Tipps für die Spielleitung

„Die gesammelten Weisheiten zum Leiten einer „Cthulhu“-Spielrunde“ – so lautet der etwas vollmundige Untertitel des vorliegenden Büchleins. Diverse erfahrene Spielleiter lassen sich also tief in die cthuloiden Karten blicken: Ich bin gespannt.

von André Frenzer

„Cthulhu“ ist einerseits ein leicht zu leitendes Rollenspiel. Die Regeln sind nicht sehr komplex und das zugrundeliegende BRP-System, welches auf %-Werte in den Fertigkeiten setzt, ist intuitiv: unter einer 60%igen Chance können sich die meisten Leute schnell eine Wahrscheinlichkeit vorstellen. Dazu spielen die meisten Szenarien in der einen oder anderen historischen Variante unserer Welt – oder sogar gleich in der Gegenwart – was es leicht macht, einen gemeinsamen Vorstellungsraum zu erschaffen. Andererseits ist „Cthulhu“ ein schwer zu leitendes Rollenspiel, denn Angst oder gar Horror am Spieltisch zu erzeugen, ist alles andere als einfach. Dabei gilt es nämlich nicht nur, die Grenzen der Mitspielenden im Auge zu behalten, sondern überhaupt eine Atmosphäre zu schaffen, in der ein Gruseln aufkommen kann.

Ob dieses scheinbaren Widerspruchs war ich mehr als interessiert an „Tipps für die Spielleitung“. Denn immerhin geben sich hier namhafte Szenegrößen – erfahrene Autoren wie Mike Mason oder Paul Fricker, Mitglieder der amerikanischen „H.P. Lovecraft Historical Society“, Verlagsurgesteine wie Lynne Hardy oder erfahrene Spielleiter wie Tom Rhaley – die Klinke in die Hand. „Tipps für die Spielleitung“ erscheint als schmales Hardcover-Büchlein, ungefähr im A5-Format. Es ist spärlich illustriert, weist aber ein sauberes Schriftbild, angenehm große Schrift und eine klare Struktur auf und ist damit angenehm zu lesen.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis verrät, wie umfangreich die Themengebiete sind, zu denen die verschiedenen Autoren Tipps geben wollen. Da gibt es ein Kapitel über den Umgang mit Handouts und Requisiten, eines zum Umgang mit Spielern, eines zum Erzeugen von Horror, eines zum Einsatz von Regeln … die Bandbreite ist enorm und meine Vorfreude entsprechend groß. Und dann … ja, dann begann ich mit der Lektüre. Die einzelnen Kapitel sind nicht in Fließtexte unterteilt. Stattdessen sind sie in viele kleine, oft nur wenige Zeilen lange Absätze unterteilt, in denen jeweils ein Tipp vorgestellt wird. Die jeweiligen Autoren sind so nicht ersichtlich. Das führt dazu, dass manche Tipps sich sogar gegenseitig widersprechen – was per se nicht schlimm ist. Denn schon im Vorwort weisen die Autoren darauf hin, dass es natürlich kein „Allgemeinrezept“ für eine gute Spielleitung geben kann und jeder Spielleiter die Tipps verwenden soll, die er sinnvoll findet. Die Herangehensweise ist auf jeden Fall interessant.

Dennoch gibt es Dinge an „Tipps für die Spielleitung“, die mich fundamental stören. Da ist zum einen die Tatsache, dass sehr viele Tipps ohne eine profunde Vorkenntnis von Spieltheorie und spieltheoretische Diskussionen – gerade aus dem Rollenspielsektor – kaum zu verstehen sind. Ein paar Beispiele: Ein Tipp aus dem Buch lautet „Würfele offen!“. Der Tipp ist super – ohne das Hintergrundwissen, WARUM offenes Würfeln nicht nur die Spannung erhöht, sondern auch das Vertrauensverhältnis der Spieler beeinflusst, ist er einfach nur hingerotzt. Ein weiteres Beispiel ist „Benutze möglichst nie den Namen eines Monsters!“. Nun wissen erfahrene Spielleiter, dass diese Methode dabei hilft, die Spieler im Unklaren über die vor ihnen liegende Bedrohung zu lassen und so gewohnte Abwehrroutinen unmöglich zu machen – was wiederum das Gefühl der Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit steigern soll. Unerfahrene Spielleiter dürfen sich zu Recht fragen: „Warum?“

Ein weiterer Aspekt, der mir nicht gefällt, ist die Tonalität vieler Tipps. Viele der Tipps werden nicht müde zu betonen, wie wichtig es für den Spielleiter ist, es den Spielern am Tisch recht zu machen. Immerhin opfern sie ihre Zeit, um sich mit dem Abenteuer des Spielleiters zu beschäftigen. Während diese Herangehensweise möglicherweise den in den 1980ern klebengebliebenen, überheblichen „Meistern“ vergangener Tage – gibt es die überhaupt noch? – einen neuen Blickwinkel aufzeigt, sage ich: „Unsinn.“ Ein Spielleiter ist genauso Mitspieler wie alle anderen Spielenden auch und hat so das gleiche Recht darauf, Spaß am Spiel zu haben, wie alle anderen am Tisch. Sich den Bedürfnissen der Gruppe zu unterwerfen, ist genauso ein Unsinn, wie sich als „Gott hinter dem Spielleiterschirm“ zu betrachten.

Zum dritten will „Tipps für die Spielleitung“ offensichtlich besonders modern sein: So drehen sich einige Tipps um die Einbindung von queeren Charakteren, People of Colour, Indigenen, Behinderten. Aber auch hier bleibt der Band jegliche Information schuldig, die über „binde auch queere NSC ein“ hinausgeht – warum sollte ich das tun? Wie bereichert es das Spiel? Und vor allem: Wie bereichert es den Kampf gegen die Großen Alten und wie unterstützt es den Horror? Ähnlich verhält es sich mit Sicherheitsmechaniken: „Triggere deine Mitspieler nicht!“ oder „Denke über die X-Karte nach!“ mögen Hinweise sein, die wertvoll sind – wenn man denn ungefähr schon eine Ahnung hat, worüber die Autoren hier sprechen. Die Erklärung von einfachen Sicherheitsmechaniken wie Linien und Vorhängen wäre hier gut aufgehoben gewesen. Außerdem wäre es viel hilfreicher gewesen, zu erklären, wie ich mein geplantes Atlach-Nacha-Szenario noch durchziehen kann, wenn der arachnophobe Spieler „A“ bei der Erwähnung der ersten Spinne stumm auf die X-Karte tippt.

So bleibt „Tipps für die Spielleitung“ deutlich unter seinen Möglichkeiten. Es erinnert an ein Kochbuch, in dem kein einziges Rezept steht. Dafür gibt es Tipps wie „Die Möhren schmecken noch besser, wenn du zerlassene Butter hinzugibst.“ direkt neben „Schokosauce ist eine Zutat, die man in Maßen einsetzen sollte.“ – wie man die Möhren zubereitet oder zu welchen Gerichten Schokosauce passt, das muss man sich dann schon selbst zusammenreimen. Sicher: Viele Tipps klingen gut und sind für erfahrene Spielleiter, die sich mit der spieltheoretischen Materie hinter der Spielleitung bereits auskennen, oft nicht uninteressant. Zumindest in der Häufung. Ein gutes Buch ist „Tipps für die Spielleitung“ dadurch aber nicht.

Fazit: „Tipps für die Spielleitung“ enthält eine umfangreiche Sammlung oft hilfreicher Tipps für erfahrene Spielleiter. Nicht jeder Tipp erscheint mir gut, und gerade die fehlenden Hintergrundinformationen zu den meisten Tipps machen das Buch für viele Adressaten zu kryptisch. Meine Empfehlung erhält es nicht.

Tipps für die Spielleitung
Essayband
Mike Mason, Paul Fricker u. a.
Pegasus Press 2023
ISBN: 978-3-96928-107-9
128 S., Hardcover, deutsch
Preis: 14,95 EUR

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