von André Frenzer

Gleich drei Abenteuer unterschiedlicher Autoren sind in dieser Anthologie zu finden. Ganz ähnlich zu anderen Sammelbänden mit Kurzabenteuern, bleibt bei gerade einmal 56 Seiten für das einzelne Abenteuer damit recht wenig Raum. Doch das muss ja kein Nachteil sein. Das Vorwort verrät, dass ein Gruppen- und zwei Solo-Abenteuer diesen Band ausmachen.

Eröffnet wird „Unheilvolles Grauen“ durch das Gruppenabenteuer. Dieses trägt den schönen Titel „Das Fieber, das über Selem kam“ und ist tatsächlich so cthuloid, wie es „Das Schwarze Auge“ nur sein kann. Zunächst einmal wurde mit der langsam dahinsiechenden Stadt Selem und dem angeschlossenen Noionitenkloster ein klassisch-morbider Schauplatz für das Abenteuer gewählt. Während man in Selem ohnehin schon ob der drückenden Last der Jahrhunderte und des schwelenden Verfalls Depressionen bekommen kann und die den Noioniten Überantworteten meist ohnehin dem Wahn nahe sind, so überzeichnet das Abenteuer diese Szenerie noch einmal deutlich. Denn der Wahnsinn breitet sich in der Stadt aus, die Wahnfiebrigen werden von dunklen Träumen geplagt und eine „Dunkle Sultana“ kündigt ihr Kommen an. Es gibt für die Helden einige Anlaufpunkte und reichlich Recherchearbeit, um den Hintergründen der „Sultana“ auf die Schliche zu kommen. Am Ende steht dann – ganz klassisch – die Verhinderung eines finsteren Rituals, um das Erscheinen der Sultana zu verhindern.

Das zweite Abenteuer, „Letzter Vorhang für Vinsalt“, ist zugleich das erste Soloabenteuer. Auch dieses greift ein klassisches, cthuloides Motiv auf. Als Protagonistin wurde eine junge Streunerin gewählt, die auf der Flucht vor Obrigkeit Zuflucht bei einer fahrenden Theatertruppe sucht. Diese wiederum ist kurz davor, ein besonderes Stück aufzuführen – eine Ausgabe des seltenen „Der König in Gelb“. Während den Proben kommt es zu tödlichen Unfällen und auch die erste Aufführung hält unangenehme Überraschungen parat. Das schließende Abenteuer „Was der Nebel verbirgt“ ist ebenfalls ein Solo-Abenteuer. Als alternder Seemann ist der Spieler im Auftrag der Efferdkirche unterwegs, um das Verschwinden einer Efferd-Geweihten aufzuklären. Doch in dem seltsamen Küstendörfchen, umgeben von dichtem Nebel, scheint vieles nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Und schon bald gerät man in die Fänge einer Gefahr, die nicht von Dere stammen kann …

„Unheilvolles Grauen“ lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück. Zum einen zeigt es viel besser als das ebenfalls begleitend zum Crowdfunding erschienene Abenteuer „Stille von Somerrisk“, wie ein cthuloides Abenteuer für „Das Schwarze Auge“ aussehen kann. Ebenso sind die gewählten Motive angenehm klassisch. Die Solo-Abenteuer sind leider recht kurz geraten, machen aber Spaß und bieten verschiedene Enden. Handwerklich ist das alles prima. Andererseits passen die Abenteuer aber damit so gar nicht in das Aventurien, dass ich kenne. Und tatsächlich funktionieren gerade die Solo-Abenteuer am besten – dafür hätte es dann aber wiederum keinen hunderte Seiten füllenden Quellenband gebraucht. Schlussendlich bleibt die Verquickung des Mythos mit „Das Schwarze Auge“ eher unpassend, was aber der Qualität dieses Bandes als Einzelwerk keinen Abbruch tut.

Optisch ist der Band wirklich gut gelungen. Er ist reichhaltig bebildert, manchmal auch drastisch – wie es zum Genre gehört. Alle Spielwerte sind vorhanden, Korrektorat und Lektorat haben eine gute Arbeit geleistet. Technisch bin ich damit vollumfänglich zufrieden.

Fazit: Ja, es sind gute, teils auch recht gruselige Abenteuer in dieser Anthologie. Und ja, für Solo-Spieler ist er eine angenehme Abwechslung. Aber auch „Unheilvolles Grauen“ beantwortet nicht die Frage, wofür man den Mythos in Aventurien wirklich braucht, außer für einen außergewöhnlichen One-Shot.

Unheilvolles Grauen
Abenteueranthologie
Dominic Hladek, Mháire Stritter, Sebastian Thurau
Ulisses Spiele 2020
ISBN: 978-3963313929
56 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 14,95

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