Gruselkabinett 69: Stimme in der Nacht

Die 69. Folge der Hörspielreihe „Gruselkabinett“ beschert uns mal wieder eine Geschichte nach einer Erzählung von William Hope Hodgson (1877-1918), einem englischen Autoren mit Faible für mysteriöse Seefahrergeschichten. Schon mit „Die Herrenlose“ (Episode 53) hatte er die Vorlage für ein Hörspiel von enormer Atmosphäre geliefert. Die „Stimme in der Nacht“ kommt etwas leiser daher, aber wirkt vielleicht noch stärker nach.

von Frank Stein

Das Ganze beginnt in einer nebligen Nacht im Jahr 1850. Der Seemann George hält Wache an Bord seines kleinen Schiffs. Plötzlich hört er ein Ruderboot nahen und als er in den Dunst hinausruft, meldet sich ein Mann, der verzweifelt klingt. Er hofft auf Hilfe, mag aber auf keinen Fall näher kommen – zu ihrem eigenen Schutz. Der Seemann vermag den Fremden dennoch näher zu locken und erhellt dann die Nacht mit seiner Laterne, wobei sich ihm Schreckliches enthüllt. Es gibt ein wenig Durcheinander, doch am Ende helfen der Seemann und ein hinzugezogener Freund dem Fremden, der sich John nennt, mit Lebensmitteln aus. Dafür revanchiert der sich mit einem Bericht dessen, was ihm widerfahren ist.

Es ist ein grausames Schicksal, das John und seine Frau Vivian befallen hat. Während einer Seefahrt gerät ihr Segelschiff in ein Unwetter und droht unterzugehen. Die Mannschaft flüchtet ohne sie. Mit einem Rettungsboot müssen sie sich alleine durchschlagen. Dabei stoßen sie auf eine einsame Insel, die jedoch über und über von einem schwarzen, schimmelartigen Pilz überwuchert ist. Nur ein schmaler Strandstreifen ist frei davon. In einer Lagune finden sie ein aufgegebenes Schiff, das noch halbwegs bewohnbar scheint, und sie richten sich dort ein, denn es gibt Vorräte und Schlafplätze dort. Doch schon bald müssen sie feststellen, dass sie auf einer Insel des Grauens gelandet sind – von der es obendrein kein Zurück mehr gibt.

Schon mit „Die Herrenlose“ („Gruselkabinett #53“) hat sich gezeigt, dass William Hope Hodgson phänomenal spannenden und grausigen Seemannsgarn zu spinnen weiß. Das Grundthema der wuchernden, widernatürlichen und bösen Biologie ist hier wie dort zu finden, wobei es in „Stimme in der Nacht“ noch unerbittlicher und noch tragischer umgesetzt wird. Völlig anders als vieles, was man sonst an Schauergeschichten kennt, ja, geradezu modern in seiner Bedrohung, die hier nicht von Vampiren, Werwölfen oder Geistern ausgeht, sondern von einer außer Kontrolle geratenen Natur, weiß die Geschichte von Hodgson, die gemächlich beginnt, aber in ihrem zunehmenden Unheil immer erbarmungsloser wird, zu fesseln wie nur wenige „Gruselkabinett“-Episoden bisher.

Die Umsetzung von Titania Medien tut ihren Teil dazu. Ein starkes Sprecherquartett aus Lutz Mackensy, Reinhilt Schneider, Benjamin Kiesewetter und Peter Reinhardt trägt die Handlung, die unterstützt wird durch allgegenwärtige Musik, die einen bombastischen Schiffsuntergang ebenso wie das schleichende Grauen zu untermalen weiß. Dazu kommen die sorgsam eingesetzten Geräusche – mal tosender Sturm, mal plätscherndes Wasser und knarrende Takelage –, die in jeder Minute Hochseeatmosphäre vermitteln. Hier haben sich die Macher wirklich selbst übertroffen. Wenn man etwas kritisieren möchte, dann vielleicht höchstens, dass Lutz Mackensy als John sowohl in Heiterkeit als auch Verzweiflung ein wenig über die Stränge schlägt. Aber das kann man ihm im Gesamtrahmen leicht nachsehen.

Abgerundet wird das Ganze durch ein stimmungsvolles Covermotiv von Ertugrul Edirne, das die beiden Seeleute George und Will zeigt, die bei Nacht und Nebel eine schauerliche Begegnung haben.

Fazit: „Stimme in der Nacht“ gehört ohne Zweifel zu den Highlights der immer wieder guten „Gruselkabinett“-Reihe von Titania Medien. Eine grauenvolle Geschichte, ein gutes Sprecherquartett und ein toller Einsatz von Musik und Geräuschen machen dieses Hörspiel wirklich zu einem schauerlichen Genuss, der in seiner Tragik länger nachwirkt, als so manch andere Erzählung.


Gruselkabinett 69: Stimme in der Nacht
Hörspiel nach einer Erzählung von William Hope Hodgson
Marc Gruppe
Titania Medien 2012
ISBN: 978-3-7857-4718-6
1 CD, ca. 65 Minuten, deutsch
Preis: EUR 8,99

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