Super Dungeon Explore – Der Vergessene König

Brettspiele im Chibi-Stil – also mit kleinen Männchen, die große Köpfe haben und oft in asiatischen Konsolenspielen oder Kinder-Animes häufig zu finden sind – stehen gerade hoch im Kurs. „Arcadia Quest“, „Rivet Wars“ und „Krosmaster Arena“ locken Spieler mit fantasievollen Grundspielen und Unmengen an Erweiterungsboxen. Der Urvater war „Super Dungeon Explore“ von 2011. Mit „Der Vergessene König“ liegt nun die Second Edition von 2014 auch auf Deutsch vor.

von Frank Stein

Entwickelt von Soda Pop Miniatures, übersetzt von Ulisses Spiele und vertrieben vom Heidelberger Spieleverlag, kommt das Grundspiel des ehemaligen Kickstarter-Hits in einer schwergewichtigen, rappelvollen und extrem farbenfrohen Box daher. Großformatige Spielplansegmente, Unmengen an Zustandsmarkern, Schatzkarten, Beutekarten, Erkundungskarten, Befehlskarten, Helden- und Monsterkarten sowie 58 hochdetaillierte, fantasievolle Plastikmodelle (unbemalt) und gleich zwei dicke Regelwerke für die Spielmodi „Klassik“ und „Arcade“ versprechen eine Menge Spielspaß – sofern man vom verspielten Chibi-Look des Ganzen nicht prinzipiell abgeschreckt ist. (Die beiden Spielmodi unterscheiden sich übrigens hauptsächlich dadurch, dass im „Klassik“-Modus ein Spieler als Dunkler Konsul die Monster steuert, während im voll kooperativen „Arcade“-Modus die Monster durch einen Spielmechanismus gelenkt werden.)

„Niedlich“ ist so ungefähr das am häufigsten verwendete Adjektiv bei der Beschreibung der Spielkomponenten, egal ob es um die knuffigen Helden oder die knuddeligen Pets geht. Die Gegner rekrutieren sich derweil aus lebendig gewordenen Pflanzen wie Irrwischen und aggressiven Sprossen (genannt Kodama-Waldgeister) oder Tiermonstern wie Hasen, Fröschen und Enten (genannte Bestienchimären). Dabei sind die Bösen, orientiert an einem 8-Bit-Konsolenspiel, in Lakaien und Anführer – im Englischen noch treffender Minions und Elites – unterteilt. Dazu kommen Mini-Bosse und ein Endboss oder Dungeon-Boss.

Das Spielkonzept ist grundsätzlich einfach. Ein bis fünf Spieler übernehmen jeweils einen Helden. Diese Truppe durchstreift dann ein Dungeon, das aus ein bis fünf Spielplansegmenten besteht (pro Held wächst das Dungeon um ein Spielplansegment). Auf jedem Spielplansegment befindet sich ein sogenannter Beschwörungspunkt, der eine eigene Gruppe Monster mit ins Spiel bringt. Ziel der Helden ist es, den Dungeon-Boss zu vernichten, im vorliegenden Fall den Vergessenen König. Dieser taucht auf, wenn der letzte Beschwörungspunkt zerstört wird. An jedem zuvor zerstörten Beschwörungspunkt erscheint stattdessen ein Mini-Boss. Im vorliegenden Spiel stehen hier zwei zur Auswahl: Bernd der Baummensch und der bullige Boris, eine Chimäre. (Die Beschränkung auf zwei Mini-Bosse bedeutet auch, dass bei größeren Dungeons die gleichen Kameraden bei einem späteren Beschwörungspunkt wieder auftauchen. Das darf man nicht hinterfragen. Das ist 8-Bit-Spiellogik!)

Die Materialbeschränkung setzt sich übrigens auch in den Beschwörungspunkten fort. Eigentlich heißt es, „Der vergessene König“ sei für fünf Helden-Spieler (plus gegebenenfalls einen Dunklen Konsul) ausgelegt. Mit dem vorliegenden Material, kann man allerdings nur vier Spieler versorgen. Fünf Helden verwenden fünf Beschwörungspunkte, es liegen allerdings nur vier (mit entsprechenden Monstern) vor. Hier merkt man das Erbe der Box als ehemaliges Kickstarter-Projekt. Wer damals „Der Vergessene König“ gebackt hatte, bekam eine Unmenge an Strech Goals obendrauf – Helden, Beschwörungspunkte, Extramonster. Die fehlen hier alle. Daher ist das Spiel im Grunde nicht ganz vollständig. Die Lösung besteht darin, den Beschwörungspunkt, den man auf dem ersten Spielplansegment verwendet hat, auf dem fünften erneut zu verwenden, da man ihn zu dem Zeitpunkt auf Spielplansegment eins vermutlich nicht mehr braucht. Dennoch wird so beispielsweise ein kreuzförmiger Dungeon unmöglich. Will man komplett regelkonform spielen, muss man sich ein Zusatzpack kaufen, beispielsweise die „Klagenebelküste-Kriegerbande“. Ein kurzer Hinweis im Regelwerk auf diesen Umstand wäre angebracht gewesen.



Gespielt wird in Runden, in denen sich jeweils der Heldenzug mit dem Konsul-Zug (sic!) abwechselt. Im Heldenzug dürfen zwei beliebige Helden aktiviert werden, wobei man immer zuerst Helden wählen soll, die im letzten Zug nicht dran waren. Hat man dann noch Aktivierungen übrig (etwa bei einem Drei-Personen-Spiel), kann beliebig ein weiterer Held aktiviert werden. Ein aktivierter Held muss zunächst auf Zustände und Spieleffekte überprüft werden (etwa eine Vergiftung oder eine Aura). Danach kann er seine im zur Verfügung stehenden Bewegungs- und Aktionspunkte in freier Reihenfolge einsetzen, beispielsweise indem er sich bewegt, zuschlägt, wieder bewegt, nochmal zuschlägt und sich dann zurückzieht. Diese Flexibilität ist sehr angenehm und sorgt für effektive Züge. Neben einer ganzen Reihe Standardaktionen (Angriff, Truhen knacken, Heilen usw.) beherrscht jeder Held Spezialaktionen, die oft zwei oder drei Aktionspunkte kosten, dafür aber mächtiger sind.

Aktionen erfordern meist einen Würfelwurf. Der wird auf eins von vier Attributen abgelegt. Stärke dient dem Angriff, Rüstung der Verteidigung, Willenskraft kommt gerne bei magischen Aufgaben zum Einsatz und Geschick beim Fernkampf oder Diebesfertigkeiten. Die Effektivität der Attribute ist in drei Würfelfarben angegeben. Blaue Würfel sind schwach, rote sind mittelgut und grüne sind stark. Die Spezialwürfel weisen dabei ein bis vier Sternchen auf, außerdem Herz- und Tranksymbole. Um Erfolg zu haben, muss man meist einen Stern-Zielwert überwürfeln. Tränke oder Ausrüstung helfen dabei. Hat man Erfolg gehabt und zusätzlich ein Herz gewürfelt, springt – ganz im Konsolenstil – ein Herzchen aus dem Zielobjekt und man darf einen Helden um einen Punkt heilen. Zeigt ein Würfel ein Tranksymbol, erhält ein beliebiger Held einen Trankmarker, den er später ausgeben kann, um seinen individuell auf der Heldenkarte verzeichneten Trankeffekt auszulösen.

Besiegte Monster werfen Beute ab, starke sogar Schätze. Beides darf man in der Power-Up-Phase an die Helden verteilen, wobei ein hübscher Farbcode ins Spiel kommt, um festzulegen, an welchen der vier Ausrüstungsslots eines Helden das Objekt angelegt wird. Das alles ist wirklich clever und elegant gelöst und immer wieder werden Assoziationen mit Konsolenspielen wach.

Im Konsul-Zug agieren die Monster, wobei nur die Anführer gefährlich sind. Die Lakaien verstärken bloß ihre jeweiligen Chefs, greifen aber selbst nicht an. Was genau die Monster machen, wird durch eine gezogene Befehlskarte entschieden. Meist handelt es sich um eine Kombination aus Bewegen und Angreifen. Es können aber auch neue Monster aus dem nächsten Beschwörungspunkt hervorspringen (der dabei erfreulicherweise Schaden nimmt) oder die Monster nutzen ihre eigenen Spezialkräfte. Anschließend erfolgt eine weitere Power-Up-Phase, dann geht es in die nächste Runde.

Man darf sich von der kreischend bunten Aufmachung nicht täuschen lassen! „Super Dungeon Explore“ ist ein Spiel für  Kenner. Der nicht ganz triviale Einsatz der Monster, zahlreiche Zustandseffekte, diverse Raumeffekte, Bereichseffekte, Fallen, der Einsatz von Zorn, Haustiere, Ausrüstungskarten usw. machen das Spiel zu einem vollwertigen Dungeon-Crawler, der durchaus komplex ist. Man muss viel im Blick behalten und benötigt garantiert ein paar Partien, bevor man das Spiel fehlerfrei beherrscht.

Erschwert wird der Zugang dabei leider durch das Regelwerk. Dieses ist nicht ganz leicht zu verstehen. Die Informationsaufbereitung wirkt etwas chaotisch. So muss man beispielsweise die Funktion von Beute- und Schatzkarten unter der Zugphase Power-Up suchen, die Monsterklasse der Kriecher befindet sich ganz am Ende des Regelwerks, weit von allen anderen Monstererklärungen entfernt. Besonders ärgerlich ist bei einem 40-seitigen Regelwerk, das sehr detailreich ist, das völlige Fehlen eines Index. Dazu kommt, dass am Ende doch einige Fragen bleiben. Wie lange halten zum Beispiel Zustände auf Gegnern an? Bleiben Effekte, die durch Erkundungskarten ausgelöst wurden, die ganze Zeit auf dem Spielplansegment aktiv? Wie werden Zustände ausgelöst, die nicht mit einem Angriff verbunden sind (etwa bei einer giftigen Dornenhecke) – automatisch? Warum gibt es schwarze Linien auf den Spielplänen (unpassierbar, keine Sichtlinie) und zusätzlich gestrichelte Gebäudefelder (unpassierbar, keine Sichtlinie)? Gut, das könnte der Optik auf den Karten geschuldet sein. Hier wäre ein FAQ-Dokument wünschenswert.

Im Deutschen liegen zudem einige Lektoratsmängel vor, die zum Teil zu widersprüchlichen Regelinformationen führen. So fehlt etwa im „Arcade“-Regelwerk auf Seite 5 der Hinweis, dass Fiese-Schatztruhen-Karten ins Schatzdeck gemischt werden müssen. Außerdem gibt es nur 24 statt 25 Standardkarten. Auf Seite 11 wird der Heldenzug im Beispiel falsch ausgeführt, weil immer nur ein Held aktiviert wird (statt zwei). Auf Seite 16 wird im Angriffsbeispiel „Stechender Schuss“ die falsche Anzahl roter Würfel angegeben. Das Kapitel „Fallen“ auf S. 36 ist komplett dem „Klassik-Modus“ entnommen und in seiner Erklärung für den „Arcade-Modus“ völlig unbrauchbar, da es von der Existenz eines Spieler-Konsuls ausgeht (das engl. Regelwerk hat an dieser Stelle einen völlig anderen Text). In all diesen Fällen ist ein Errata-Dokument dringend nötig. Das „Klassik-Modus“-Regelwerk scheint in besserem Zustand zu sein. Möglicherweise wurde es zuerst übersetzt und das „Arcade-Modus“-Regelwerk daraus „abgeleitet“, mit diversen Übertragungsfehlern.

Etwas schade, aber bei der Größe und Qualität der Miniaturen verständlich, ist ist zu guter Letzt der Umstand, dass im Grundspiel praktisch nur die nötige Minimalausstattung für eine Partie vorhanden ist. Es finden sich nur exakt ein Bossmonster und zwei Mini-Bosse sowie vier Beschwörungspunkte samt Monster in der Box. Das reicht gerade so für vier Spieler – ohne jede Variation der Gegner in Folgepartien. Außerdem gibt es auch nur exakt die Menge an Wunder- und Fiese-Truhen-Karten, die man braucht, um ein Schatzdeck zu bauen. Klar kann man argumentieren, dass viele Grundboxen von Spielen, die explizit auf Erweiterungen ausgelegt sind, gerade das Minimum an Material bieten (bei „X-Wing“ beispielsweise drei Jäger). Wer mehr will, kann im Fall von „Super Dungeon Explore“ ja zu zahlreichen Erweiterungspacks greifen. Doch bei einem empfohlenen Verkaufspreis von rund hundert Euro hätte man sich vielleicht  noch einen zweiten Boss oder einen dritten Miniboss gewünscht. Auch hier waren diejenigen die klaren Sieger, die beim ursprünglichen Kickstarter mitgemacht haben.

Fazit: Ja, es gibt Kritik, die man an „Super Dungeon Explore“ üben kann. Aber, nein, das ändert nichts daran, dass das Spiel einfach ein phantastischer Dungeon Crawler ist. Die Regeln sind randvoll mit eleganten Spielmechaniken: von der Zorn-Verteilung, über die flexiblen Bewegungs- und Aktionspunkt, bis zum kooperativen Einsatz von Tränken und Würfeleffekten. Außerdem ist das Spielmaterial unfassbar knuffig. Hier spielen auch Freundinnen und Frauen gerne eine Partie mit, die sonst dem Genre-Hobby ihres Partners eher skeptisch gegenüberstehen. Unterschätzen darf man jedoch nicht die Einstiegshürde und die Komplexität. „Super Dungeon Explore“ kann man weder einfach so losspielen, noch ist es wirklich gut für den lockeren Familiennachmittag mit jüngeren Spielern geeignet.

Super Dungeon Explore – Der Vergessene König
Brettspiel für 1 bis 5 (bzw. 2 bis 6) Spieler ab 14 Jahre
Soda Pop Miniatures/Ulisses Spiele/Heidelberger Spieleverlag 2015
EAN: 4260091156277
Sprache: Deutsch
Preis: EUR 99,95

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