Ymirs Tochter

„Conan, der Cimmerier“ ist die wohl populärste Figur aus dem literarischen Nachlass Robert E. Howards. Neben den bekannten Verfilmungen mit Arnold Schwarzenegger gibt es unzählige Buchauflagen und Comic-Adaptionen des barbarischen Recken. Der Splitter-Verlag legt nun eine ambitionierte Neuauflage vor.

von André Frenzer

Die Geschichten um „Conan, der Cimmerier“ bilden Robert E. Howards wohl bekanntestes literarisches Erbe. Gleichzeitig lässt der Charakter des Conan tiefe Einblicke in die Weltsicht des Autors zu. Immerhin wuchs Howard in Texas auf, zog mehrmals mit seiner Familie um und erlebte den stetigen Aufstieg und Niedergang der sogenannten Boomtowns. Diese entstanden und verfielen auf der Suche nach dem schwarzen Gold, Erdöl. Dieser stete Wandel zwischen Aufstieg und Fall prägte Howards Weltbild und findet sich auch immer wieder in den Geschichten um Conan wieder.

Howards „Conan“-Geschichten haben bereits mehrere Umsetzungen erfahren. Neben der steten Wiederveröffentlichung in Schriftform gibt es – natürlich – Filme und auch schon einige Comic-Reihen. Insbesondere die großen Comic-Verlage Marvel und Dark Horse haben sich in der Vergangenheit wieder und wieder um Adaptionen und eigene Interpretationen des Cimmeriers bemüht. Nun hat der Splitter-Verlag damit begonnen, eine aufregende, auf 16 Teile ausgelegte Reihe herauszubringen. Dazu schreibt der Verlag selbst: „Conan ist zurück. Wilder. Stärker. Schöner. Mächtiger als je zuvor. Seit Jahrzehnten betreibt der Barbar aus Cimmerien sein blutiges Handwerk in Comics aus den Häusern Marvel und Dark Horse. Aber diese Adaptionen der Novellen von Robert E. Howard sind aus einem anderen Holz geschnitzt: Die besten Szenaristen und Zeichner Frankreichs haben sich zusammengefunden, um dem Gott von Sword & Sorcery Tribut zu zollen. Legendäre Geschichten, bearbeitet von Größen wie Morvan („Herkules“) und Alary („Silas Corey“) und Gabella/Jean („Das Einhorn“). So offenbaren sich frische Perspektiven auf Conan und seine gefährliche Welt und die klassischen Werke erstrahlen in neuem Glanz. Jeder Band umfasst eine abgeschlossene Geschichte, basierend auf einem Originalwerk von „Conan“-Schöpfer Robert E. Howard, und beinhaltet umfangreiches Bonusmaterial zur Entstehung des Mythos „Conan“ und der Comic-Adaptionen.“

Mittlerweile sind neun Bände der Reihe erschienen, der zehnte ist für den Juni geplant. Dabei zeigt ein Blick auf die beteiligten Zeichner und Texter, dass sich hier viele bekannte Namen der frankobelgischen Comic-Szene versammelt haben. Ronan Toulhoat, Robin Recht, Sylvain Runberg, Gabella, Jean – all diese Namen stehen für eine gewisse Qualität. Dabei ist auffällig, dass jedem Team bei der Gestaltung fast freie Hand gelassen wird – so unterscheiden sich die verschiedenen Interpretationen Conans durchaus voneinander. Ein einheitliches Bild sucht man vergebens. Und gerade das macht in meinen Augen eine Stärke der Reihe aus. Jede Geschichte wird auf ihre eigene Art interpretiert, erzählt, gezeigt. Jedes Team – oder jeder Einzelkünstler – stellt andere Aspekte der Figur Conans in den Vordergrund. So lernen wir Conan durch verschiedene Augen kennen.

Mit „Ymirs Tochter“ widmet sich Robin Recht einer frühen „Conan“-Geschichte. Conan, der Cimmerier, erscheint hier noch sehr ungeschliffen und roh. Geradezu barbarisch, möchte man sagen. Entwickelt er in späteren Geschichten – wie zum Beispiel in „Jenseits des Schwarzen Flusses“ – geradezu ritterliche Züge, so ist davon bei „Ymirs Tochter“ noch nicht allzu viel zu entdecken. Die Handlung der Geschichte ist rasch erzählt. Conan ist der letzte Überlebende einer gigantischen Schlacht zwischen zwei verfeindeten Stämmen der Nordlande. Auf Seiten der blonden Aesir tötet er Heimdul, den Jarl der rothaarigen Vanir. Dies lenkt das Interesse von Ymirs Tochter auf ihn. Ymir ist der Gott der Nordlande, ein göttlicher Riese, einst enthauptet von seinen eigenen Nachkommen. Nur Ymirs Tochter und zwei ihrer Zwillingsbrüder stehen treu zu ihrem Vater. Nun will sie ihrem Vater den kraftvollen Krieger zum Geschenk machen. Dafür lockt sie Conan auf den Odroerir, den heiligen Berg. Dort will sie Conans Herz ihrem Vater darbringen. Doch Conan ist stärker als ihre Zauberkraft, stärker als ihre Zwillingsbrüder und scheinbar stärker als Ymir selbst …

Recht arbeitet oft mit großformatigen Panels, Landschaftsbildern und breit angelegten Szenerien. Sein Stil ist weich, verwaschen, mit einem Auge fürs Detail. Dieser Stil präsentiert die Geschichte in einem ungewöhnlich langsamen Tempo. Damit unterstreicht Recht das Katz- und Maus-Spiel, das sich zwischen dem Cimmerier und der Tochter Ymirs ergibt, gekonnt. Recht verzichtet auch darauf, die ungeschliffen wirkende und gerade aus heutiger Sicht doppelt fragwürdigen Handlungen Conans in dieser Geschichte zu verschweigen, was „Ymirs Tochter“ zu schwerer Kost werden lässt. Doch ändert das freilich nichts an der Wucht der Bilder und des kargen Dialogs, die uns den frühen Conan zeigen.

Ein Essay über die Entstehung von der Originalgeschichte sowie einer Einordnung in den „Conan“-Zyklus rundet den Band äußerst informativ ab. „Ymirs Tochter“ wird vom Splitter-Verlag als großformatiges Hardcover verlegt. Der Einband ist robust, die Papierdicke angenehm stabil. Die Fadenheftung übersteht auch mehrmaliges Durchlesen problemlos. Technisch gibt es damit nichts zu meckern.

Leseprobe

Fazit: „Ymirs Tochter“ zeigt in beeindruckenden Bildern einen jungen, ungeschliffenen und barbarischen Conan, der moralisch alles andere als sattelfest ist, aber in seiner unbändigen Kraft den Göttern ebenbürtig. Beeindruckend und schwer verdaulich zugleich.

Ymirs Tochter
Comic
Robert E. Howard, Robin Recht
Splitter-Verlag 2019
ISBN: 978-3962192051
80 Seiten, Hardcover, deutsch
Preis: EUR 18,00

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