Eine tödliche Wette

Nach über 10 Jahren ist mal wieder ein Produkt zu dem viktorianischen Detektivrollenspiel „Private Eye“ erschienen. Inhalt des ca. 50-seitigen Buches sind das Abenteuer „Eine tödliche Wette“ (28 Seiten) sowie eine Beschreibung der Chicagoer Weltausstellung im Jahre 1893 (12 Seiten) mit einem dazugehörigen Szenario (8 Seiten).

von Reinhard Kotz

Kennern der Szene dürften die Titel bekannt vorkommen, denn bei „Eine tödliche Wette“ handelt sich um das allererste PE-Abenteuer überhaupt, das mittlerweile schon stolze 15 Jahre auf dem Buckel hat. Und auch die Schauplatzbeschreibung wurde bereits zuvor im Jahre 1994 in der „FantasyWelt 40“ veröffentlicht.

Wer die erste Auflage der PE-Abenteuer noch kennt und nun das jetzige Buch in Händen hält, wird merken, dass seit damals viel Wasser die Themse herabgeflossen ist. Stammten die ersten Produkte noch von einem Fan-Betrieb, der –beschönt gesagt – mehr Wert auf Inhalt als auf Aufmachung legte, so braucht sich die Neuauflage selbst vor professionellen Werken nicht zu verbergen. Kein Wunder, war doch der von „Cthulhu“ bekannte Autor Jan Christoph Steines für das Lektorat verantwortlich. Doch nun zum Inhalt des Buches:

Eine tödliche Wette

Wenn zwei Männer aneinander geraten, dann ist nicht immer eine Frau Schuld. Manchmal geht es auch um Wichtigeres, etwa die Leistungsstärke eines Raddampfers. Und da man schließlich Gentleman ist und Stil hat, verzichtet man auf ein Duell und schließt stattdessen eine Wette ab. Es gilt, England mit einem Raddampfer in weniger als 20 Tagen zu umrunden, ohne auch nur einmal anlegen zu dürfen. Neben dem beträchtlichen Einsatz einer hohen Summe geht es für Lord Eustace und seinem Kontrahenten Lord John natürlich vor allem um die Ehre. Schon bald beginnen die Vorbereitungen und da es sich allein bekanntlich schlecht reist, findet sich am Tage der Abfahrt eine illustre Gesellschaft auf dem Schiff ein, die Lord Eustace begleiten soll. Selbstverständlich gehören auch die Charaktere zu dieser erlesenen Gesellschaft und können so an der Fahrt teilnehmen. Und diese Fahrt hat einiges zu bieten: von Sabotage über Diebstahl bis natürlich (dem niemals fehlen dürfenden) Mord ist alles dabei, was das Spielerherz begehrt.

Die Charaktere haben an Bord sehr viel Handlungsfreiraum, so dass man als Spielleiter gut vorbereitet sein muss, um angemessen auf die unangemessenen Handlungen der Charaktere reagieren zu können. Das Buch bietet hierfür aber reichlich Hilfe. Alle NSC (15) werden ausführlich beschrieben und porträtiert. Zum Raddampfer liegen schöne Pläne bei. Und auch die Ereignisse an Bord werden kurz dargestellt, wobei man als Spielleiter natürlich flexibel reagieren muss, um auch die Reaktionen der Charaktere sinnvoll in das Ganze einzubeziehen. Zum Abschluss werden noch Tipps gegeben, wie sich das Abenteuer entwickeln könnte, so dass selbst ein unerfahrener Meister gut zurechtkommen dürfte.

Ansonsten hat das Abenteuer trotz seines Alters nichts an seinem Reiz verloren und trifft nach wie vor voll ins viktorianische Herz. Bereits beim Lesen fühlt man sich an Jules Vernes berühmten Roman „In 80 Tagen um die Welt“ erinnert, so dass allein dadurch bereits der besondere Flair der viktorianischen Zeit aufkommt, der PE seine persönliche Note gibt. Neben spannenden Ereignissen an Bord hat man auch viel Zeit, um echtes Rollenspiel betreiben zu können. Denn zahlreiche NSC (mit ihren keinen oder weniger kleinen Geheimnissen) laden zum gesellschaftlichen Smalltalk ein und warten darauf, „enttarnt“ zu werden.

Die Weltausstellung in Chicago

Im Jahre 1893 fand die Weltausstellung in Chicago statt, die unter dem Motto der 400 Jahrfeier der Entdeckung Amerikas stand. Ausführlich werden das Gelände (mit Plan), die besonderen Ausstellungsstücke sowie die Stadt Chicago beschrieben, so dass man genügen Informationen erhält, um seinen Spieler eine interessante und abwechslungsreiche Lokalität zu präsentieren.

Zum Abschluss gibt es noch ein kleines Szenario. Die Charaktere werden als Begleitung der englischen Kommission angeheuert, da man in Chicago mit Anschlägen rechnet. Tatsächlich wird dann auch schon bald der englische Botschafter in Chicago tot aufgefunden. Nachforschungen ergeben, dass er kurz vor seinem Ableben noch eine Kiste versteckt hat. In dieser befindet sich zahlreiches Erpressungsmaterial über viele wichtige Persönlichkeiten in Chicago. Doch hier, wo das Szenario interessant wird, enden auch schon die Ausführungen dazu. Man findet zwar noch einige Ideen und Anregungen, in welche Kreise das Ganze führen kann, doch muss man schon sehr viel Arbeit investieren (um nicht zu sagen, das Abenteuer eigentlich komplett selbst schreiben), um aus dem Szenario ein spielbares Abenteuer zu erhalten. Für meinen Geschmack ist dies zu wenig. Ich habe von einem Szenario mehr erwartet.

Ansonsten ist der Hintergrund gut recherchiert und bietet den Spielern die Möglichkeit, die Insel einmal zu verlassen.

Fazit: Ein tolles Abenteuer, eine gute Schauplatzbeschreibung und ein interessantes, aber mit viel Arbeit verbundenes Szenario. Alles in allem kann ich aber allein schon wegen des Abenteuers unbeschränkt meine Empfehlung aussprechen. Der Preis von 12,50 Euro ist auch als günstig einzustufen, zumal dieser Band nur eine Auflage von 200 Stück hat. Also zugreifen und in See stechen...

Lang lebe die Queen!

Dieser Artikel erschien usprünglich im Rollenspielmagazin Envoyer.


Eine tödliche Wette
Abenteuer- & Quellenband
Thilo Bayer
Redaktion Phantastik 2004
ISBN: 3-00-014308-4
54 S., Softcover, deutsch
Preis: EUR 12,50

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