Spielleiterhandbuch

Das neue „Spielleiterhandbuch“ für „Pathfinder 2“ tritt in große Fußstapfen: Sein Pendant der ersten Edition war ein Musterbeispiel dafür, wie man einen spielphilosophischen und regelmechanischen Werkzeugkasten für ein Fantasy-Rollenspiel füllt. Wie schlägt sich die Neuerscheinung?

von Peter Michael Meuer

Zu meinen liebsten Veröffentlichungen der ersten „Pathfinder“-Edition gehört das „Spielleiter-Handbuch“, auf jenes der zweiten Edition bin ich daher besonders gespannt gewesen. Nun hat Ulisses es auf Deutsch herausgebracht, es ist also an der Zeit, einen Blick darauf zu werfen.

Als Hintergrund sollte „D&D“- und „Pathfinder“-Fans und den Menschen, die es werden wollen, eines gewahr sein: Auch wenn „Pathfinder“ von „D&D“ oberflächlich gesehen das dreigliedrige System von „Spielerhandbuch“, „Monsterhandbuch“ und „Spielleiterhandbuch“ übernommen hat, ist es doch etwas anders aufgebaut. Bei allen „D&D“-Editionen bis hin zur fünften benötigt man diese drei Bände als Grundstock. Im „Spielleiterhandbuch“ sind bei „Dungeons & Dragons“ schon immer unverzichtbare Regeln untergebracht gewesen, jene eben, die für Spielleiter und Spielleiterinnen relevant sind.
 
Bei „Pathfinder“ ist das ein wenig anders. Schon in der ersten Edition wurde der notwendige Regelanteil für die Dungeon Masters und Masterinnen bereits ins Grundbuch integriert. Das eigene „Spielleiterbuch“ ist hier mehr ein – notfalls verzichtbares – Zusatzprodukt mit einem spannenden Mix aus weiteren Regeln, NSC-Werten und einem Querschnitt dessen, was die Rollenspieltheorie in den frühen 2010ern so zu bieten hatte.

Das Teil war ein Genuss, gut geschrieben, bunt, voller Impulse. Kann das „Pathfinder 2 – Spielleiterhandbuch“ hier mithalten? Die Antwort lautet leider: nur in Teilen.

Das Buch ist in fünf Kapitel unterteilt: Grundlagen, Werkzeuge, Untersysteme, Alternativregeln und NSC-Galerie.

Grundlagen, das in der Kapitelüberschrift dann plötzlich nicht mehr wie im Inhaltsverzeichnis Grundlagen heißt, sondern Spielleiten, dreht sich vorrangig um das, was eine moderne Rollenspielgruppe an Normen, sozialem Umgang und „Wie wir das schnell am Tisch regeln“-Regeln braucht. Wie steuere ich das Tempo von Spielabenden? Wann ist es sinnvoll, verdeckt zu würfeln? Wie definiere ich inhaltliche Grenzen für Spieler und Spielerinnen? Was tue ich nach einem Total Party Kill? Wann ist es sinnvoll, spontane Boni und Mali zu vergeben? Zu diesen teils sozialen und spielphilosophischen Fragen kommt Input für einige spezielle Situationen, etwas für Unterwasserkampf, Abenteuer- und Begegnungsbau, Belohnungen und Co.

Werkzeuge schließt da eigentlich an, hier gibt es noch mehr Regeln für besondere Situationen und Wünsche. Vor allem das Erschaffen steht hier im Fokus, jenes von Kreaturen etwa, aber vorrangig das von magischen Gegenständen, Relikten und Co. Wie erschafft man neue Schätze, um, Zitat, seinen „Spielern ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern“? Wie stellen sich verfluchte Gegenstände regelmechanisch dar? Ziemlich plötzlich schwenkt das Kapitel dann über zu Drogen, Krankheiten und dem Erschaffen von Welten.

Das Kapitel Untersysteme, das übrigens ein wundervoll-kopfkinomäßiges Eingangsbild hat, handelt dann völlig neue Situationen ab. Es erklärt Regeln für Duelle (auch magische Duelle), längere Verfolgungsjagden, Fahrzeuge, Einfluss und Co.

Kapitel vier – Regelvarianten – bringt vorrangig genau das: Varianten für bestehende, schon im Grundbuch behandelte Systeme und Ansätze wie Gesinnungen („extrem“ böse und gut sowie Gesinnungswechsel werden thematisiert), detailreiche Hintergründe (inklusive Kindheitserfahrungen wie „in der Wildnis verlaufen“ für die tiefenpsychologische Entwicklung des Charakters), Informationen für Powercharaktere mit zwei Klassen, für Ausdauer und Co.

Kapitel fünf liefert die NSC-Galerie. Mehr als 80 Nichtspielercharaktere ganz unterschiedlicher Ausprägung für jede Gelegenheit finden sich hier. Klassiker wie Gastwirte, Wachen und Banditen sind ebenso hier zu finden wie Richter, Seuchenärzte und Totengräber. Ein paar Vorschläge, um die NSCs schnell anzupassen, zum Beispiel in Hinsicht auf Abstammungen, werden ebenfalls mitgeliefert.

Unterm Strich lässt mich das „Pathfinder 2 – Spielleiterhandbuch“ mit gemischten Gefühlen zurück. Das liegt vorrangig daran, dass es Schwächen gegenüber dem ersten Spielleiterhandbuch hat. Es ist in Teilen etwas fahrig strukturiert, hier Regeln, da Regeln; die Abgrenzungen, was wohin gehört, sind mitunter schwammig. Dazwischen platziert sind dann immer wieder neue Gegenstände und andere „harte“ neue Elemente. Dann gibt es wieder Passagen, in denen viel geredet wird und das ohne viel Mehrwert. Die Qualität der Regelelemente und Subsysteme variiert stark. Die zwei Seiten zum Thema „Anführen“ hätte man sich sparen können, hier findet sich viel Blabla und eine Tabelle zur Zahl der Anhängerzahl pro Stufe, die recht kontextlos daher kommt und nur eingeschränkt nützlich ist. Anderes funktioniert gut. Ich mag etwa die Regeln zu den Duellen. Das meiste, was an „harten“ Werten abgebildet wird, ist nützlich – von den magischen Gegenständen über neue Gefahren hin zu den Krankheiten. Besonders hervorzuheben ist Kapitel fünf. Die NSC-Galerie ist übersichtlich, vielseitig und überaus hilfreich.

Das starke Toolbox-Niveau des „Spielleiterhandbuchs“ der ersten Edition erreicht das der zweiten trotz dieses gelungenen Abschlusses aber nicht ganz. Was mir fehlt, sind beispielsweise die vielen Zufallstabellen, die mochte ich. Es gibt zwar einige im neuen „Spielleiterhandbuch“, und die sind auch ganz gut gemacht. Gut gefallen haben mir zum Beispiel die „Eigenarten“ (nicht „Eigenschaften“) von Gegenständen. Aber im alten Handbuch waren es einfach mehr und coolere Tabellen. Da konnte man sich binnen Minuten einen Abenteuerplot zusammenwürfeln, das hatte etwas.

Fazit: Das „Spielleiterhandbuch“ der zweiten „Pathfinder“-Edition hat seine Schwächen, einiges wirkt lieblos und durcheinander. Aber es gibt auch genug hilfreiche und gut geschriebene Regelelemente, die dazu animieren, sich das Buch ins Regal zu stellen. Allein Kapitel fünf mit seinen bunten NSC und ihren Werten, die dem Spielleiter enorm beim Improvisieren helfen können, rechtfertigt schon fast die Anschaffung. Noch etwas zur deutschen Version: Übersetzt ist das Buch soweit solide.

Spielleiterhandbuch

Regelwerk
Logan Bonner, Mark Seifter
Ulisses Spiele 2020
ISBN: 978-3-96331-366-0
256 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 49,95  

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