Gruselkabinett 54/55: Aylmer Vance – Abenteuer eines Geistersehers

Der englische Geisterseher Aylmer Vance und sein später treuer Freund mit Namen Dexter sollen in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg so etwas wie das Detektivgespann Sherlock Holmes und Dr. Watson für das Übersinnliche sein. Ob die auf dem Schuber der CD-Doppelbox aufgedruckten derartigen Vorschusslorbeeren auch eingelöst werden? Nun gut, gehen wir deduktiv vor …

von Simon Ofenloch

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts trifft Dexter während eines Urlaubs auf den ihm von einer Party bekannten Aylmer Vance. Die beiden Herren kommen schnell ins Gespräch, und Vance erzählt seinem faszinierten Gegenüber von erstaunlichen Erlebnissen mit dem Übernatürlichen:

Die erste Geschichte handelt vom Ehepaar George und Annie Sinclair, die ein altes Schmuckstück finden und sich in mehreren gefährlichen Séancen immer weiter in das Vorhaben hineinsteigern herauszufinden, wem dieses einst gehörte und welche Vorgeschichte es umgibt. Die zweite Geschichte, die Aylmer dem neuen Freund erzählt, handelt von seinem Patenkind Daphne Darrell, welches im Wald Kontakt mit einem Geisterwesen hat. Und in der dritten Geschichte, die Aylmer zum Besten gibt, beschreibt er ein ganz persönliches Erlebnis auf einem Maskenball, mit einer junge Frau in einem grünen Kleid, die eigentlich nicht existieren kann.

Da Dexter durch die Geschichten empfänglich für das Übernatürliche geworden ist, macht Vance ihn schließlich zum Partner. Auf der Spur eines seltsamen Traumes von Dexter nehmen die beiden die Lösung um rätselhafte Brände in Angriff – bei denen alles auf einen ruhelosen Geist hinzudeuten scheint.

Mit dieser Doppelfolge der Hörspielreihe „Gruselkabinett“ des Labels Titania Medien wird die Teambildung von Aylmer Vance und Dexter präsentiert. Der Hörer erfährt, wie die beiden sich näher kennen lernen und wie Vance Dexter zu seinem Assistenten ernennt.

Die beiden Figuren und ihre Erlebnisse sind ursprüngliche Geistesschöpfungen des britischen Schriftstellerehepaares Claude und Alice Askew, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts lebten und im Verlauf des 1. Weltkrieges während eines U-Boot-Angriffes im Mittelmeer ums Leben kamen. Ihre Geschichten um den Geisterseher Aylmer Vance mögen nicht nur beeinflusst worden sein von Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes und dessen literarischem Vorfahren, Edgar Allan Poes C. Auguste Dupin, sondern auch von den Zeitgenossen William Hope Hodgsons Carnacki the Ghost-Finder und Algernon Blackwoods John Silence. Sowohl Aylmer Vance wie auch die beiden letztgenannten Heldenfiguren sind eher unbekannt, vor allem hierzulande. Was auch an mangelnden Übersetzungen der entsprechenden Texte liegen mag. Im englischen Sprachraum existiert hingegen eine wunderbare Edition, die sich vieler dieser früheren mystischen Unterhaltungstitel angenommen hat: die Sektion „Mystery and Supernatural“ von „Wordsworth Editions“. Ein reicher Fundus für weitere „Gruselkabinett“-Folgen.

Bezüge zu Sherlock Holmes und Dr. Watson sind bei den „Aylmer Vance“-Szenarien durchaus vorhanden, allerdings beschränken sie sich hauptsächlich auf die Figurenkonstellation mit einem handlungsführenden Meister und seinem notizenführenden Gehilfen. Auch handelt es sich bei den vorgetragenen Geschichten weniger um Ermittlungsabenteuer als eher um romantisch-schaurige Fallbeispiele mit üblichen Geistererscheinungen. Wirklich gruselig sind sie nicht.

Wie immer haben Marc Gruppe und sein Team sich aus dem großen Kanon der Stimmen bekannter Hollywoodstars bedient, mit Sprechern wie Hans-Georg Panczak, Ekkehardt Belle, Antje von der Ahe, Sabine Arnhold, Matti Klemm, Monika Barth, Luisa Wietzorek, Eva Maria-Werth, Jan Panczak, Johannes Berenz, Almut Eggert, Marie Bierstedt, Michael Deffert, Uschi Hugo und Sascha Rotermund. Hans-Georg Panczak, der den Part von Aylmer Vance spricht, könnte eine Spur gefestigter und womöglich mysteriöser klingen. Er wirkt als Held doch etwas waschlappig, ganz sicher nicht vom Format eines selbstsicheren, gar blasierten Sherlock Holmes.

Musik und Effekte sind wiederum bestens eingesetzt, neben den bekannten Stimmen stets der zweite große Pluspunkt bei den Produktionen aus dem Hause Titania Medien.

Auch optisch gibt es nichts zu bemängeln. Die beiden CDs umgibt ein hübscher Schuber, wie auch die Cover der beiden Teile ganz im Einklang mit dem ansprechenden Design der „Gruselkabinett“-Reihe.

Fazit: Weniger Sherlock Holmes und Doktor Watson oder gar John Sinclair und Suko, auch nicht Dylan Dog und Groucho. Dafür wirken Aylmer Vance und Dexter viel zu passiv und zahm. Vielmehr bietet die Doppelpackung eine Handvoll romantischer Schauergeschichten mit üblichen (Geister-)Motiven, die sich gut in die „Gruselkabinett“-Reihe einfügen. Ob weitere Abenteuer die beiden Hauptfiguren stärker in Aktion zeigen werden, bleibt abzuwarten.


Gruselkabinett 54/55: Aylmer Vance – Abenteuer eines Geistersehers
Hörspiel nach den Erzählungen von Alice & Claude Askew
Marc Gruppe
Titania Medien 2011
ISBN: 978-3-7857-4479-6
2 CDs, ca. 145 min., deutsch
Preis: EUR 16,95

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