Postmoderne Magie

„Finde den okkulten Untergrund, bevor er dich findet!“ So weit so gut, du hast ihn also gefunden – und nun? Wie lebt es sich denn da draußen mit dem Wissen einiger Auserwählter, immer auf der Suche nach der nächsten Ladung, wie der Fixer nach dem nächsten Schuß? Was erwartet dich hier, und wichtiger: Ist das alles? Was lauert um die nächste Ecke und wer sind die Macher? „Postmoderne Magie“ hat Antworten.

von Nicolas Hohmann

 

 

„Postmoderne Magie“, gerne PoMoMa abgekürzt, ist das neue Quellenbuch aus dem Vortex-Verlag zum deutschen „Unknown Armies“. Das 192-seitige, auf 333 gedruckte Exemplare limitierte Hardcoverbuch beschäftigt sich mit der Magie der Adepten, hält also Avatare weitestgehend außen vor, und wurde für die deutsche Auflage von den Autoren des Verlags um einige Magieschulen und ein Abenteuer erweitert.

Der Einstieg in den okkulten Untergrund beginnt mit der Kurzgeschichte „Zwei Tausend Null Null“. Glücklicherweise sorgt eine ganze Reihe von unbemerkten Zufällen dafür, dass all jene, die der Katastrophe an Silvester 2000 etwas nachhelfen wollten, auf dem ganzen Globus von Polizisten aufgegriffen werden. Nur Alex Abel, Chef der neuen Inquisition, sieht das Muster in dieser glücklichen Verkettung von Umständen.

Anschließend widmen wir uns in „Theorie der Magie“ ganz dem Tagesablauf eines Adepten. Wie sieht das Leben überhaupt aus, wenn man echte Magie zu einer Obsession gemacht hat, in einer Welt, die nichts davon ahnt? Mit welchen Kräften lässt man sich ein, worin besteht der Alltag des Überlebens und was sollte man tunlichst lassen? Am allerwichtigsten: Wie kommt man an Ladungen und wie leitet man als Spielleiter des ganzen Spiels das Alltagsleben und die Jagd nach Ladungen, ohne dass den Spielern dabei allzu schnell langweilig wird?

Mit „Praxis der Magie“ geht es dann an die neuen Zauberschulen, die in „Postmoderne Magie“ vorgestellt werden. Insgesamt zehn neue Schulen haben in das Quellenbuch Eingang gefunden, davon zwei (Tempomantie, Cinemantie) eigens für die deutsche Auflage geschrieben. Jeweils zwei bis vier Seiten sind einer der neuen Schule, inklusive neuer Zauberformeln, gewidmet. Über folgende Adeptenschulen darf sich der Leser freuen:

  • Die Amoromanten sind Liebesmagier, die ihre Ladungen durch das Brechen von Herzen gewinnen und mit ihren Zaubern die Gefühle von Menschen beeinflussen.
  • Annihilomanten nennen sich die Zerstörungsmagier. Sie beziehen ihre Ladungen aus der kreativen Kraft der Zerstörung. Alles Alte soll man hinter sich lassen, um wirklich frei zu sein. Ihre Magie ist zerstörerisch und entlarvend zugleich.
  • Cinemanten sind wahre Cineasten. Sie müssen es sogar sein, denn durch das Schauen von Filmen oder durch Dreharbeiten gewinnen sie Macht. Mit ihrer Magie können sie die Realität dem Film ähnlicher machen.
  • Die Idolmagier werden auch als Ikonomanten bezeichnet und beziehen ihre Macht aus der Anbetung einer Ikone der Zeitgeschichte: Elvis, Lady Di, Mahatma Gandhi oder Che. Je nach ihrem Vorbild verfügen sie über dessen Vorzüge und Nachteile.
  • Infomanten manipulieren die Datenströme des Internets und beziehen auch ihre Ladungen aus Medienmanipulation. Ihre Magie betrachtet auch den menschlichen Geist als einen Datenstrom.
  • Irascimant ist der Fachbegriff für Wutmagier. Ständig müssen sie in Rage sein und doch diese Wut unterdrücken, um daraus Ladungen zu beziehen. Ihre Zauberformeln bringen andere zur Weißglut.
  • Diebstahl ist die Quelle der Ladungen für Kleptomanten. Ständig müssen sie stehlen, um an ihre Ladungen zu gelangen. Ihre Zaubersprüche helfen dabei, Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen und Leute abzulenken.
  • Kryptomantie ist eine sterbende Schule. Ihre Anwender sind die Herren über Lüge und Wahrheit und gewinnen hieraus ihre Kraft. Dementsprechend schaffen sie es, mit ihrer Magie zu täuschen oder die Wahrheit ans Licht zu bringen.
  • Der Oneiromant ist der Adept der Erschöpfungsmagie. Je müder er wird, desto mehr lädt er sich magisch auf. Doch Vorsicht: Schlaf beraubt ihn aller Ladungen, sodass er ständig Aufputschmittel schluckt. Diese Zauberei spielt mit Traum, Realität und Unterbewusstsein.
  • Zeitmagie, auch Tempomantie genannt, setzt ihre Adepten ganz schön unter Druck. Denn um ihre Ladungen zu gewinnen und zu bewahren, müssen sie sich sklavisch an ihren Terminkalender halten. Dafür sind sie in der Lage, Zeit und Termine zu manipulieren.
  • Wirklich düster, und eigentlich nicht für SC gedacht, sind die Thanatomanten. Wie man es von einem Todesmagier erwartet, erhalten sie ihre magische Macht durch das rituelle Opfern von Tieren und Menschen. Auch ihre Zauberformeln bringen Tod und Verderben. Ihnen ist jegliche Moral und Ethik abhanden gekommen.

Die „Praxis der Magie“ führt auch einige neue Rituale ein, die prinzipiell von jedem durchführbar sind. Darunter sind ganz einfache, aber ungeheuer praktische Rituale, wie der Medizinbeutel, der, wenn richtig hergestellt und getragen, die Gesundheit, Blutwerte und chronische Erkrankungen deutlich verbessert. Skurril ist der „Cartesianische Fluch“, der das Opfer dazu zwingt, ständig daran zu denken, dass es existiert, ansonsten verschwindet es. Außerordentlich schwer durchzuführen, aber in seinem Effekt eindrucksvoll und beängstigend zugleich, ist das Ritual der Verschmelzung, in der zwei Menschen verschmelzen und nur einer mit den besten Eigenschaften beider Körper wieder herauskommt.

„Übernatürliche Kreaturen“ und „Artefakte“ sind zwei kurze Kapitel, die – nomen est omen – genau das beinhalten, was draufsteht: neue Kreaturen aus dem okkulten Untergrund, wie den Thaumophagen, oder neue Automatenregeln, sowie weitere magische Artefakte, wie den Palast aus Pappe, einem riesigen extradimensionalen Palast im Schuhkarton, oder die Alter-Sprache, eine infektiöse Kunstsprache, die den Geist beeinflusst.

In „Zirkel und Macher“ werden eine Menge neuer NSC und Organisationen aus dem okkulten Untergrund vorgestellt, die der SL in seiner Kampagne einsetzen kann. „101001101“ ist die Organisation der Kreatur – Rahyab genannt – die die Oneiromantie erfunden hat. Sie treten als Organisatoren großer, geheimer Rave-Parties mit entsprechendem Drogenkonsum auf, doch während den Trips verschmelzen die Geister der Partygänger mit dem Netzwerk 101001101. „Der Club der erdachten Helden“ ist ein Zirkel von Cinemanten mit einer recht bewegten Geschichte. Heute haben sie mangels Anführer ein wenig ihr Ziel aus den Augen verloren, und leben von Party zu Film zu sozialem Event daher. Das „Handelshaus“ kann alle Wünsche erfüllen, wenn nur der Preis stimmt – und man sollte das Kleingedruckte des Vertrages besser zweimal lesen.

Der Abschluss des Quellenbuchs ist das Abenteuer „Filmreif“, in dem die Spielercharakter nur mit bruchstückhaften Erinnerungen in einem Kinosaal voller panischer Kinogänger erwachen und sich nun erstmal orientieren müssen. Da ich nicht zu viel verraten möchte, sei nur gesagt, dass das Abenteuer es in sich hat und es mehrere UA-typischen Wendungen in der Handlung gibt .Action kommt auch nicht zu kurz.

Fazit: „Postmoderne Magie“ ist ein erstklassiges Quellenbuch. Es ist ein Sammelsurium guter Ideen für „Unkown Armies“, die alle unter dem Thema „Postmoderne Magie“ Platz finden. Der lockere Schreibstil sowie die teils abgedrehten Ideen, die „Unkown Armies“ ja ausmachen, sorgen für viel Lesespaß während der Lektüre. Das enthaltene Abenteuer ist ebenfalls große Klasse, sodass das Quellenbuch jedem, der schon das Grundregelwerk gerne gelesen hat, nur empfohlen werden kann.


Postmoderne Magie
Quellenbuch
Greg Stolze u.a.
Vortex Verlag 2008
ISBN: n.a.
192 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 34,95

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