Spielerratgeber

„Im Laufe der Jahre haben wir erkannt, dass viele neue Spieler das Spiel mit Hilfe eines geduldigen Spielleiters oder anderen Spielern erlernen. Diese Lehrer führen neue Spieler durch die Charaktererschaffung, zeigen ihnen, welche Würfel in welchen Situationen zur Anwendung kommen, und leiten sie durch die Grundlagen von Kämpfen und anderen Begegnungen.“ Der Spielerratgeber soll genau dieser Lehrer sein. Mal sehen, ob das Buch dem Anspruch gerecht wird.

von Tobias Dworschak

 

Ulisses hat mit dem „Strategy Guide“ ein Buch ins Deutsche übersetzt, das Paizo immer wieder verschoben hatte und das schon vor seiner Veröffentlichung heftig diskutiert worden ist. Insbesondere war lange nicht klar, ob Paizo einen „offiziellen Optimierungsleitfaden“ geschrieben hat. Nun liegen die 162 Seiten vor, für die Rezension als PDF. Schon beim traditionellen ersten Durchblättern fällt mir auf, dass etwas anders ist: Das Buch wirkt innen bunter und unruhiger. Viele graphische Elemente, viel Farbe, aber keine Hintergründe mehr, sondern Weiß. Ich muss zugeben, dass mir hier das vertraute Element fehlt. Das Buch ist gut gefüllt mit ansprechenden Zeichnungen. Vieles davon kommt mir aber aus älteren Publikationen bekannt vor. Mir fallen eine Reihe von Fehlern auf, insbesondere doppelte oder falsche Tabelleneinträge. Das ist deshalb besonders ärgerlich, weil die Zielgruppe hier fehlerhafte Informationen erhält.

Ganz allgemein gesprochen versucht der „Spielerratgeber“, einem neuen, unerfahrenen Spieler „Pathfinder“ näher zu bringen – und dient damit nicht der hemmungslosen Optimierung für erfahrene Spieler. Das tut es unter anderem dadurch, dass es wichtige Begriffe und Konzepte erläutert, und zwar zu allen erdenklichen Themen (Charaktererschaffung, Kampf, Fertigkeiten und so weiter). Mehr als einmal ertappe ich mich bei der Frage, warum um alles in der Welt der Neuling nicht einfach das Grundregelwerk anschaut. Denn viele Erläuterungen entstammen naturgemäß den Regeln, vermitteln aber nichts Neues, sondern formulieren die Regeln bestenfalls um.

Nach der allgemeinen Einleitung geht es los mit Charakterkonzepten, einem Kapitel, in dem ich lernen soll, einen interessanten Charakter zu erschaffen. Das erste, was ich dazu benötige, ist ein Konzept. Falls mir gerade keines in den Sinn kommt, bietet mir das Buch einen Multiple-Choice-Test an, dessen Antworten mich zu einem meinen Vorstellungen entsprechenden Konzept führen sollen. Wirklich. „Zu Kampfbeginn (tue ich das und das)“ oder „Ich gelange folgendermaßen ohne Kampf mit den Wachen in das Schloss ...“ sind die Arten von Fragen, die es zu beantworten gilt. Zwischendrin gelange ich an ein empfohlenes Konzept, das sogar ein eigenes Icon spendiert bekommen hat. Insgesamt sind das 26, die auf den nachfolgenden Seiten erläutert werden. Diese Erläuterung liest sich überraschend angenehm. Das liegt vor allem daran, dass jede Beschreibung mit einem stimmigen Ingame-Text eingeleitet wird. Zusammen mit den wenigen Informationen gewinne ich ein erstes Bild von dem möglichen Charakter. Und Bild ist ein gutes Stichwort, denn jeder Eintrag ist ansehnlich bebildert.

Die Konzepte führen mich über ein paar kurzen Anmerkungen zu den Völkern direkt zu den „Klassenleitfäden“. Diese kann man schon allein wegen ihres Umfangs als den Kern des Buches bezeichnen. Es gibt eine Einführung zu den Dingen, die eine Klasse ausmachen sowie die Erklärung, was Fertigkeiten, Talente und Zauber sind und wie ich die Einträge im Grundregelwerk zu lesen habe. Das ist überflüssig, weil es im Grundregelwerk schon erläutert ist. Auf den folgenden 75 Seiten werden dann die 11 Klassen aus dem Grundregelwerk im Einzelnen vorgestellt. Zuerst erfahre ich, wie ich einen Charakter dieser Klasse auf Stufe Eins erschaffe und dann, was ich auf jeder einzelnen Stufe bis 20 tun kann.

Ich schaue mir das interessiert an und muss mir erneut die Frage stellen, ob das wirklich für irgendjemanden hilfreich ist? Wenn ich nur eine Klasse ansehe, finde ich dort mit Informationen überfrachtete Seiten, auf denen in Textform noch einmal das steht, was schon die übersichtlichen Tabellen im Grundregelwerk enthalten. Ich erhalte hier keine neuen Erkenntnisse. Die Tipps sind kaum hilfreich: Für den Krieger ist Stärke als höchstes Attribut gut, dann Konstitution und Geschicklichkeit. Zieht das jemand, der das Grundregelwerk ansieht, ernsthaft in Zweifel? Ich lese noch einmal, welche Fertigkeiten der Krieger hat und welche sich lohnen. Der Eintrag erklärt, welche Waffe und Rüstung ich tragen sollte und welche Talente sich lohnen. Diese Empfehlungen empfinde ich als zweischneidiges Schwert, vor allem, da nur Talente aus dem Grundregelwerk aufgeführt sind und diese doch inzwischen den überschaubareren Teil ausmachen. Meines Erachtens erschließen sich sinnvolle Talente hier beim Lesen selbst. Aber ich will zugeben, dass dies einen Anfänger vor schwierige Entscheidungen stellen kann. Hier hätte ich mir dann aber weitere Erläuterungen gewünscht, um einen Lerneffekt zu erzielen. Diese Erläuterungen sind aber in der Regel nur Wiederholungen der Talentbeschreibung.

Manchmal entdecke ich beim Lesen auch hilfreiche Hinweise, zum Beispiel, welche Schulen Magier als verbotene Schulen wählen sollten, oder warum für Magier das Talent Verbesserte Initiative sinnvoll ist. Hiervon hätte ich mir mehr gewünscht. Die Übersicht über die Stufenaufstiege empfehlen Talente und neue Zauber oder helfen bei Entscheidungen, sofern dies bei einzelnen Klassenfertigkeiten notwendig ist, zu oft aber ohne eine weitere Begründung. Wirklich hilfreich sind die Listen der empfohlenen Ausrüstung, denn die beinhalten mehr als nur Waffen, Rüstung und Seil. Ersatzwaffen und typische Ausrüstung helfen dem Neuling zu verstehen, worauf es im Abenteuererleben ankommt (z. B. Schadensreduzierung gegen Schadensarten). Bei jeder Klasse sind die Tipps aufgeteilt nach den zu Beginn ermittelten Konzepten. Das ist meist überflüssig, weil die Unterschiede meist marginal sind.

Es folgt das Kapitel „Das Spiel“, das in anderer Aufbereitung (mehr grafische Elemente) die Grundregeln noch einmal erläutert. Und während der Lektüre denke ich zurück an die ersten Schritte meiner Gruppe in „Pathfinder“. Eigentlich sind die Dinge, die dort stehen, selbstverständlich. Aber vielleicht auch nur für den erfahrenen „Pathfinder“-Spieler, denn meine Gruppe hatte langjährige Rollenspiel-Erfahrung, war mit der Flut an Optionen und Möglichkeiten im Kampf aber überfordert. Mir fällt also auf, dass das, was ich hier lese, wirklich hilfreich sein kann. Welche Prioritäten setze ich im Kampf? Wie nutze ich Kampfmanöver? Was ist die richtige Taktik gegen bestimmte Gegnerarten? Da „Pathfinder“ in meinen Augen (und der Schwerpunkt der hier vorgestellten Regeln gibt mir recht) dazu tendiert, eine taktische Kampfsimulation zu sein, die einen Neueinsteiger vor wirklich schwierige Fragen stellen kann, trägt diese Zusammenfassung hier wirklich zum Spielverständnis bei. Ich denke, dass dies genau das ist, was ein Spielleiter seiner Gruppe vermitteln sollte. Aber das Buch erhebt ja den Anspruch, einen solchermaßen engagierten Spielleiter zu ersetzen und wird diesem Anspruch damit gerecht.

Das Buch behandelt übrigens auch andere Aspekte des Spiels wie das Erforschen von Dungeons, besondere Tricks der einzelnen Klassen, soziale Konflikte mit entsprechenden Fertigkeiten und so weiter. Nicht zuletzt wird ein Blick hinter den Spielleiterschirm geworfen, verbunden mit der Frage, was ich tun kann, um das Spiel zu verbessern: Sei großartig! Diese Überlegungen sind ebenfalls gelungen und sollen neue Spieler dazu ermuntern, sich mehr auf das Spiel einzulassen: „Überlege dir vor einem Kampf – und am besten natürlich vor dem großen Finale – ein oder zwei Dinge, welche dein Charakter sagen könnte.“ Zum Abschluss gibt es eine Vorstellung der „Pathfinder Society“, den organisierten Spielrunden von „Pathfinder“, die ich allerdings hierzulande kaum wahrnehme. Das ist schade, mag aber auch von Region zu Region verschieden sein. Ein umfangreicher Index rundet das Werk ab.

Fazit: Das Zitat aus dem Buch geht übrigens weiter: „Wir wissen aber auch, dass nicht an jedem Spieltisch solche geduldigen Lehrer sitzen. Manche Gruppen bestehen vollständig aus neuen Spielern. Manche Spieler haben nur begrenzte Zeit und können keine Neulinge unter ihre Fittiche nehmen.“ Ich bin davon überzeugt, dass es schwer wird, unter diesen Prämissen mit dem Rollenspiel zu beginnen. Insgesamt glaube ich, dass dieses Buch nicht gebraucht wird. Oder anders gesagt: Es gibt bessere Alternativen, nämlich begeisterte Menschen, die mir entweder das Hobby nahe bringen, oder mit denen ich es gemeinsam erforsche. Das Buch entspricht für mich einer Mentalität der Abkürzungen, die nicht dazu dient, das Verständnis für das Spiel zu schärfen. Ich lerne Dinge besser, die ich selbst erfahren habe.

Das Buch ist in dem, was es anbietet, nicht schlecht, insbesondere, wenn es als reiner Einsteiger-Leitfaden betrachtet wird – nicht nur in „Pathfinder“, sondern auch in das Rollenspiel allgemein. Meiner Meinung nach sind Neueinsteiger aber mit der Einsteiger-Box und dann dem Grundregelwerk besser bedient. Der Spielerratgeber ist eine modern wirkende, zu bunte und überladene Anleitung für Neulinge. Es ist angefüllt mit Tipps und Hinweisen von unterschiedlicher Sinnhaftigkeit. Es zeichnet sich durch ein gelungenes Kapitel über die Spielmechanismen aus, die im Grundregelwerk nicht so deutlich und nicht mit diesen Fragen dargestellt sind. Dazu hätte es des zu umfangreichen ersten Teils nicht bedurft. Dieser ist zu sehr Wiederholung.


Spielerratgeber
Regelwerk
Wolfgang Baur, John Compton
Ulisses Spiele 2015
ISBN: 978-3-95752-132-3
160 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 29,95

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