiden in Umlaufbahnen zu haben. Oder ein System, in dem sich Gasriesen und Erdähnliche immer abwechseln. Oder man erhält Punkte für alle unterschiedlichen Himmelskörper im eigenen System (Gasriese, Erdähnliche, Asteroiden usw.). Des Weiteren gibt es Punkte für Evolutionsstufen auf den eigenen Planeten, für den wertvollsten Asteroidengürtel und für astronomische Objekte.

Beim Erlangen der oben genannten Ziele trennt sich dann die Spreu vom Weizen. Klar, irgendein Sonnensystem kann jeder erschaffen. Aber eins, das am Ende satt Punkte bringt? Das ist schon deutlich schwieriger und erfordert durchaus einige Vorausplanung. Insofern ist die Einstufung als Kennerspiel ab 10 Jahren nicht ganz falsch, wobei ich „Cosmogenesis“ persönlich durchaus für familientauglich halte. Denn am Ende steht und fällt der Schwierigkeitsgrad mit der Erfahrung der Mitspielenden. Man kann den Sonnensystembau ganz entspannt angehen – oder knallhart auf Punkte optimiert.



Die angegebene Spieldauer von 60 bis 90 Minuten ist durchaus realistisch, was „Cosmogenesis“ zu einem guten Spiel macht, das man im Rahmen eines Spielenachmittags mit ein oder zwei anderen Spielen auf den Tisch bringt. Dabei ist es von der Art her durch und durch ein Eurogame. Eine Erzählkomponente gibt es nicht. Insofern ist es kein Spiel, das man am Stück wieder und wieder spielen will, sondern eher einer der Kandidaten, die sich gut im Spieleregal machen, um immer mal wieder hervorgeholt zu werden.

Will man (gerade als Vielspieler) Kritik üben, dann vielleicht die, dass „Cosmogenesis“ nicht ganz so komplex ist, wie man es sich vielleicht vorgestellt hätte. So bleibt die Schöpfung des Sonnensystems etwa relativ abstrakt. Man kann die Planeten, auf denen Leben entsteht, nicht beeinflussen, das Leben selbst ist nur ein Spielmarker auf einer Leiste. Dabei wäre es witzig gewesen, wenn unterschiedliche Bedingungen (Entfernung zur Sonne, Größe des Planeten, vielleicht Art der eingeschlagenen Kometen) zu unterschiedlichen Lebensformen geführt hätten. Andererseits wäre so ein „Sim Earth“-Konzept vermutlich übers Ziel hinausgeschossen. Das wäre dann ein anderes Spiel gewesen.



Fazit: „Cosmogenesis“ sieht toll aus und bietet eine unverbrauchte Spielidee. Der Wettstreit um die Erschaffung des „besten“ Sonnensystems macht auch absolut Laune, wenn man auf jede Art von Erzählkomponente verzichten kann und  reine Eurogames mag. Das Spielprinzip ist nicht sonderlich komplex, herausfordernd wird es durch den Optimierungswillen und die Punktejagd der Spielenden. Angepriesen wird es als Kennerspiel, in meinen Augen eignet es sich jedoch auch – oder vielleicht gerade – für Familien mit weltraumbegeisterten Kindern. Für den (heutzutage geradezu) günstigen Preis auf jeden Fall eine Empfehlung!

Cosmogenesis
Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahren
Yves Tourigny, Juan Luque, Rafael Sáiz
Ludonova/Asmodee 2021
EAN: 4015566601666
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 29,99

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