The Minbari Federation Fact Book

„Babylon 5“ lebte und lebt von seinen komplexen Alienrassen, die weit mehr sind, als bloße Statisten, die der Galaxis einen exotischen Look geben sollen. Charaktere wie Delenn, Mollari, G‘Kar und Kosh und ihre respektiven Völker, die Minbari, Centauri, Narn und Vorlonen, sind von faszinierender Vielschichtigkeit und was wäre eine „Babylon 5“-Rollenspiel-Kampagne ohne Vertreter dieser Spezies. Um dem neugierigen Spieler (und Spielleiter) wirklich alle Fragen zu beantworten – und gleichzeitig das genaue Studium von 5 Staffeln „Babylon 5“ zu ersparen – bringt Mongoose Publishing zu seinem Rollenspielsystem eine Reihe thematischer Fact Books heraus. Nach „The Earth Alliance Fact Book“ liegt nun „The Minbari Federation Fact Book“ vor.

von Bernd Perplies

Das Buch kommt äußerlich im Look des "Grundregelwerks" daher: Ein schwarzer Hardcover-Hochglanz-Einband rahmt ein Bild ein, das ein durchs All gleitendes Minbari-Kriegsschiff zeigt. Das 200-seitige Innere besticht – wie alle Bände der Reihe – durch Vollfarbe und weist erneut den grauen, digitalen Retro-Rahmen um den Seitenrand auf. Das Buch wird durch einiges an Bildmaterial aus der „Babylon 5“-Serie aufgelockert, allerdings lässt die Bildqualität zumeist zu wünschen übrig. Vor allem Unschärfe ist ein verbreitetes Laster, unter dem die Screenshots leiden. Nur einige Bilder, die vermutlich einst als Promotional Shots im Umlauf waren, bilden hier die erfreuliche Ausnahme. Einmal mehr ist die Präsentation des Materials – vom Umschlag abgesehen – nur mittelmäßig und man fragt sich, wie schlecht die Qualität des Ausgangsmaterials wirklich war.

Ganz im Gegensatz dazu steht der Inhalt. Autor August Hahn ist für mich ab diesem Buch das Synonym für Detail-Fetischismus. Ein dermaßen umfassendes Quellenbuch zu einer einzelnen Spezies ist mir bislang noch nicht untergekommen! Es hat den Anschein, als habe er sich nicht nur jede Folge von „Babylon 5“ genau angeschaut und alles dort vorkommende Material zu den Minbari kompiliert, sondern als habe er sich auch spezielle Phänomen, die in der Serie zu sehen sind, aber nicht erklärt werden, vorgenommen (beispielsweise die erstaunlichen Heilfähigkeiten, die Lennier an den Tag legt, nachdem er von einer Bombe schwer verletzt wurde) und diese dann „wissenschaftlich“ zu untermauern versucht. So erhält der Leser Einblicke in die Physiologie, Mentalität und Kultur der Minbari, die einerseits weit über das hinausreichen, was man in der Serie zu sehen bekommt, andererseits aber auf geschickte Weise konsistent mit dem vorgegebenen Universum zu sein scheinen.

Das Buch ist in ein kurzes Vorwort und neun Kapitel unterteilt. Nach den einleitenden Worten und den grundlegenden „racial traits“ des Minbari-Volkes innerhalb des d20-Systems geht es los mit „Minbari Biology“. Auf 22 Seiten wird tief in die Materie eingetaucht. Mitunter sind wirklich gute Englischkenntnisse gefragt – ein Medizinstudium zum vollen Genuss der dargebotenen Informationen könnte auch nicht schaden! :) So wird genau beschrieben, wie es im Inneren des Minbari-Körpers aussieht und welche (vom Menschen abweichende) Form und Funktion die Knochen, die Muskeln, das Nervenkostüm oder das Gehirn haben. An Regeln gibt es eine „Größen- und Gewichtstabelle“ sowie „Ageing Effects“. Für Puristen wird gar eine Auflistung der von einem erwachsenen Minbari durchschnittlich benötigten Nährstoffe gegeben (Vitamine und Minerastoffe in Milligramm!). Das mag fast schon absurd klingen, ist aber gleichzeitig irgendwie schon abgefahren. Über einige typische Mahlzeiten und eine ausführliche Beschreibung möglicher Erkrankungen geht es schließlich zu den „Subraces“ – den „Star Born“, den „Kira Zhe“ und den „Shadowsouled“ –, die jeweils kurz beschrieben werden und mit einem Datenblock versehen sind.

Kapitel 3 widmet sich der Psychologie und Soziologie. Es wird die Bedeutung von Ritualen für die Minbari beschrieben, ebenso wie die persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Integration vom frühen Kindesalter bis zum Tod. Dabei wird der Ritus der Namensgebung ebenso berücksichtigt, wie die Problematik von Ehen unter Mitgliedern verschiedener Kasten; es gibt einen Abschnitt über die drei Sprachen der Minbari (Vik, Lennan und Adrenato) sowie über das Verständnis und die Ausübung von Kunst.

Im Anschluss daran wirft Kapitel 4 „Castes of the Minbari“ einen genaueren Blick auf die drei Kasten: die „Religious Caste“, die „Warrior Caste“ und die „Worker Caste“. Zunächst wird die Philosophie der „Religious Caste“ betrachtet und deren „acht Pfade des Lichts und der Dunkelheit“ für den Leser ausgelegt. Die hierarchische Struktur, prominente Positionen innerhalb selbiger sowie einige Feiertage runden diesen Abschnitt ab. Die Kriegerkaste wird ähnlich abgehandelt: Hier wird der Kode der Krieger vorgestellt und seine unterschiedlichen Auslegungen durch die einzelnen namhaften Kriegerclans, wie der „Night Walkers“ oder der „Star Riders“. Nach einem kurzen Überblick über die Waffengattungen, spezielle Rituale und Feiertage geht es weiter mit der „Worker Caste“. Hier werden „die drei Gesetze“ der Kaste und ihre jeweiligen Bedeutungen dargeboten. Wie in den Abschnitten zuvor wird erneut die innere Struktur der Kaste aufgeschlüsselt, inklusive Insignia der einzelnen Tätigkeitsfelder und Ränge. Auch in diesem Fall bilden Traditionen und spezielle Feiertage den Abschluss. Am Ende des Kapitels widmet sich ein kurzer Abschnitt den „Casteless“, denjenigen Minbari, die aus irgendeinem Grund in keiner Kaste mehr beheimatet sind.

Kapitel 5 stellt „Minbari Organisations“ vor. Den Anfang macht natürlich „The Grey Council“, der höchste Rat der Minbari, der aus je drei Mitgliedern jeder Kaste besteht. Kurz werden seine Funktion als auch seine Mitglieder (im Jahre 2257) vorgestellt. Danach widmet sich das Buch dem Militär. Hier liegt das Augenmerk vor allem auf der Rangstruktur der verschiedenen Waffengattungen als auch auf der Zusammensetzung verschiedener Einheitstypen. So, liest man, besteht eine Standard-Raumflotte der Minbari beispielsweise aus 1 Sharlin-Kreuzer, 18 Nial-Jägern, 3 Shuttles und 2 Tinashi-Fregatten. Gleiche Aufstellungen finden sich für die Land- sowie die Seestreitkräfte. Abschließend werden die beiden gesellschaftlichen Randgruppen „The Storm Blades“ und „The Followers of the First Ones“ kurz vorgestellt.

Kapitel 5 breitet auf mehr als 20 Seiten die Geschichte der Minbari aus. Dies beginnt bei den ersten prähistorischen Lebensformen auf Minbar und folgt dann über ca. 29.000 Jahre der Evolution der Minbari von kriegerischem Stammesvolk über den Kontakt und den Kulturschub mit den bzw. dank der Vorlonen bis hin zum ersten Krieg gegen die Schatten und dem Auftauchen von Valen vor 1000 Jahre sowie dem Erd-Minbari-Krieg der jüngsten Vergangenheit. Die Geschichte der Minbari erweist sich dabei als bemerkenswert komplex – erst in jüngster Zeit hat das Volk den spirituell ausgeglichenen Punkt in seiner Entwicklung erreicht, der uns in der „Babylon 5“-Serie gezeigt wird.

„Worlds of the Minbari Federation“ ist das 6. Kapitel übertitelt. Nach einer kurzen allgemeinen Einleitung zur Minbari Föderation als „galactic player“ werden jeweils auf einer Seite in Form eines datenbankartigen Eintrags insgesamt 18 Welten vorgestellt – von der Hauptwelt Minbar bis hin zu abgelegenen Kolonieplaneten. Jeder Eintrag besteht dabei aus einer Weltkarte, Hinweisen zum Klima, der Wetterlage, dem Technologielevel, der Regierungsform, wichtigen Städtenamen, Bevölkerungszahlen, kulturellen Eigenheiten, Notizen zum Planeten sowie dem repräsentativen Zitat eines Einheimischen. Es folgt eine kurze Beschreibung der Welten innerhalb des „Minbari Protective“, des letzten Raumbereichs der Föderation, in dem noch so etwas wie raue „Frontier“-Stimmung herrscht. Den Abschluss bilden drei eher grobe Pläne von der Shen’Tan Raumstation, von der Stadt Tuzanor, in der Valen einst lebte, und von Yedor, der Hauptstadt von Minbar.

Im nächsten Kapitel geht es um „Minbari Technology“. Es werden einige Einblick in die ökonomischen Strukturen der Minbari-Gesellschaft gewährt, außerdem der Stand der technologischen Entwicklung dieser Rasse abgesteckt. Der Hauptteil des Kapitels widmet sich dann Waffen, allgemeiner Ausrüstung, Kleidung und Fahrzeugen. Neben kurzen Beschreibungsblöcken existiert zu jedem Abschnitt eine Tabelle, in der alle spielerelevanten Daten inklusive Preis aufgeführt sind. Insgesamt werden 14 Waffen, 17 Ausrüstungsgegenstände, 8 Panzerungen/Garderoben und 6 Zivilfahrzeuge zum Kauf angeboten. Angenehmerweise finden sich kaum Dopplungen zum „Babylon 5“-Grundregelwerk. Leider gibt jedoch kein einziges illustrierendes Bild. Im nachfolgenden Teil über Minbari-Militärfahrzeuge gehen dem Autor dann etwas die Pferde durch: 13 Landfahrzeuge (vorwiegend Panzer) und 7 Schiffstypen zeichnen ein ungewöhnlich militaristisches Bild der Minbari. Netter ist hier schon der abschließende Abschnitt über Raumfahrzeuge, denn hier trifft man dann wieder auf alte Bekannte aus der TV-Serie, die auch entsprechend bebildert sind. Insgesamt 11 Raumschiffe inklusive der „White Star“ werden aufgeführt.

Mit S. 158 endet der umfangreiche „Fact Book“-Bereich und nun geht es daran, das Gelesene auch regeltechnisch in das „Babylon 5“-Rollenspiel einzufügen. Kapitel 8 „Minbari Characters“ bietet auf knapp 30 Seiten alles, was der Spieler wissen muss, um einen Minbari zu verkörpern. Es wird der Einsatz von Skills beschrieben, eine ganze Reihe neuer Feats angeboten (sowohl allgemeine als auch Kasten eigene) und natürlich gibt es neue Prestige Classes.

Das abschließende Kapitel „Minbari Campaigns“ richtet sich dann ausschließlich an den Spielleiter und fasst allgemeine Hinweise zum Einsatz von Minbari im Spiel zusammen. Welche Schwierigkeiten können mit einem Minbari-Charakter auftreten? Wie verhalten sich die einzelnen Kasten zueinander? Wie reagieren Minbari auf andere Rassen? Welche Kampagnenmöglichkeiten ergeben sich speziell für Minbari innerhalb der Handlung der „Babylon 5“-Serie? Und am Ende, nach so viel Text eine angenehme Zusammenfassung: „The Essential Minbari“, ein Abriss der vier Richtlinien, nach denen ein Minbari-Charakter gespielt werden sollte.

Auf den letzten vier Seiten des Buchs werden einige fertige Minbari-NSC angeboten sowie die Spieldaten der wichtigstens Minbari-Charaktere der TV-Serie wie Delenn oder Lennier. Einen Index gibt es leider nicht, der einzige Aspekt dieses hinsichtlich seines Inhalts ansonsten wirklich „komplett“ zu nennenden Buchs, den ich schmerzlich vermisst habe. Wie viel leichter würde es fallen, auf all die Informationen, die zwischen den Buchdeckeln angesammelt wurden, gezielt zuzugreifen, wenn es einen solchen – oder aber ein detaillierter aufgeschlüsseltes Inhaltsverzeichnis – gegeben hätte. Immerhin erleichtert einem die sinnvolle Sturkturierung des Inhalts die Sucharbeit.

Fazit: In vier Buchstaben? Geil! Wenngleich von der Optik her nach wie vor am schlechten Bildmaterial krankend, ist der Inhalt des „Minbari Federation Fact Book“ schlichtweg genial zu nennen. Wer auch nur im Entferntesten an eine „Babylon 5“-Kampagne denkt, sollte sich direkt nach dem Grundregelwerk diesen Quellenband zulegen. $ 35 sind zwar nicht gerade wenig, aber der Spielwert rechtfertigt meines Erachtens den Preis locker. Das dargebotene Material ist ebenso vielfältig wie fundiert recherchiert und eröffnet zahllose Möglichkeiten für Minbari-Charaktere und -Abenteuer innerhalb des „Babylon 5“-Universums.

The Minbari Federation Factbook
Quellenbuch
August Hahn
Mongoose Publishing 2003
ISBN: 1-904577-26-1
200 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 34,95

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