H. P. Lovecraft: Leben und Werk 1

Der renommierte Horror-Autor H. P. Lovecraft hat ein literarisches Werk hinterlassen, das in unserer Zeit zu Bekanntheit gelangte und breiten Einfluss auf die Popkultur genommen hat. S. T. Joshi hat dem Schriftsteller eine ebenso denkwürdige, zweibändige Biographie gewidmet, deren erster Band hier vorgestellt werden soll.

von Markus Kolbeck

Der Einsiedler aus Providence

Das 734-seitige Hardcover „H. P. Lovecraft: Leben und Werk 1“ (auf Deutsch 2017 erschienen) ist der erste Teil einer zweibändigen biographischen Ausgabe über das Leben und das literarische Werk des US-Amerikaners Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), dem Autoren unheimlich-phantastischer Romane, Erzählungen und Kurzgeschichten, also Horrorgeschichten und zwar der besonderen Art. Lovecraft hat ein umfassendes Werk hinterlassen, aber nur drei Kurzromane verfasst: „Berge des Wahnsinns“ (englisch: „At The Mountains Of Madness“), „Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath“ (englisch: „The Dream Quest of Unknown Kadath“) und „Der Fall Charles Dexter Ward“ (englisch: „The Case of Charles Dexter Ward“). Lovecraft war auch Essayist: Sein bekanntester und bester Essay dürfte „Supernatural Horror in Literature“ sein, auf Deutsch u. a. als „Die Literatur der Angst“ veröffentlicht. Der Autor der Biographie ist der bekannte Lovecraft-Spezialist Sunand Tryambak Joshi, kurz S. T. Joshi, geboren 1958. Der erste Teil des Buches beschreibt das Leben Lovecraft von der Zeit vor seiner Geburt bis zu seiner Ehe mit Sonia H. Greene, also die Jahre 1890 bis 1924.

„Cthulhu-Mythos“

Auf Lovecraft geht die Bezeichnung „Cthulhu-Mythos“ zurück, wenn er auch diesen Begriff nicht selbst verwendete, sondern dieser von seinen Nachfolgern und Nachahmern geschaffen wurde. Die Bezeichnung „Cthulhu“ geht auf Lovecrafts Geschichte „Cthulhus Ruf“ (englisch: „The Call of Cthulhu“) zurück, eine seiner bekanntesten und besten Geschichten. Dem Cthulhu-Mythos zugehörig bezeichnet man die Storys von Lovecraft und seiner Nachfolger, die sich aus dem Universum rund um die blasphemischen Gottheiten der Großen Alten speisen. Der Menschheit ist nur eine relativ kurze Verschnaufpause gegönnt, bis diese Gottheiten wieder auf der Erde wandeln – wenn die Sterne richtig stehen! Bereits jetzt schon arbeiten Kultisten in diesem fiktiven Universum daran, die Großen Alten wieder heraufzubeschwören. Diese sind nahezu unsterblich und herrschten einst unter dem Mächtigsten von ihnen, Cthulhu, über die Erde und andere Planeten. Ihre Dienerrassen bevölkerten die Erde, noch bevor der Mensch auf der Bühne der Evolution erschien. Die Menschheit scheint nur eine Randnotiz im Universum zu sein.

Lovecrafts Werk ist für die Phantastik bedeutend geworden und hat einige interessante Ideen und Konzepte hervorgebracht. So ist das von diesem Autor erfundene „Necronomicon“ eine literarische Fiktion, in der er dessen fiktiven Autoren, dem verrückten Araber Abdul Alhazred die folgenden, fast schon berühmte Worte in den Mund legt: „Das ist nicht tot, was ewig liegt, / Bis dass die Zeit den Tod besiegt.“ Das „Necronomicon“ gibt es nicht wirklich, eventuelle Buchexemplare mit diesem Namen sind Imitate nach der Idee von Lovecraft. Dieser Sachverhalt sagt auch etwas über seinen Erfolg heute aus. Lovecraft hat hauptsächlich in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts geschrieben und großer Erfolg blieb ihm damals zu Lebzeiten verwehrt. Sein Werk ist aber nicht in Vergessenheit geraten und wurde von seinen literarischen Nachfolgern gepflegt und seit ein paar Jahrzehnten gilt Lovecraft als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Phantastik. Heute ist er Teil der Popkultur – es gibt Bücher, Comics, Filme, Brett-, Computer- und Rollenspiele (wie das Rollenspiel „Cthulhu“, das es seit Jahrzehnten in verschiedenen Editionen auch auf Deutsch gibt) etc. nach seinen Motiven.

Inhalt

Der erste Teil der Biographie behandelt das Leben und Werk von Lovecraft – wie eingangs geschrieben – von der Zeit vor seiner Geburt bis zu seiner Ehe. Es werden seine Vorlieben und Betätigungen als Kind und als Erwachsener ausgiebig geschildert und Hinweise auf erste literarische Gehversuche gegeben. So hat Lovecraft sich unter anderem der Astronomie und Chemie verschrieben und sich später ausgiebig dem Amateurjournalismus gewidmet. So gibt er eine eigene Zeitung, den „Conservative“, heraus. Als seine literarischen Vorläufer haben etwa Edgar Allan Poe und Lord Dunsany zu gelten.

Mit der Zeit werden Lovecrafts literarische Versuche immer anspruchsvoller, er veröffentlicht auch in „Weird Tales“, einem bekannten Pulpmagazin seiner Zeit. Es werden auch kritische Aspekte seiner Persönlichkeit von Joshi unter die Lupe genommen, nämlich sein Rassismus, sein Antisemitismus und sein Snobismus. Entschuldigen kann man dies nicht, aber Lovecrafts Einstellung Ausländern und Juden gegenüber entsprach weitgehend dem damaligen Zeitgeist. Immer wieder scheint in Lovecrafts Lebenseinstellung und seinem Werk sein materialistischer Kosmizismus durch. Am interessantesten dürften für den Leser die Verweise auf die Geschichten sein, die Lovecraft im Laufe seines Lebens schrieb: So wird zu jeder Geschichte eine Inhaltsangabe gegeben und die Geschichte in Lovecrafts Werk eingeordnet und kurz bewertet. Eine ausführliche literaturkritische Bewertung gibt es nicht. In den 15 Kapiteln der Biographie sind Ziffern verteilt, die auf Anmerkungen am Ende jeden Kapitels verweisen. Joshis Werk ist von enormer Detailfülle und einem immensen Informationsgehalt. Joshi gilt nicht ohne Grund als einer der renommiertesten Lovecraft-Forscher, der hier einen sehr großen Rechercheaufwand betrieben hat. Trotz des hohen Detailgrads lässt sich die Biographie flüssig und weitgehend ermüdungsfrei lesen.

Anhang

Im Anhang findet man eine Liste der verwendeten Abkürzungen, ein Literaturverzeichnis von Lovecrafts Werken und Briefen, ein Personen- und Publikationsregister sowie ein Register der Werke Lovecrafts mit Seitenangaben.

Rechtschreibung

Auffallend ist bei diesem Band, dass bei der Rechtschreibung etwas geschludert wurde. Ich will hier einmal die auffallendsten Fehler auflisten: Bei dem Anhängsel „sche“ gibt es gleich drei Schreibweisen! So schreibt Übersetzer Andreas Fliedner einmal „Lovecraft'sche“, dann aber wieder ohne Apostroph, nämlich „Jacksonsche“. Und als drittes Mal einfach klein und ohne Apostroph (ich weiß aber nicht mehr den Namen, den er so schrieb), also so ähnlich wie „lovecraftsche“. Im Duden werden zwei Schreibweisen genannt: „Darwin'sche“ und „darwinsche“. Beide sind richtig, der Duden bevorzugt die zweite Schreibweise, ich persönlich bevorzuge die erstere. Aber die Uneinheitlichkeit der Schreibweise hier sollte nicht sein! Ein anderer Fehler, der ins Auge springt, ist die falsche Schreibweise von „Oeuvre“, falsch geschrieben wie hier und einmal richtig mit zusammengezogenem „O“ und „e“. Abschließend sei noch ein peinlicher Rechtschreibfehler von Lovecrafts Namen aufgeführt: „Lovecrat“ ohne das „f“. Das ausgerechnet der Name des Hauptdarstellers der Biographie falsch geschrieben wird, ist besonders unangenehm. Hier hätte das Lektorat beziehungsweise die Rechtschreibprüfung für Korrektur sorgen sollen. Aber das ist Kritik auf hohem Niveau und kann vernachlässigt werden gegenüber der guten Arbeit, die S. T. Joshi geleistet hat. Die Biographie hat ein durchaus gehobenes sprachliches Niveau!

Fazit: Wenn man das Buch liest, fällt einem natürlich als erstes der hohe Detailgrad ins Auge und das ist eine ganz außergewöhnliche Leistung vom Autor. Joshi hat unter anderem aus Briefen Lovecrafts und seiner Freunde viel Lesenswertes zusammengetragen. Da wird so mancher Lovecraft-Kenner noch etwas Neues entdecken können! Der Band dürfte ein Meilenstein in der Lovecraft-Forschung sein. Empfehlen kann man ihn aber nicht bloßen Fans phantastischer Literatur. Es muss schon ein tiefer gehendes Interesse an H. P. Lovecraft vorhanden sein, um sich näher mit dessen Leben, Werk und seiner Zeit zu beschäftigen. Ich kann die Biographie deshalb „nur“ allen wirklichen Lovecraft-Liebhabern und -Kennern empfehlen!

H. P. Lovecraft: Leben und Werk 1
Biographie
S. T. Joshi
Golkonda Verlag 2017
ISBN: 978-3-944720-51-7
734 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 39,90

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