Gruselkabinett 11: Der Untergang des Hauses Usher

Der Brief klingt mehr als dringend und bringt Erinnerungen an längst vergangene Tage: Die Kunde von der gesundheitlichen Krise seines Jugendfreundes Roderick Usher treibt Philipp Belfield zu Windeseile an. Im abgelegenen Stammsitz der Ushers will er seinem alten Gefährten beistehen. Doch was sich Philipp in den kommenden Tagen im Haus Usher offenbart, sprengt selbst seine Vorstellungskraft.

von Christian Humberg

 

Es ist eine sehr interessante Situation, die sich dem Rezensenten wie auch dem Hörer da stellt: Nur relativ kurze Zeit nach der Veröffentlichung von „Der Untergang des Hauses Usher“ im Rahmen der „Poe“-Reihe von Lübbe Audio (wir berichteten), legt der kleinere Verlag Titania Medien eine erneute, andere Adaption der klassischen und beliebten Schauermär Edgar Allan Poes vor. In Anbetracht der Marktlage verdient dieser Schritt Respekt; in Anbetracht der Qualität des vorliegenden Werks, der elften Folge von Titanias „Gruselkabinett“-Label verdient er unser aller Dank.

Denn was Autor Marc Gruppe hier verfasst und gemeinsam mit Stephan Bosenius inszeniert hat, ist klassischer Grusel allererster Güte. Von den ersten Schritten des Protagonisten auf usherschem Boden bis hin zum wahrhaft atemberaubend gestalteten Finale ist der Hörer konsequent und durchgehend in einer angenehm unangenehmen Stimmung gefangen, die der literarischen Vorlage zur Ehre gereicht. Poes „Usher“-Geschichte besticht inhaltlich vor allem durch zwei entscheidende Faktoren: die Beziehungen der Figuren untereinander, allen voran die der Geschwister Roderick und Madeline, sowie durch die unnachahmlich gelungene Beschreibung des Familiensitzes selbst. Denn trotz aller äußeren Handlung ist doch das Titel gebende „House of Usher“ bei Poe der wahre Protagonist dieses Stückes Literatur. Das Haus mit seiner aus Lethargie, Melancholie und irrationalen Zwängen geprägten Atmosphäre stellt den eigentlichen Kern der Erzählung dar, vor dessen Einfluss die vermeintlich handelnden Personen zwar agieren, dies jedoch allein unter dem metaphorischen Schatten des alten Gemäuers tun.

Im Gegensatz zur Lübbe-Adaption, die sich nur einiger Versatzstücke aus der Originalvorlage bediente, um ihre eigene Serienhandlung über den Mann ohne Gedächtnis voranzutreiben, bemüht sich Titania abermals um eine möglichst werkgetreue Adaption. Dies gelingt vorbildlich.

Kammerspiel für vier Personen

Vier Personen. Vier Sprecher allein bedarf es in dieser Produktion, um selbst einen bekennenden, alten Poe-Fan wie den Rezensenten noch in überraschend intensiven Grusel zu versetzen. Belfields Erlebnisse auf Usher sind aber auch zum Fürchten: Von Malaisen und Depressionen geleitet, vereinsamt und verkümmert Roderick Usher immer mehr. Er fürchtet das Licht, erträgt keine lauten Geräusche, er sinniert stundenlang über melancholisch-irreale Gedanken und trägt in diesen Auswüchsen seiner Biologie und Psyche gleichermaßen die Sippenschuld all seiner Ahnen. Außer ihm, seiner Schwester Madeline, der einzigen noch lebenden Verwandten, und dem Butler ist sonst niemand mehr hier draußen auf dem Familiensitz inmitten einer Einöde aus Sumpflandschaft und Tristesse (die das wunderschöne Coverbild von Stammzeichner Firuz Askin übrigens kongenial einzufangen weiß). Dann erscheint Belfield, Rodericks alter Schulfreund, um den Gefährten aufzumuntern und auf andere, gesündere Gedanken zu bringen. Doch schlägt dieser Plan nicht nur fehl, er wandelt sich in sein genaues Gegenteil. Denn anstatt Roderick von der Last des Usher-Seins zu befreien, erfährt auch Philipp diese am eigenen Leib – ein psychologischer Horrortrip, der auch den Hörern dieses stimmungsvollen Hörspiels noch lange in Erinnerung bleiben dürfte.

Dazu tragen auch die Sprecher ihren Teil bei. Oliver „Ben Affleck“ Feld als Belfield überzeugt als Gefangener der Umstände, der zwischen seinem Einsatzwillen und der Übermacht des Usher-Tums zu vergehen scheint. Kaspar Eichel gibt einen wunderbaren Butler Briggs und Claudia Urbschat-Mingues, vielbeschäftigte Synchronsprecherin von u. a. Angelina Jolie, balanciert gekonnt zwischen Schrecken und Wahnsinn und versteht es besonders im Finale der Produktion, den Hörer wahrhaft das Fürchten zu lehren. Wichtigste Rolle ist aber wohl Roderick Usher, dessen Verletzlichkeiten und Sehnsüchte Tobias Kluckert angenehm einfühlsam interpretiert. TV-Fans kennen seine Stimme beispielsweise aus „Alias –  Die Agentin“. Musikalisch bleibt Titania der Stimmung der „Gruselkabinett“-Reihe treu und vertraut auf klassische Klänge, was der Handlung eine zusätzliche Schwere und Bedeutsamkeit verleiht. Auch dies steht ihr sehr gut.

Verbeugung vor Corman

Natürlich schrieb Poe keine Hörspiele beziehungsweise verfasste seine Texte nicht so, als dass eine Adaption in ein anderes, theatralischeres Medium wie das Hörspiel mühelos vonstattenginge – es sei denn, man gäbe einem hypothetischen Erzähler den Löwenanteil des Textes. Titania Medien verzichtet auf einen solchen Dauererzähler und verlässt sich auf die Zugkraft der eigenen Adaption. Dies verleiht der Produktion eine angenehm unaufdringliche Frische und Vitalität, die man anderen Werken auf dem Gruselsektor nur wünschen kann. Dabei bleibt Gruppes Buch immer sehr nahe an der, mit hörbarem Respekt behandelten Vorlage. Einzig eine kleine Reverenz vor Roger Cormans Verfilmung des Stoffes (und somit vor der vielleicht bekanntesten und beliebtesten Adaption des Materials) erlaubt sich das Hörspiel. Auch diese gelingt problemlos und fügt sich harmonisch in die Geschichte ein, als wäre sie immer schon ein Teil davon gewesen. Wer den Film kennt, dürfte an einer Stelle insbesondere ins Grinsen geraten.

Fazit: Titania Medien will mit dem „Gruselkabinett“ Klassiker der Schauerliteratur als behutsam gestaltete Hörspieladaptionen präsentieren, die gerade durch ihre Originaltreue und das Vertrauen auf die erschreckenden Kräfte der Subtilität atmosphärischen Horror erzeugen. Mit „Der Untergang des Hauses Usher“ ist dies nicht nur gelungen, die Produktion zeigt auch anderen Interpretationen des gleichen Materials, wie man es richtig macht.


Gruselkabinett 11: Der Untergang des Hauses Usher
Hörspiel nach einer Erzählung von Edgar Allan Poe
Marc Gruppe
Titania Medien 2006
ISBN: 3-7857-3250-3
1 CDs, 61 min., deutsch
Preis: EUR 7,95

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