Star Trek CCG 2nd Edition

Stellt euch ein Spiel vor, das mit ungefähr zehn eng bedruckten DIN-A4 Seiten Regelwerk startet, dann im Laufe der Zeit einen 55 Seiten starken (dreispaltigen!) Glossar mit Sonder-, Ausnahme- und Extraregeln gebiert und zur Krönung noch eine Seite mit aktuellsten Korrekturen draufsetzt. Erschreckend? Yup! Die Erkenntnis, dass sie mit ihrem mittlerweile neun Jahre alten und 14 "reguläre" Expansion-Sets umfassenden "Star Trek"-Sammelkartenspiel keinen einzigen Neueinsteiger mehr hinter dem Warpantrieb würden hervorlocken können, hatten wohl auch die Kartenmeister bei Decipher und so entschloss man sich in einem marktwirtschaftlich wohl überlegten Schritt: Wir fangen wieder von vorne an!

von Bernd Perplies

"Back to the Roots, nur diesmal besser" dürfte das Motto der Macher für die 2nd Edition des "Star Trek"-CCG (Customizable Card Game) gewesen sein, die am 18. Dezember 2002 in den USA ihre Premiere hatte und mittlerweile bereits samt der ersten Expansion "Energize" auch übers Meer in hiesige Läden gebeamt wurde. So warf man viele, viele Mechanismen, die das Spiel in den letzten Zügen zwar faszinierend komplex aber auch furchtbar unüberschaubar hatten werden lassen, erstmal wieder über Bord. Q löste sich in Luft auf, die BattleBridge wurde eingemottet, Site und Time Locations wurden dorthin geschickt, wo sie hergekommen waren, und vor allem die unglaublich vielen Spezialbegriffe, hinter denen sich jeweils eine entsprechende Spezialregel verbarg und die mitunter zur Interpretation einzelner Kartentexte den "Großen Hiroglyphen-Schein" in CCG-Kunde nötig machten, wurden rigoros abgeschafft. Jahrelanges Playtesting-in-Progress hat sich jetzt ausgezahlt: Übrig geblieben ist ein Spiel, das jedem Einsteiger nach ein bis zwei Runden sofort klar ist und das dennoch viele der Möglichkeiten erhält, die der 1st Edition über die Jahre eine so treue Anhängerschaft beschert haben.

Gehen wir ein bisschen ins Detail: Das ungewöhnlich große Grundset der 2nd Edition besteht aus 415 verschiedenen Sammelkarten - Personnel, Starships, Equipment, Missions, Events, Interrupts und Dilemmas. Es gibt jeweils 121 Karten vom Seltenheitsgrad common (häufig), uncommon (weniger häufig) und rare (selten), die in den klassischen 11-Card Boosterpacks zu kaufen sind. Die übrigen 52 Karten sind fixed (fest) und finden sich nur in den vier verschiedenen 63-Card Startersets. Etwas nervig für Sammler ist die Bestückung der Displays, denn hier wurden Booster und Starter gleichermaßen beigepackt und zwar im Verhältnis 24 zu 8 (je 2x4), was zwar insgesamt mit 48 Rare-Cards eine höhere Ausbeute gegenüber 36-Boosterpack-Displays bedeutet, aber gerade beim Kauf von 2 oder mehr Displays eine ärgerliche Fülle gleichgearteter Commons und Fixed Cards nach sich zieht.

Das Design der neuen Karten zeigt deutlich den Zahn der Zeit, der mittlerweile an der 1st Edition nagte. Es ist, konzeptuell mit Farbverläufen und aufwändigen Hintergrundstrukturen an das "The Lord of the Rings"-Spiel angelehnt, sehr cool geworden und bietet visuell sozusagen ein Best-of aus TNG, DS9 und dem neuen Kinofilm NEMESIS. Sehr schön ist auch, dass viele Bilder aus den TV-Serien in Farbigkeit und Kontrast verstärkt wurden, um qualitativ mit den Kinofilmbildern mithalten zu können. So erscheint manches Gesicht in völlig neuem Glanz. Sammler werden erleichtert aufatmen, wenn sie hören, dass es im Augenblick noch keine "Foil"- oder "Alternate Image"-Cards gibt, man also noch recht problemlos in den Genuss eines Komplettsatzes kommen kann.

Jeder Spieler, das Game ist von vorne herein für mehr als zwei Kombattanten offen, benötigt ein Deck aus mindestens 60 Karten (5 Missions, 25 Dilemmas und 30 sonstigem), das heißt im Grunde ein Starterset, wobei man hier die Qual der Wahl zwischen dem DS9-Starter (mit Benjamin Sisko, Worf und einer Truppe Bajoranern), dem TNG-Starter (mit Picard, Riker, Worf und Föderations-Azubis), dem Klingon-Starter (mit Gowron, K'nera und einer Horde wilder Klingonen) oder dem Romulan-Starter (passend zu NEMESIS mit Shinzon und einem gemischten Doppel aus Romulanern und Remanern) hat. Man kann damit direkt anfangen, sollte es aber nicht, denn viele Tricks und Möglichkeiten eröffnen sich erst, wenn man zumindest ein paar Boosterpacks dazugekauft hat. Im Gegensatz zum LotR-TCG, das eine ganze Reihe heftiger Common-Cards aufweist, scheint hier die klassische Wertigkeit von C, UC und R wieder hergestellt - und gerade an UCs mangelt es dem Einstiegsspieler nachhaltig. In den Boosterpacks finden sich auch neben den bereits genannten Parteien (Föderation, Bajoraner, Klingonen und Romulaner/Remaner) noch die Cardassianer und eine breite Masse schräger Alien, die "non-aligned" sind, also frei mit jeder Gruppierung kooperieren können.

Prinzipiell funktioniert das ST-CCG etwas anders als das LotR-TCG (wobei dies sowohl für die 2nd wie auch die 1st Edition gilt - hier ist man sich prinzipiell treu geblieben, sodass vor allem Umsteiger sich praktisch sofort heimisch fühlen dürften). Während in Letzterem der Kampf das vielleicht wichtigste Spielelement darstellt, ist es hier - ganz Roddenberry - der erfolgreiche Abschluss von Missionen, der Punkte und damit letztlich den Sieg einbringt. Jeder Spieler beginnt damit, Raumschiffe und Personal auf seiner Heimatwelt auszuspielen, die danach in die Weiten des Alls vordringen, um unterschiedlich knifflige Aufgaben (mit entsprechendem Punktwert) zu lösen. Jede Mission weist gewisse Voraussetzungen auf, die zu seiner Bewältigung notwendig sind, Voraussetzungen, die durch die Crew und ihre Ausrüstung aufgebracht werden müssen. Die Aufgabe des Gegners besteht jeweils darin, böses Schicksal zu spielen und den tapferen Außenteams Dilemmas in den Weg zu werfen, welche selbiges nach dem 10-kleine-Negerlein-Prinzip schrumpfen lassen, bis es nicht mehr imstande ist, den Missionsanfordernungen in dieser Spielrunde zu genügen. Alternativ kann man sich auch kriegerisch geben und mit Männern oder Schiffen angreifen, wobei der Gewinn jedoch zumeist relativ mager ausfällt und eine gute Dilemma-Kombination in jedem Fall vorzuziehen ist. Gewinner ist derjenige, der zuerst 100 Punkte eingefahren hat.

Fazit: Ein kurzweiliges Spiel, das den Flair von "Star Trek" gut rüberbringt und vor allem durch seine vielfältigen Möglichkeiten, ein Deck zusammenzustellen, auch länger zu fesseln vermag. Veteranen der 1st Editionen mögen die doch etwas zusammengestrichene Komplexität bemängeln, aber allen, die schon immer bunte Pappkärtchen geliebt haben und sich bislang nur aus Furcht vor neun Jahre lang verwachsenem Regelwust aus dem "Star Trek"-Universum fern gehalten hatten, bietet die 2nd Edition den optimalen Einstiegspunkt für fröhliche Zockrunden mit Picard, Sisko und Co. Kampflustige Naturen freuen sich zudem über die zweite Erweiterung, die für September geplant ist und den viel versprechenden Titel "Call to Arms" trägt.


Star Trek Second Edition CCG
Sammelkarten-Grundset
Evan Lorentz, Brad DeFruiter, Tim Ellington u. a.
Decipher 2002
415 Karten, englisch
Preis: ca. EUR 10 (Starter), ca. EUR 2,50 (Booster)

NUR NOCH GEBRAUCHT ERHÄLTLICH