von Oli Clemens

Ein überfüllter Marktplatz, ein gestohlener magischer Geldbeutel und eine Verfolgungsjagd auf den Fersen zweier Zwerge – mehr braucht es nicht, um Freunde fürs Leben zu werden. Zumindest ist es genau so bei Tomrin, Hanissa und Sando, den drei Protagonisten in „Drachengasse 13: Schrecken über Bondingor“. Die drei leben in der Metropole am Fluss Fleet, doch sind sie sich vorher nie begegnet. Wie auch, denn sie wuchsen sehr unterschiedlich und in unterschiedlichen Teilen der Stadt auf.

Tomrin von Wiesenstein ist zwölf Jahre alt und der Sohn des Hauptmanns der Stadtgarde. Er lebt behütet innerhalb der Festung, ist edelmütig und stets bereit, anderen zu helfen. Hanissa, die von ihren Freunden Nissa genannt wird, ist ebenfalls zwölf und lebt mit ihrer Mutter in der Magischen Universität. Dort werden Männer zu Magiern ausgebildet, doch für die Tochter einer Köchin ist als Mädchen der Weg zur Zauberei verschlossen. Für die talentierte Nissa bleibt deswegen nur, sich selbst mit der Magie vertraut zu machen. Sando ist dreizehn und Waise. Er wächst in den Gassen des Hafenviertels auf, kennt die schnellsten Wege durch die verwinkelten Gassen und weiß, wie man sich durchschlägt. Mit den Gesetzen der Stadt nimmt er es aber nicht immer so genau.

Der Zufall bringt die drei zusammen, als sie gemeinsam Nissas gestohlene Geldbörse aus den Händen der Diebe Borin und Orin retten. In ihrem Geheimversteck, einem fast unsichtbaren Haus in der Drachengasse 13, errichten sie ihr Hauptquartier für ihre Streifzüge durch Bondingor, außerhalb der Regeln und Restriktionen der Erwachsenen. Dort hecken sie auch den gemeinsamen Plan aus, mehr über den „Nachtfresser“ herauszufinden, das Monster, das seit einiger Zeit Bondingor nachts verwüstet. Sie wollen den Unterschlupf des Wesens ausfindig machen. Bald schon erfahren sie, dass das Monster gar nicht so schrecklich ist und ihre Hilfe gut gebrauchen kann. Doch sie müssen sich beeilen, denn die Monsterjäger-Profis Sardor und Klynt sind bereits in der Stadt gesehen worden.

„Drachengasse 13: Schrecken über Bondingor“ ist ein Abenteuerroman, der für Kinder ab 10 Jahren geschrieben wurde. Die dürfen sich auf 217 spannende Seiten freuen, die sich in 13 Kapitel gliedern. Die Schriftgröße und der Zeilenabstand passen zur Zielgruppe und machen das Lesen des Textes auch für ungeübte Leser einfach. Vom ersten Treffen bis zum gemeinsamen Happyend begleiten wir die drei Protagonisten auf ihren Wegen durch die Großstadt, die sich als ein abwechslungsreicher und farbenfroher Schmelztiegel der Fantasy-Motive entpuppt.

In Bondingor wandern Minotauren durch die Straßen, wir erfahren von Trollen, Golems und Gnomen. Drachen werden in Flugschulen ausgebildet, mürrische Wasserspeier nörgeln von den Hauswänden, über den Dächern der Stadt leben Kobolde in einer Parallelgesellschaft, die den meisten Lebewesen Bondingors verschlossen bleibt, nur nicht den drei Freunden. Während sich die Handlung schnell entwickelt, wechselt der Erzähler seine Perspektive und schenkt nacheinander jedem der Kinder seine Aufmerksamkeit. Dann erfahren wir mehr über ihr Leben in ihrem Teil der Stadt, lernen sie und ihren Charakter besser kennen und freunden uns schnell mit ihnen an. Von Tomrin erfahren wir, wie sehr er als Sohn des Hauptmanns der Stadtgarde in einem strengen Kodex der Ehrenhaftigkeit und Regeltreue heranwächst, der ihm aber gar immer so recht ist. Hanissa opponiert gegen die starren Vorgaben einer von Männern dominierten Zaubergesellschaft. Sie ist zwar noch ein Kind, aber ihr Talent zur Magie und ihr Wille, sich alles eben selbst anzueignen, zeigen deutlich Parallelen zu einer uns allen bekannten Hexe aus Hogwarts. Nach dem Tod seiner Eltern, kümmert sich der Zwerg Gump um das Waisenkind Sando. Er führt eine Kneipe, also bleibt nicht viel Zeit für Erziehung. Sando ist somit der freieste der drei Freunde, kennt die Stadt wie seine Westentasche. Er kann die Dinge tun, mit denen Tomrin hadert. Zusammen ergänzen sie sich wunderbar in ihrem Abenteuer und können ihre Stärken sinnvoll auf der Suche nach dem „Nachtfresser“ ins Team einbringen. Gleichzeitig schenkt uns der Erzähler immer wieder einen Blick auf ihre schwachen Seiten, mit denen sie durchs Leben gehen. Das erhebt die drei von den archetypischen Figuren Paladin, Zauberin und Dieb zu richtigen Charakteren mit Tiefgang.

„Drachengasse 13: Schrecken über Bondingor“ ist ein wunderbarer fantastischer Abenteuerroman. Wer genug über Kinder auf Schrottplätzen oder in Schulklassen gelesen hat und den Schritt in die High Fantasy wagen will, kommt mit den Abenteuern von Tomrin, Nissa und Sando voll auf seine Kosten. Als Leser bekommen wir einen sehr guten Eindruck von der quirligen Großstadt Bondingor durch die Augen von Kindern. Die Übersichtskarte im Einband des Romans gibt uns die Möglichkeit, mit den drei Helden durch die verschiedenen Teile der Stadt zu streifen. Stets treffen wir im Abenteuer um den „Nachtfresser“ auf bewährte Motive der Abenteuerliteratur, die dann aber doch immer wieder überraschen. Humorvoll gehen die beiden Autoren mit den Klischees des Genres um, wenn sie beispielsweise die beiden Monsterjäger Sardor und Klynt bei deren Einzug in die Stadt porträtieren oder uns einen Blick in die Magische Universität gewähren. Im ganzen Roman fließt kein einziger Tropfen Blut, das ist mit Blick auf die Zielgruppe auch absolut angemessen. Trotzdem müssen wir auf einen spürbar mitreißenden Spannungsbogen, fiese Antagonisten und die Intervention der Deus ex Machina nicht verzichten.

Fazit: Erwachsene, die ihren Kindern den Einstieg in die Fantasy-Literatur ermöglichen wollen, sollten unbedingt eine Ausgabe von „Drachengasse 13: Schrecken über Bondingor“ im eigenen Regal haben oder den Roman schnellstmöglich an Kinder verschenken.

Drachengasse 13: Schrecken über Bondingor (neue Edition)
Fantasyroman (ab 10 Jahren)
Bernd Perplies, Christian Humberg
Edition Roter Drache 2021
ISBN: 978-3-96815-027-7
217 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 10,95

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