Gruselkabinett 58: Pickmans Modell

Die Gemälde von Richard Upton Pickman schockieren die Bostoner Kunstwelt. Es sind Darstellungen abscheulicher Wesen in nicht minder grauenerregenden Situationen. Henry Thurber ist der Einzige im eher konservativen Kunstverein, der nicht von den Bildern abgestoßen, sondern vielmehr fasziniert ist. Was Pickman zum Anlass nimmt, ihn in ein furchtbares Geheimnis einzuweihen.

von Jakob Schwarz

 

Die Kurzgeschichten von Howard Phillips Lovecraft (1890-1937), dem Meister des schleichenden Grauens, ähneln sich oft im Aufbau. Erst wird lange Zeit eine unheimliche Atmosphäre aufgebaut, dann wird gegen Ende die Spannungsschraube angezogen und das Ganze gipfelt in einer grausigen „Pointe“. Wer das nach ein paar Storys raus hat, der wird oft vorwegnehmen können, wie eine Geschichte von Lovecraft ausgeht. Umso höher ist es dem Autor anzurechnen, dass er uns durch seinen Stil, der uns in die Abgründe des Wortschatzes blicken lässt, dennoch zu packen weiß. Eine gute Lovecraft-Geschichte sorgt noch für eine ganze Weile für Schaudern, auch wenn sie gar nicht explizit ist, sondern vieles nur andeutet und die Erkenntnis, was das Beschriebene in Wahrheit bedeutet, mitunter gar dem Leser überlässt.

Mit dem Hörspiel „Pickmans Modell“, das in der Reihe „Gruselkabinett“ erschienen ist, hat es Titania Medien geschafft, diese ganz besondere Atmosphäre hervorragend einzufangen. Die unheilvolle Musik nimmt einen gefangen, die Toneffekte machen die dunkle Seite des Schauplatzes Boston erfahrbar. Den größten Anteil jedoch haben Dietmar Wunder und Sascha Rotermund, die als Erzähler Henry Thurber und Künstler Richard Upton Pickman wirklich alle stimmlichen Register ziehen.

In Rotermunds Pickman haben wir einen leicht wahnsinnigen, mit seinem Wissen um unterirdische Schrecken kokettierenden Maler, der den Kunstliebhaber Thurber geradezu lustvoll dazu verführt, immer tiefer in die Abgründe seines künstlerischen Wirkens hinabzusteigen. Pickmans von Fiebrigkeit und Verlockung gefärbte Stimme, die den Bekannten dazu auffordert, sich in dunklen Kellerzimmern immer grausamere Bilder anzuschauen, jagen einem vielleicht einen größeren Schauer über den Rücken, als der Gedanke, dass es die gezeichneten Monster womöglich geben könnte. Wie krank muss ein Geist sein, fragt man sich, der mit solcher Lust die Grenzen des Erträglichen auslotet? (Dabei mögen naturalistisch grausame Bilder zu Lovecrafts Zeiten noch schlimmer gewirkt haben, als heute, aber unwillkürlich denkt man an ähnliche Trends, die im heutigen Horrorkino existieren.)

Wunders Thurber dagegen kommt zunächst ebenso naiv wie begeisterungsfähig rüber. Der auch als Erzähler agierende Kunstliebhaber, der sein Herz einem Freund am abendlichen Kamin ausschüttet, muss bald erkennen, dass er wie Faust ist, der sich von Mephisto hat verlocken lassen. Nun bezahlt er das Wissen um Pickmans ebenso geheimes wie geniales Schaffen mit Grauen und Ekel (womit er manchem jungen Kinozuschauer gleichkommen dürfte, der „als Mutprobe“ seinen ersten „Torture Porn“ anschaut). Dass die Pointe am Ende beinahe effektlos verpufft, liegt keineswegs an den Sprechern oder der Atmosphäre, sondern eher daran, dass bereits unglaublich lange darauf hingearbeitet wurde – und man kennt ja seinen Lovecraft. Nichtsdestoweniger liegt mit „Pickmans Modell“ einmal mehr eine Ausgabe des „Gruselkabinetts“ vor, die den Titel wirklich verdient und 65 Minuten lang großartig zu unterhalten weiß.

Fazit: „Pickmans Modell“ ist ein außerordentlich spannendes, rundum gelungenes Hörspiel, das auch durch den Umstand, dass man das Ende etwa ab der Hälfte vorausahnen kann, kaum an Wirkung verliert. Eine gute Story-Vorlage, tolle technische Umsetzung und zwei großartige Hauptsprecher katapultieren diese Ausgabe des „Gruselkabinetts“ hoch ins obere Drittel der Geschichten dieser Hörspiel-Reihe.


Gruselkabinett 58: Pickmans Modell
Hörspiel nach einer Erzählung von Howard Phillips Lovecraft
Marc Gruppe
Titania Medien 2011
ISBN: 978-3-7857-4529-8
1 CD, ca. 65 Minuten, deutsch
Preis: EUR 8,99

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