Das Jahr des Greifen

Vor mehr als 20 Jahren, in der guten alten aventurischen Zeit: Der aventurische Norden befindet sich mitten im Orkensturm. Die Orks erobern das Svelltland, überrennen das nördliche Mittelreich und marschieren gen Gareth. Nach einem ersten Sieg über die Orks auf den Silkwiesen bei Gareth werden die Helden nach Greifenfurt gesandt, um die Stadt zurückzuerobern und bis zur endgültigen Befreiung zu halten. Doch es geschehen mehrere unheimliche Morde, die es aufzuklären gilt, während gleichzeitig Gefahr durch Angriffe der Orks droht.

von Ansgar Imme

Anfang der 1990er Jahre startete bei Bastei-Lübbe der damals nur in „DSA“-Kreisen bekannte Bernhard Hennen in Kooperation mit dem bekannten deutschen Fantasy- und Mystery-Autor Wolfgang Hohlbein den Versuch einer Romanreihe für das Rollenspiel „Das Schwarze Auge“. Der Dreiteiler um die Befreiung von Greifenfurt war so beliebt, dass er mehrere Auflagen erlebte und auch in Form zweier Abenteuer für das Rollenspiel adaptiert wurde. Die Handlung der Abenteuer hielt sich eng an die Romane und war zum Teil nur sehr dürftig ausgearbeitet. Etwa in 2004 begann im Forum auf der heute eingestellten und damals sehr beliebten „DSA“-Plattform Alveran.org der Versuch, die Abenteuer zu überarbeiten, besser zu gliedern und Handlungsstränge klarer für die Spieler und den Spielleiter greifbar zu machen. Es dauerte schließlich noch fast 10 Jahre, bis das Ergebnis veröffentlicht wurde.

Inhalt und Handlungsüberblick

Die Einleitung liefert die Einordnung der Kampagne in den historischen Hintergrund, Vorschläge zur Auswahl und Erfahrung der Helden, eine Zusammenfassung der wichtigsten Handlungsstränge sowie Musikvorschläge und Ideen zur Spielleitung in der Kampagne. Die ehemals zwei Abenteuerbände werden dann in fünf Kapitel gegliedert, die als Klammern die Rahmenhandlung bilden.

Im ersten Kapitel finden sich die Helden mit Gareth vor der größten Stadt des Kontinents wieder. Die Orks haben den Norden und damit das Svelltland und das nördliche Mittelreich überrannt und erobert und streben auf das Herz des Reiches zu. Die Helden kämpfen unter der Fahne eines Plänklerbanners gegen die Orks und werden in zahlreiche Gefechte verwickelt. Sie können sich dabei so sehr beweisen, dass die KGIA – die Königlich-Garethische Informations-Agentur und damit der Geheimdienst des Mittelreichs – auf sie aufmerksam wird.

Der zweite und dritte Abschnitt führt die Helden dann im Namen der KGIA von Gareth nach Greifenfurt. Während sie in Wehrheim auf Bannstrahler treffen können, die dem Auftraggeber und Inquisitor Marcian nicht gewogen sind, wartet im Verlauf der Reise durch die Finstermark eine Begegnung mit der Amazone Lysandra und ihren Freischärlern auf die Helden. Die Befreiung der Stadt ist zu planen und durchzuführen, und jede Hilfe kann über den Erfolg entscheiden. Wenn die Befreiung von den Orks gelingt, muss die Herrschaft über die Stadt gesichert werden. Doch es wartet eine schlechte Nachricht über die Unterstützung durch weitere Truppen. Zudem geschehen seltsame Morde nach der Eroberung. Die Orks kehren mit einer großen Streitmacht zurück und beginnen zum Erstaunen der Verteidiger mit einer gut organisierten Belagerung der Stadt, anstatt die Mauern zu berennen. Zwar bekommen die Verteidiger durch einen Konvoi Güter und Truppen als Unterstützung, doch nicht nur durch die Belagerung droht Gefahr, sondern die Helden werden auch im Inneren durch einen mächtigen Widersacher bedroht. Die beiden Bedrohungen kulminieren, und die Orks blasen schließlich zum Sturm auf die Stadt. Marcian und die Helden müssen entscheiden, ob sie einen Pakt mit dem Widersacher eingehen wollen, um den Angriff der Orks abzuwehren.

In einer Zwischenepisode im vierten Kapitel werden die Helden als Agenten ausgesandt, da der Winter näher kommt und sich die Lage in Greifenfurt täglich verschlechtert. Sowohl die Verständigung des Generalstabs des Mittelreichs mit der Bitte um schnelle Hilfe als auch die Nachforschungen in der Zwergenstadt Xorlosch zu einem jahrhundertealten Geheimnis der Stadt sind Aufgaben, denen sich die Helden stellen müssen. Dazu können die Helden die Fluss-Schlacht bei Ange und Breite miterleben und entscheidend eingreifen, ehe sie nach Greifenfurt zurückkehren.

Die fünfte Episode bildet den Abschluss der Kampagne, wenn die Helden mit dem erworbenen Wissen aus Xorlosch nach Greifenfurt zurückkehren. Während der Belagerung und bei Straßenkämpfen müssen sie den Zugang zu einem unterirdischen Tempel finden, der Hindernisse aus früheren Zeiten für sie bereithält. Hier treffen sie auf unerwartete Gegner und Verbündete, und es steht auf Messers Schneide. Als auf der Oberfläche die Entsatzflotte zur Befreiung der Stadt eintrifft, setzen die Orks eine gefährliche Waffe ein, und die Helden müssen sich ein letztes Mal ihrem Widersacher widmen. Doch erst das Frühjahr bringt eine endgültige Entscheidung für die Stadt.

Der Anhang enthält schließlich ausführliche Personenbeschreibungen, Pläne und eine Beschreibung Greifenfurts, Übersichtspläne von Schlachten und wichtigen Gebäuden sowie Dokumente und Orakel.

Kritik: Aufmachung, Layout, Inhalt

„Business as usual“ könnte man sagen: Das Layout und die Aufmachung halten sich an gewohnte Standards vorheriger Publikationen. Das Cover wurde im Gegensatz zu den beiden alten Einzelbänden schlicht gewählt und „nur“ mit einem stilisierten Greifen in rot versehen, welcher sich schön von dem grauen Hintergrund abhebt. Nicht nur beim Cover, auch bei den Illustrationen hat man durchgängig neue Bilder im Vergleich zu den alten Abenteuern gewählt, die auch qualitativ wesentlich besser sind und Stimmungen und Personen besser einfangen. Zwar kennt man einige der Illustrationen bereits, etwa aus der „Gareth-Box“, aber der Großteil wurde neu angefertigt. Dazu hat der Ullisses Verlag auch noch eine farbige Stadtkarte von Greifenfurt spendiert, die sich sehr gut macht und trotzdem eine gute Übersicht bietet. In verschiedenen Foren zum Rollenspiel waren Kritiken zu hören, dass auf der Karte jetzt ein kleiner Bach eingezeichnet wäre, den es vorher nicht gab, aber das verändert trotzdem aus Sicht des Rezensenten nicht wesentlich das Abenteuer, so wie es einige Foristen beklagten. Einzig bei den sonstigen Plänen hat man wieder mal gespart und nur die alten Pläne übernommen, obwohl durchaus an der einen oder anderen Stelle noch eine Übersicht gepasst hätte.

Die Strukturierung wurde wesentlich verbessert: Waren die alten Abenteuer noch eine Aneinanderreihung einzelner wichtiger Szenen, die auch im Buch vorkommen, wurde hier versucht, auch die Lücken dazwischen mit Leben zu erfüllen. Zudem wurden drei wichtige Erzählstränge mit Symbolen gekennzeichnet und markieren bis zum Ende extra für den Spielleiter, wann dieses oder jenes Thema wieder aufgegriffen wird. Dazu wurden am Ende der fünf Kapitel immer sogenannte Ankerpunkte aufgeführt, die als Klammern für die Kampagne fungieren sollen und aufführen, welche Ereignisse mehr oder weniger wichtig für den weiteren Verlauf als auch für das offizielle „Aventurien“ sind und was das Schicksal für bestimmte Personen bereit hält. So wurde die vorher sehr enge Spielführung zu einer offenen und freieren Gestaltung umgearbeitet. Es gibt zwar immer noch Szenen, die stattfinden sollen oder müssen, doch dazwischen bietet sich viel Freiheit für Spieler und Helden. Einige Szenarien der Ursprungskampagne (Feenwelt, Schlacht bei Ange und Breite) wurden zudem extra in optionale Kurzabenteuer umgearbeitet, sodass die Spieler auch bei anderem Vorgehen darauf verzichten können. Wie schon bei dem Abenteuerband „Mit wehenden Bannern“ gibt es auch hier kein offenes Ende, wobei zumindest einige Erzählstränge unterschiedliche Enden erlauben. Dies liegt an der aventurischen Geschichtsschreibung, die offiziell von einem bestimmten Ende ausgeht.

Auch der Anhang wurde wesentlich aufbereitet und verbessert: Ausführliche Personenbeschreibungen mit Hintergrund, Motivation und Verhalten sowie auf diese Regelversion angepasste Daten, eine Beschreibung der Stadt, Karten sowie Orakelsprüche und Quellenhinweise bieten dem Spielleiter eine große Unterstützung.

Trotz vieler wesentlicher Verbesserungen zur Ursprungskampagne hat man auch hier zumindest nicht die optimale Ausarbeitung gefunden. Oft lesen sich Szenario-Vorschläge mehr wie ein Roman oder werden im Fließtext nebenbei erwähnt. Hier hätte man manches genauer und deutlicher ausarbeiten können, sodass diese optionalen kleinen Szenen sofort und ohne viel Aufwand spielbar sind. Stattdessen muss sich der Spielleiter dann doch einige Gedanken machen. Dies fällt besonders im ersten Kapitel bei der Schlacht auf den Silkwiesen auf, zum Teil auch später beim Spiel in Greifenfurt. Dazu sind die Spieler bei manchen Szenen nur Zuschauer oder nehmen unbedeutende Rollen ein, die wenig Einfluss auf den Ausgang einer Szene haben, was für die Spieler schnell unbefriedigend wirkt. Hier hätte man die Spieler und Helden etwas mehr in den Mittelpunkt rücken lassen können und müssen.

Trotzdem ist die Neufassung ein schöner Band mit vielen Verbesserungen geworden. Gerade Spieler, die auch kleine militärische Scharmützel mögen und Freude an einem Szenario um eine belagerte Stadt haben, kommen hier zur Geltung, da dies bei „Das Schwarze Auge“ sonst nicht im Mittelpunkt steht. Gleichzeitig ist auch eine gute Mischung mit phantastischen Elemente und einer Art Krimi vorhanden, sodass genügend Abwechslung vorhanden ist.

Fazit: Die Überarbeitung ist recht gut gelungen und hat den beiden verstaubten Abenteuern aus den 1990ern neuen Glanz verliehen. Mit ein wenig Aufwand ist sogar eine Transformation in die heutige Spielzeit denkbar. Wer mit der Fixierung aus den Metaplot klarkommt, macht hier nichts falsch und erhält eine gut ausgearbeitete und spannende Kampagne, die einige lange Winterabende vertreiben kann.


Das Jahr des Greifen (DSA-Abenteuer Nr. 197)
Abenteuerband
Johannes Heck, basierend auf Texten von Bernhard Hennen
Ulisses Spiele 2013
ISBN: 3868892982
184 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 30,00

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