Gruselkabinett 168: Das tote Brügge

Brügge – belgische Stadt mit Historie. Ehemals Mittelpunkt Europas im Handelsnetz der Hanse, heute touristischer Magnet mit beliebten Sehenswürdigkeiten. Für den 1855 geborenen Schriftsteller Georges Rodenbach hatte die Stadt wohl eher etwas Morbides. Sein Roman „Bruges-la-Morte“ war im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Bestseller. Jetzt gibt es ihn als Folge 168 im „Gruselkabinett“.

von Oli Clemens

Nach dem Tod seiner Ehefrau zieht Witwer Hugues Viane an den einzigen Ort, der seine Trauer um den Verlust seiner Geliebten wirklich ausdrückt: die Stadt Brügge. Dort lebt er ohne Trost und inneren Seelenfrieden mit einer Haushälterin in einer Wohnung, abgeschottet vom sozialen Leben. Damit die Erinnerung an sein ehemals fröhliches und unbeschwertes Leben mit seiner Frau nicht verblasst, errichtet Hugues einen Schrein mit Dingen, die ihn an sie erinnern: Bilder, Kleider und das Haar seiner verstorbenen Frau, das er aufbewahrt hat. Das Haus verlässt er nur, wenn er Spaziergänge unternimmt.

Doch je länger er trauert, desto weniger Wert scheint ihm sein eigenes Leben noch zu haben. Als er während eines Spaziergangs durch die verregnete, nebelverhangene flandrische Stadt Pläne für den Selbstmord schmiedet, begegnet er Jane, einer Tänzerin am Theater. Sie sieht seiner verstorbenen Frau verblüffend ähnlich. Hugues wittert die Chance, sein Lebensglück zurückzubekommen, sucht Kontakt und trifft sich mit Jane. Sie lässt sich auf die Avancen ein und es entwickelt sich eine Liaison Amoureuse zwischen den beiden, die für Hugues scheinbar einen Weg aus der Trauer und Selbstisolation darstellt. Doch schnell ist klar, dass die Ähnlichkeit zu seiner vergötterten verstorbenen Liebe nur die äußerlichen Merkmale betrifft.

Die Vorlage „Das tote Brügge“ ist voller Symbole und Andeutungen. Metaphysische Fragen um Sünde, Schuld und Reue ziehen sich wie ein roter Faden von der ersten bis letzten Zeile. Der Roman bedient sich sehr gezielt der Technik des Bewusstseinsstroms, also eines inneren Selbstgesprächs, das Einblicke in die emotionale Tiefe der handelnden Charaktere bietet. Dazu paart sich die Schwermut des Protagonisten, der interessanterweise durch die Übersetzung des Originals von Hugues zu Hugo unbenannt wurde. Er ist wahrlich kein Sympathieträger, lebt obsessiv in der Erinnerung an eine beseelte Vergangenheit und handelt letztlich fatal impulsiv.

Dem Hörspiel gelingt es, die trostlose emotionale Grundstimmung Hugues' stimmungsvoll umzusetzen. Regen prasselt im Hintergrund, die eingesetzte Musik ist langsam und getragen. Trotzdem bleibt uns die Hauptperson in ihren Gefühlen und ihrem Handeln fremd. Mitleid empfinden wir nicht.

Fazit: Die Macher von Folge 168 bleiben bei der für zeitgenössische Ohren antiquiert klingenden Sprache der Originalübersetzung aus dem Französischen. Das sorgt dafür, dass „Das tote Brügge“ sowohl vom Thema, der Symbolik und auch von den Hörgewohnheiten eher eine Herausforderung für unsere Ohren ist, aber im positiven Sinne. Im Vergleich zu anderen „Gruselkabinett“-Folgen ist es schwerere Kost, aber auf jeden Fall hörenswert für alle, die mehr an psychologischen Motiven als an gradliniger Action interessiert sind.

Gruselkabinett 163: Das tote Brügge

Hörspiel nach einem Roman von Georges Rodenbach
Marc Gruppe
Titania Medien 2021
ISBN: 978-3-7857-8316-0
1 CD, ca. 86 Minuten, deutsch
Preis: EUR 8,95

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