The Earth Alliance Fact Book

Minbari, Narn, Centauri – sie sind es, die mit ihrer Exotik dem „Babylon 5“-Universum Leben einhauchen. Kein Wunder, dass ihnen allen Mongoose Publishing rassenspezifische Quellenbücher zu seinem „Babylon 5“-RPG spendiert hat. Doch da gab es doch noch so eine zweibeinige Rasse von einem kleinen blauen Planeten namens Erde... Bruce Graw widmet sich ihr in seinem „Earth Alliance Fact Book“.

von Bernd Perplies

Das Buch ist im Hardcover und in Vollfarbe und fügt sich damit vom Layout her nahlos in die bestehende Reihe an „Babylon 5“-Büchern ein. Diese Nahtlosigkeit geht bis hin zur eher ärmlichen Qualität der Still Shots aus der TV-Serie, die ich schon in allen anderen Rezensionen festgestellt habe. Diesmal kommt hinzu, dass relativ wenig optische Opulenz ihren Weg auf die 200 Seiten gefunden hat. Mitunter blickt man 8 Seiten Bleiwüste an, bevor das nächste Bild einen – oft dunkel und/oder leicht unscharf – anlächelt. Der Vorteil ist offensichtlich: Es gibt viel zu lesen! Die Kehrseite: Es macht nicht besonders viel Spaß, das Buch durchzublättern. Also mehr ein Arbeitswerkzeug für den Spielleiter als ein Kunstwerk.

Entsprechend nüchtern ist der Inhalt gehalten. Je nach Kapitel fühlt man sich, als lese man gerade ein Geschichtsbuch oder einen Almanach der modernen Kriegsführung (oh ja, das Militär hat es dem Autor wirklich angetan). Auflockernde Kästen mit Alltagsszenen („Shadowtalk“ heißt das bei „Shadowrun“) gibt es nur einen einzigen – in der Einleitung! Das ist an und für sich okay und schmälert auch keinesfalls den Informationswert, aber es lädt doch nicht unbedingt dazu ein, aus reinem Spaß an der Freud in dem Quellenbuch zu schmökern – darin unterscheidet sich das „Earth Alliance Fact Book“ bereits von beispielsweise dem "Minbari Federation Fact Book" von August Hahn, aber noch viel krasser von den Quellenbüchern so manch anderer RPG-Adaption einer TV-Serie (ich sage nur „Buffy“...).

Doch kommen wir zum Text selbst. Nach einer kurzen „Introduction“ geht es los mit der „History of the Earth Alliance“. Auf 18 Seiten und von nur einem (!) Bild unterbrochen wird die Geschichte der Menschheit von der Mitte des 21. Jahrhunderts bis zur Inbetriebnahme von „Babylon 5“ im Jahre 2256 umrissen. Vom unvermeidlichen 3. Weltkrieg in den 2080ern über die Gründung der „Earth Alliance“ um den Jahrhundertwechsel und die Erschließung des eigenen Sonnensystems (unter der Schirmherrschaft der so genannten „Belt Alliance“, einer Art Minengilde) führt uns Graw zum Erstkontakt mit den Centauri, die der Menschheit den Weg ins All ebnen. Danach folgt der wechselhafte Aufstieg der „Earth Alliance“ zur galaktischen Größe, die ihre beiden herbsten Schläge mit der Dilgar-Invasion und dem Erd-Minbari-Krieg einstecken muss. Am Ende steht dann das „Babylon 5“-Projekt. Sehr interessante Hintergund-Information und dankbarer Ansatzpunkt verschiedenster Abenteuer, die auf einem Rückgriff in die Geschichte basieren.

Im Kapitel „Earth Alliance Characters“ folgt eine ganze Reihe neuer Prestigeklassen für Menschen, vom „Ambassador“ über „Missionary“ und „Reporter“ bis hin zum „Troubleshooter“, die jeweils auf ca. eineinhalb Seiten abgehandelt werden. Umfangreicher fällt dagegen die Beschreibung der „Telepaths“ aus, ein Subkapitel, das Einblicke in das Psi Corps und seine unterschiedlichen Auswüchse gibt. Nett vor allem die P-Rating-Liste sowie die Prestigeklasse des „Psi Experiment“, die mit einer langen Liste unerwarteter neuer Kräfte und Macken aufwartet.

Danach wird es mit „Life in the Earth Alliance“ geopolitisch – und zugleich lustig! Nach einer kurzen Beschreibung von EarthGov wagt Graw den mutigen Schritt, alle größeren Nationen der Erde auf jeweils ca. einer halben bis ganzen Seite zu beschreiben und ihnen – und hier kommt es immer wieder zu Heiterkeitsausbrüchen! – „racial traits“ zu verpassen. Erfreulich ist, dass der Autor bei aller Pauschalisierung in seinen Urteilen sehr milde bleibt. Stets versucht er, das Beste an einem Volk hervorzuheben und tappt nicht in die Falle nationalistischen Vorurteils – zumindest nicht im unerfreulichen Sinne.

Allerdings scheint er seine Kenntnisse anderer Kulturen vor allem aus dem Gesellschaftskunde-Kurs an der Highschool zu rekrutieren (würde ich sagen, wenn ich wüsste, dass Graw Amerikaner wäre – nur um damit selbst einem Vorurteil aufzusitzen...). Nur so kann ich mir erklären, dass wir Deutschen als Bonusfeats „militaristic“ und „industrious“ verpasst bekommen und außerdem bevorzugt auf die Namen Adolf, Wilhelm, Brunhilde und Gretchen hören... (Wir sehen: Graw hat in der Schule Goethe, Wagner und die beiden Weltkriege durchgenommen). Ich weiß nicht, ob Spieler aus anderen Ländern sich ebenso treffend charakterisiert fühlen, aber wenn ich mir nur Gaston den Franzosen, Luigi den Italiener und Pedro den Mexikaner anschaue, dann kann ich mich des Verdachts nicht ganz erwehren. :) Was ich in dem Kapitel dagegen vermisst habe, sind die ausführlichen Analysen von menschlichem Knochenbau, Nährstoffbedürfnissen in Milligramm und Sexualleben, wie wir sie noch mit zunehmend großen Augen bei August Hahn für die Minbari oder Centauri zu lesen bekamen.

Wertvoller wird das Kapitel, wenn sich Graw den außer-irdischen Lebensräumen widmet, wie dem Mars oder den Kolonien wie Proxima oder Beta Durani. Hier eröffnen sich viele spielerische Möglichkeiten und auch das Kartenmaterial – wenn gleich etwas grob – ist eine ganz nette Zugabe. Allerdings hätte ich mir mehr Infos gewünscht, vor allem zum Leben auf dem Mars, dessen Gesellschaft in der TV-Serie immer wieder eine nicht unbedeutende Rolle spielt. So werden alle Locations nur aus, metaphorisch gesprochen, sehr erhöhter Perspektive betrachtet. Wir werden nicht ins alltägliche Leben der Kolonisten geführt, es gibt keine Beispiellocations, Abenteueransätze oder NSCs. Das ist eigentlich ungewöhnlich für ein Rollenspiel-Supplement, wobei ich persönlich mit dem Fehlen von letzterem gut leben kann. Abenteuer und NSCs denkt man sich ohnehin besser selbst aus. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Graw ruhig ein paar Seiten irdische Staatenbeschreibung streichen und den Marsbewohnern hätte spendieren können.

Nach 106 Seiten ist der erste Teil des Buches vorbei. Ab jetzt wird es zum reinen Vehicles&Vessels-Katalog. Sehr schön die einleitende Doppelseite mit einem Größenvergleich der angesagten Schiffstypen. Nach einem kurzen Abschnitt über die Geschichte der Sternenschiff-Entwicklung geht es dann richtig los. 18 neue Großraumschiffe werden beschrieben, jeweils in verschiedenen Variationen, und dazu 5 Typen von Verteidigungsbasen sowie 7 Jäger und Shuttles, 4 Psi-Corps-Einheiten, 8 Belt-Alliance-Raumfahrzeuge und zuletzt 4 zivile Schiffe. Dabei kommt es zwar zu Dopplungen mit dem Grundregelwerk, nichtsdestoweniger steht dem Spielleiter am Schluss ein beachtliches Arsenal zur Verfügung, um den Weltraum damit zu beleben. Leider gibt es praktisch keine Bilder zu den Fahrzeugen (abgesehen von der Doppelseite zu Beginn), was umso unverständlicher ist, da die Bilder doch im Grundregelwerk abgedruckt waren. Die paar Schiffe, die abgebildet sind, gehören zudem seltsamerweise nicht zu den jeweils auf der Seite abgebildeten Datenblöcken, sondern dienen wohl allein der grafischem Auflockerung.

Im Anschluss widmet sich Graw den Bodenfahrzeugen, soll hier heißen: der Kriegsmaschinerie. Ich erinnere mich zwar an kein einziges dieser Fahrzeuge aus der TV-Serie, aber offenbar ist mit dem Autor der kleine General durchgegangen, sodass es am Ende zehn verschiedene Panzertypen gibt, aber nur das Nötigste an zivilen Fahrzeugen. Das hätte ich in einem Spielsystem wie „BattleTech“ erwartet, hier irritiert es jedoch ein bisschen und gibt dem Spieluniversum einen etwas schal schmeckenden Touch des Militaristischen. Das wird noch durch eine Einführung in die Heeresstruktur der „Earth Alliance Ground Forces“ sowie Beschreibungen von elf Spezialeinheiten unterstützt. Wer eine Kriegskampagne spielen will, kommt hier sicher voll auf seine Kosten, für Abenteurergruppen, die sich in den Weiten des Alls herumtreiben wollen (oder vielleicht auf einer Raumstation... sagen wir: Babylon 5), sind diese 20 Seiten eher nutzlos.

Auf sechs Seiten werden dann noch knapp und relativ lustlos die Zivilfahrzeuge abgehandelt. Man hat sich sogar eines größeren Schriftgrades bedient, um die Seiten zu füllen und die meisten Beschreibungen reduzieren sich auf sehr allgemeine Bemerkungen und den Datenblock. Beispielmodelle gibt es keine. Schweber oder Gleiter, wie sie beispielsweise in Filmen wie „Blade Runner“ oder „Minority Report“ für die absehbare Zukunft vorhergesagt werden, übrigens bemerkenswerterweise auch nicht.

Sehr schön ist dann wieder der Abschnitt zu „Weapons und Equipment“ geworden. Knackige Infoblöcke samt Preisen und relevanten Regeln erweitern das Ausrüstungs-Repertoire der Helden um die gängigsten Gimmicks (Fernglas, Diamantbohrer, Rationsriegel usw.), Waffen (darunter solche Kuriositäten wie Bummerang und Peitsche), Schutzbekleidungen und Medikamente/Drogen. Dreieinhalb Seiten am Schluss widmen sich zudem dem Einsatz bionischer Prothesen. (Und ich kann nur jedem raten, von einem künstlichen Magen abzusehen...)

Im Anhang befinden sich noch zehn Seiten mit „Nationality Feats“, was meines Erachtens wieder ein wenig lächerlich ist. So sind nur die Waliser „Born Pilots“, nur die Südafrikaner „Disease Tolerant“ und nur die Kanadier „Forester“. Wenn das kein (Prestige)Klassendenken ist... Einen Index gibt es leider keinen, was ich – auch angesichts des sehr knappen Inhaltsverzeichnisses – sehr bedaure. Ebenso sucht man vergebens nach den Spielwerten namhafter Erdprotagonisten aus der „Babylon 5“-Serie, wie sie noch in den anderen Fact Books für die anderen Spezies zu finden waren.

Fazit: Von allen Fact Books, die ich bislang gelesen habe (Minbari, Centauri, Earth Alliance), ist dieses hier leider das schwächste. Zwar ist es noch immer randvoll mit Informationen, die eine Vielzahl an Möglichkeiten eröffnen, am Ende steht die Gewichtung des Inhalts jedoch dem potentiellen Spielwert entgegen. Gut gefallen mir die historischen Passagen sowie das Kapitel über die irdische Raumfahrt. Zwischen amüsant, ärgerlich und überflüssig rangieren Graws Versuche, die Menschheit in das Kastensystem des d20-Systems zu pressen sowie dem „Babylon 5“-Universum einen militaristischen Touch zu verleihen. Schmerzlich vermisst wurden zudem die Einblicke in das alltägliche Leben in den Kolonien, das Herabsteigen vom hohen Podium des distanziert klingenden Historikers in die Niederungen der normalen Spielercharaktere. Insgesamt würde ich jedem Einsteiger in das „Babylon 5“-RPG dazu raten, sich bevorzugt die anderen Fact Books zu holen und dann zu überlegen, ob man das zusätzliche Geld noch investieren möchte.

The Earth Alliance Fact Book
Quellenbuch
Bruce Graw
Mongoose Publishing 2004
ISBN: 1-904577-18-0
200 S., Hardcover, englisch
Preis: $ 34.95

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