Sensor

Leise rieselt das Himmelshaar, abgeschieden und friedvoll liegt das Dorf, golden glänzt der Himmel: Freue Dich, Junji Ito ist wieder da. Mit „Sensor“ begibt sich der Mangaka auf eine spirituell-mystische Reise, in der eine Frau, ein Mann und der „Heilige Miguel“ im Mittelpunkt stehen. Ist das noch Horror?

von Daniel Pabst

„Sensor“ ist ein Manga von Junji Ito aus dem Jahr 2019. Im Rahmen der Reihe des „Horror-Meisters“ ist er jetzt bei Carlsen Manga auf Deutsch erschienen. Der Band ist wieder einmal als Hardcover-Version gebunden worden und umfasst 242 Seiten. Zusätzlich zur Geschichte, die in sieben Kapitel eingeteilt wurde, gibt es ein Nachwort sowie vier Seiten, die bunte Illustrationen der wichtigsten Charaktere von „Sensor“ zeigen. Passend zum „Himmelshaar“, welches in dem Werk umher weht, wurde der Schriftzug des Bandes in goldener Farbe gedruckt. Sehr schön reiht sich „Sensor“ in die Junji-Ito-Bände („Deluxe Edition“) von Carlsen Manga ein.

Gleich zu Beginn sehen wir einen qualmenden Berg. Ein Vulkanausbruch kündigt sich an! Damit verarbeitet Junji Ito abermals eine japanische Grundangst: den Ausbruch des Fuji – das Wahrzeichen Japans. Das letzte Mal brach der Fuji in der Edo-Zeit im Dezember 1707 für zwei Wochen aus. Bei einem erneuten Ausbruch würde der Ascheregen bis in die Millionenstädte wie Tokio reichen und sehr wahrscheinlich katastrophale Auswirkungen mit sich bringen. Das also ist die für diesen Horror-Manga gewählte Ausgangslage.

Kyoko Byakuya verschlägt es in die Berge, wo sie die seltsame Begegnung mit Haaren macht, die durch die Lüfte fliegen. Anfangs hält sie diese für Fäden aus vulkanischem Glas (sogenanntes „Pele-Haar“), welche aus Lava entstehen können. Doch dann fängt sie einige dieser Fäden mit ihrer Hand und merkt, dass diese sehr weich und goldfarben sind. Was also, wenn es sich um „Engelshaar“ handelt, fragt sich Kyoko? Dazu lesen wir: „Noch rätselt man, ob es Spinnenseide ist … oder von Ufos herabfällt“. Im nächsten Panel dann sehen wir, wer diese Gedanken geäußert hat. Sie stammen von einem Mann, der in einem Dorf ganz in der Nähe des Berges wohnt. Als der sich nähernde Mann dann Kyokos Namen nennt, gruselt nicht nur sie sich das erste Mal.

Was sich auf den folgenden 225 Seiten abspielt, ist sehr mystisch und spirituell. Komischerweise sagt Junji Ito in seinem Nachwort zu „Sensor“ selbst: „Allerdings war es bei mir wohl das erste Mal, dass sich die Figuren selbstständig machten – wenn auch in eine merkwürdige Richtung (…)“. Das hilft wahrscheinlich nicht wirklich weiter bei der Frage, ob man mehr als einen Blick in diesen Manga werfen soll oder nicht, richtig? Das Zitat gibt aber einen sehr guten Einblick in die kreative Arbeit des Mangakas. Denn nach den Horror-Geschichten, die Junji Ito mit „Uzumaki“, „Gyo“ und vielen – teils ebenso genialen – Kurzgeschichten erdacht und gezeichnet hat, muss man erst einmal die Motivation aufbringen, eine neue Geschichte zu erschaffen.

„Sensor“ ist daher als ein Experiment zu lesen, in dem Junji Ito die alltägliche Wanderung in den Bergen Japans zu einem übernatürlichen Ereignis werden lässt. Gut verflochten wurden hier die Themen der Obsession und Schönheit, der Suche nach der Wahrheit und nach dem Ursprung des Lebens sowie der Naturkatastrophen und der menschlichen Lebensentscheidungen. Eine große Rolle spielen hier übrigens auch Engel, Teufel und Gott! Dass man so schnell selbst einiges in „Sensor“ hineinliest, ist fast vorprogrammiert. Ist das empfehlenswert?    

Im Vergleich zu anderen Horror-Mangas von Junji Ito fällt „Sensor“ definitiv aus der Reihe. Das ist aber nicht negativ. Junji Itos eigenes Urteil über das Werk ist also etwas zu hart: „Unterm Strich ist Sensor das Ergebnis einer Hals-über-Kopf-Aktion. Dennoch, es ist ja nicht durchweg schlecht“. Empfehlenswert ist dieser Manga insbesondere, wenn man sich für spirituelle Fragen und Naturphänomene begeistern kann. Wer dagegen einen Schocker erwartet, muss sich mit einigen – dafür sehr heftigen – Jump-Scare-Momenten begnügen.       

Leseprobe

Fazit: „Sensor“ ist eine japanische Geschichte, die ihre Höhen und Tiefen hat. Trotz des Eindrucks, dass Junji Ito hier der rote Faden aus den Händen gefallen ist, beleuchtet „Sensor“ spannende und auch nachdenkliche Themen. Der Horror ist in eine spirituelle Wanderung eingekleidet worden, bei der – einmal vom Weg abgekommen – das Universum den Menschen plötzlich immer näherkommt. Seltsam, aber dennoch empfehlenswert.   

Sensor
Manga
Junji Ito
Carlsen Manga 2022
ISBN: 978-3-551-79268-6
242 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 18,00

bei amazon.de bestellen