Gruselkabinett 68: Die Legende von Sleepy Hollow

Washington Irvings Kurzgeschichte „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“, im Original von Anfang des 19. Jahrhunderts: „The Legend of Sleepy Hollow“, ist vielen vor allem durch Tim Burtons freie Adaption „Sleepy Hollow“ mit Johnny Depp in der Hauptrolle bekannt. In der amerikanischen Literaturgeschichte nehmen die Werke von Washington Irving neben denen seiner Zeitgenossen Edgar Allan Poe und Nathaniel Hawthorne eine besondere Stellung ein. Die Schauermär vom kopflosen Reiter ist eine seiner bekanntesten. Als 68. Folge ist sie Teil der Titania-Medien-Hörspielreihe „Gruselkabinett“.

von Simon Ofenloch

 

In der Gegend um das beschauliche Städtchen Tarrytown treibt Überlieferungen der niederländischen Siedler zufolge der Geist eines hessischen Söldners als grauenerregender kopfloser Reiter sein Unwesen. Anfangs belächelt der erst kürzlich eingetroffene Dorfschullehrer Ichabod Crane noch die Spukgeschichten seiner Schützlinge, schon bald ist es aber auch ihm an seiner neuen Arbeitsstelle nicht mehr geheuer. Und als sich der eigentümliche Sonderling in die Dorfschönheit Katrina van Tassel verliebt, bringt er auch noch einen ihrer übrigen Verehrer gegen sich auf, der daraufhin einen teuflischen Plan ausheckt.

Anders als Tim Burtons sehr freie Verfilmung „Sleepy Hollow“ hält sich Marc Gruppes Hörspiel-Bearbeitung eng an die literarische Vorlage von Washington Irving. Doch während sich jeder beim Lesen der Kurzgeschichte sein eigenes differenziertes Bild vom schwächlichen, weltfremden Antihelden Crane machen kann, der sich bei den eher forschen holländischen Siedlern nur schwerlich integrieren kann, mimt Sprecher Jens Wawrczeck den skurrilen Außenseiter als spinnerten, überdrehten Schnorrer, als von Anfang an nervigen Unsympath. Die Interpretation der Hauptfigur geht ganz eindeutig nicht den selben Weg wie Johnny Depps attraktiver Kauz in Burtons Filmwerk, sondern deckt sich eher mit der im Disney-Zeichentrickfilm „Die Abenteuer von Ichabod und Taddäus Kröte“, im Original: „The Adventures of Ichabod and Mr. Toad“, von 1949. Hätte man den Schulterschluss mit Burtons „Sleepy Hollow“ gesucht, hätte sich auch Johnny Depps kongenialer Synchronsprecher David Nathan angeboten. So aber wurde „Die drei Fragezeichen“-Star Jens Wawrczeck besetzt, der von Anfang an die Vorstellung des Ichabod Crane als taktloses, nervig quäkendes Männlein bespielt. Das ist unmittelbar anstrengend und verhindert jedwede Anteilnahme oder Identifikation mit der Hauptfigur. Ein emotionaler Einstieg in die Handlung ist so nahezu unmöglich.

Während Wawrczecks Spiel oder überhaupt seine Besetzung in dieser Hauptrolle einfach zu viel des Guten erscheinen, leisten alle anderen Sprecher hervorragende Dienste. Wen wundert’s, bei bewährten Stimm-Talenten wie Hasso Zorn als Erzähler, Anna Grisebach als Katrina van Tassel, Filipe Pirl als Nathan van Holten, Konrad Bösherz als Jost van Winkel und Martin Kautz als Brom „Bones“ van Brunt?

Auch Musik und Effekte sind wie immer von hoher Güte und absolut überzeugend eingesetzt. Überdies ist die Cover-Gestaltung durch Firuz Askin wieder einmal gelungen.

Fazit: Es ist ein großes Verdienst, dass Titania Medien sich der bedeutenden Original-Kurzgeschichte von Washington Irving angenommen hat. Die eher werkgetreue Bearbeitung der Vorlage wird allerdings all jene irritieren, gar enttäuschen, die Tim Burtons Verfilmung vor Augen haben. Darüber hinaus muss man sich mit Jens Wawrzcecks nerviger Interpretation der Hauptrolle anfreunden können.


Gruselkabinett 68: Die Legende von Sleepy Hollow
Hörspiel nach einer Erzählung von Washington Irving
Marc Gruppe
Titania Medien 2012
ISBN: 978-3-7857-4717-9
1 CD, ca. 70 min., deutsch
Preis: EUR 8,99

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