Gruselkabinett 178: Das unheimliche Turmzimmer

Die Hörspielreihe „Gruselkabinett“ sucht immer nach vergessenen literarischen Schätzen. Für Folge 178 haben die Macher eine Erzählung des in Vergessenheit geratenen englischen Schriftstellers E. F. Benson wiederentdeckt, die vor dem ersten Weltkrieg entstanden ist.

von Oli Clemens

Sussex, im Süden Englands, im Jahr 1912. Seit mehr als 15 Jahren schon lebt Clive Fellows, der Protagonist dieser atmosphärischen Gruselgeschichte, mit einem wiederkehrenden und verstörenden Albtraum. Er befindet sich als Gast auf einem Fest. Für die Nacht wird ihm ein Zimmer in einem Turm vorbereitet. Seine Gastgeberin, Mrs. Stone, weist ihn mit einem an ein Mantra ähnelnden Satz an, sich dorthin zu begeben. Ihr Sohn Jack werde ihm den Weg weisen. Mit einer bedrohlichen Vorahnung lässt er sich von seinem damaligen Schulfreund dorthin führen und stoppt vor der Tür. Was genau mit ihm geschieht, wenn er den Raum betritt, das blendet sein Unterbewusstsein aus, und er erwacht immer wieder aufs Neue in Todesangst, aber ohne das Wissen, was ihm dort genau widerfährt. Fellows sucht Hilfe bei einem Psychiater, doch auch das löst das Problem seiner Albtraumnächte nicht.

Jahre später, als er von einen Freund auf dessen Familienanwesen eingeladen wird, erkennt Clive Fellows den Ort aus seinen Albträumen in der Realität wieder. Und für die Übernachtung wird ihm ausgerechnet ein Zimmer im Turm vorbereitet.

„Das unheimliche Turmzimmer“ reiht sich in den Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts ein. Nach dem Erfolg von Werken wie „Dracula“ und „Frankenstein“ ist der Weg für das Übernatürliche in der Literatur geebnet. Außerdem wird die Auseinandersetzung mit dem Unterbewussten in der Psyche des Menschen durch die Arbeit des österreichischen Arztes und Begründer der Psychotherapie, Siegmund Freud, immer populärer. Beides findet sich auch in der Erzählung wieder. Ein gutes Drittel des Hörspiels verbringen wir quasi als stiller Zuhörer in der Praxis des Psychiaters und lauschen Clives Monolog zu seinem wiederkehrenden Traum in allen seinen Variationen. Unterbrochen wird diese Sequenz nur selten und wir lassen uns in seinen Ausführungen einlullen.

Gelegentlich hören wir den Arzt, während er sich Anmerkungen in seinem Buch macht oder eine kurze Nachfrage stellt. Gesprochen wird dieser von der deutschen Hörbuchsprecher-Legende Jürgen Thomann. Seine Stimme öffnet mir immer wieder die Türen in meine eigene Kindheit und erinnert mich an die vielen Hörspiele, die ich seitdem gehört habe. Viel einprägsamer und relevanter für den Verlauf der Handlung ist der grauenvolle Satz, der sich unzählige Male in Clive Fellows Ausführungen wiederholt. Dann schnarrt eine Frauenstimme: „Jack wird Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen. Ich habe Ihnen das Turmzimmer gegeben.“ Auch hier wurde in der Besetzung geklotzt und den Part an Luise Lunow vergeben. Ihr wurde 2019 der „Deutsche Preis für Synchron“ für ihr Lebenswerk verliehen. Abgerundet wird das Ensemble durch Simon Jäger, der die Rolle des Clive Fellows spricht. Auch er ist eine feste Größe der deutschen Hörspielszene.

In dem etwas umfänglicheren zweiten Teil des Hörspiels begleiten wir den Protagonisten auf dessen Ausflug ins Anwesen seines Freundes. Schon beim ersten Anblick wird ihm klar, dass dies der Ort seiner grauenvollen Nächte ist. Als ihm das Zimmer im Turm für die Nacht angeboten wird, keimt in ihm die Angst auf. Erst als er darin ein Bild von der Wand abhängen lässt, das ein Porträt einer Frau zeigt, die er aus seinen Träumen kennt, entspannt er sich und glaubt, die Situation entschärft zu haben. Doch er irrt.

Der Spannungsbogen des Hörspiels ist eindeutig auf Clives Nacht im Turm hin konzipiert. Dort begegnet er dem Übersinnlichen und erlebt Furchtbares. Begleitet wird das Geschehen von sehr atmosphärischer Musik, die gleichsam unaufdringlich ist, aber immense Spannung erzeugt. Mit knappen 60 Minuten ist die Produktion vergleichbar kurz. Das liegt aber sicher auch an dem Grundtext, der in seiner Länge an eine der Storys von Edgar Allen Poe erinnert.  

Fazit: „Das unheimliche Turmzimmer“ basiert auf einem Text des frühen 20. Jahrhunderts, der in Deutschland eher unbekannt geblieben ist. Der Gruselmix aus unterbewusster Angst und übersinnlicher Begegnung unterhält bestens. Die besondere Qualität des Hörspiels entsteht durch die außerordentliche Qualität der Sprecher sowie die atmosphärische musikalische Untermalung. Für Fans der Gruselkabinett-Reihe ist „Das unheimliche Turmzimmer“ ein Muss und für Neugierige eine sehr gute Folge zum Einsteigen.

Gruselkabinett 178: Das unheimliche Turmzimmer
Hörspiel nach einer Erzählung von E. F. Benson
Marc Gruppe
Titania Medien 2022
ISBN: 978-3-7857-8388-7
1 CD, ca. 60 Minuten, deutsch
Preis: EUR 8,95

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