Es scheint bei Fantasy Productions wieder Tradition zu werden, Autoren des Rollenspiels verstärkt in Romanveröffentlichungen einzubeziehen. Während sich bei den ersten Romanen fast durchgängig die Autoren des Rollenspiels als Schreiber betätigt hatten, hatte dies mit der Zeit stark abgenommen. Nach Radloff darf nun Jödemann sein Können beweisen. Er nimmt sich dabei die vermutlich meistbespielte Stadt von „Das Schwarze Auge“ vor – Havena –, in der ja auch das allererste Abenteuer 1984 seinen Lauf nahm.

Drei Menschen versuchen in Havena, ihr Schicksal zu ändern oder neu zu beginnen. Der Efferd-Geweihte Mero Cervoletha hadert mit seinem Glauben und befürchtet, gar nicht dem Gott des Meeres wirklich zugetan zu sein. Er hofft, in Havena einen neuen Anfang machen und seinen Glauben wiederfinden zu können. Die Magierin Caibre Arnstätter hat ihre Ausbildung abgeschlossen und einige Jahre in Nostria verbracht, fern von ihrer Familie. Nun kehrt sie zurück, um mit ihr wieder ins Reine zu kommen, sorgte doch ein schrecklicher Unfall einst für ein Zerwürfnis zwischen Caibre und dem Rest der Familie. Die Kauffrau Vilai ni Vecushmar muss hingegen ansehen, wie ihr Erbe, das elterliche Kontor, immer weiter herruntergewirtschaftet wird und sie kurz vor dem Ruin steht. Gleichzeitig regt sich eine dunkle Macht in ihr, die anscheinend ganz andere Ziele hat.

Während die drei ungleichen Protagonisten zunächst ihrer eigenen Wege gehen und sich Konflikten mit ihrer Selbst, der Familie und anderen Handelsherren widmen müssen, stellt sich im Lauf der Zeit heraus, dass ihre Schicksale miteinander verbunden sind und Havena von einer dunklen, uralten Macht bedroht wird. Mero wird mit den Anzeichen zuerst konfrontiert, als eine Matrosin, die er auf der Reise kennenlernte, verstümmelt und tot angespült wird und ihm gleichzeitig von einem Bettler dunkle Visionen offenbart werden.

Caibre muss sich unterdessen mit den Ereignissen der Vergangenheit herumschlagen, als sie entdeckt, dass ein Junge, den sie auf ihrer Reise auflas, verschwunden ist. Bei ihrer Suche gerät sie in einen Hinterhalt, aus dem erst Mero sie retten kann. Gemeinsam machen die beiden sich auf die Suche nach dem Jungen. Diese führt sie auch in die Unterstadt Havenas, den Teil, der vor mehr als 300 Jahren durch den Meeresgott Efferd von einer riesigen Flutwelle verheert wurde, weil die Menschen Götzen und dem Überdruss heiligten. Sie entdecken, dass Kultisten etwas Unheilvolles planen und versuchen, dies aufzuhalten.

Die Kauffrau Vilai entpuppt sich als mit allen Wassern gewaschene Spielerin, die von einem mächtigen Händler in die Enge getrieben, plötzlich doch noch ein Ass im Ärmel hat und diesen damit übertrumpfen kann. Zudem zeigt sich, dass noch so einiges mehr in ihr steckt und ihre Visionen einen ernsten Hintergrund und eine Verbindung zu den Kultisten haben, die Mero, Caibre und den verschollenen Jungen gefährden. Es kommt zum Kampf zwischen Mero, Caibre und den Kultisten, den nicht alle überleben und dessen Ende eine überraschende Auflösung hat.

Zum Autor und seinem Erstling

Der 29-jährige Daniel Jödemann tat sich zunächst in Fankreisen durch die Teilnahme an mehreren Abenteuerwettbewerben hervor. Die Erfolge brachten ihm die offizielle Mitarbeit an mehreren Spielhilfen und dazugehörigen Abenteueranthologien ein sowie als bisherigen Höhepunkt die Redaktion für die Abenteueranthologie
„Ehrenhändel“. Zudem tat er sich durch die Illustration zahlreicher Stadtpläne und Karten hervor.

Man merkt dem Roman zunächst an, dass es sich um ein Erstlingswerk handelt. Es liest sich noch nicht alles rund, manchmal hakt es oder wirkt vom sprachlichen Stil her etwas holprig. Interessanterweise gibt sich dies aber nach zwei, drei Kapiteln. Sowie die Geschichte einsetzt und ihren Lauf nimmt, scheint auch der Autor seinen Weg gefunden zu haben. Die Spannung und das Tempo steigen immer weiter an und arbeiten ohne Pause auf den Höhepunkt der Geschichte hin. Dies wird natürlich durch den nicht neu erfundenen Kniff, die Geschichten immer aus Sicht einer der drei Hauptpersonen zu erzählen und so die Perspektive zu wechseln, erleichtert, denn jeder Teil schließt immer mit einem kleinen dramatischen Höhepunkt, der den Leser zum Weiterlesen animiert. Gerade hier liegt eine große Stärke des Buches: dass man es nicht aus der Hand legen will.

Zudem sind die Protagonisten mit ihren Hintergründen und Motivationen gut getroffen, man kann sie mögen oder hassen, man kann mitfühlen und sich mitärgern. Auch gelingt es Jödemann, die Zauberkräfte der Magierin elegant einzubauen und Spielern des Rollenspiels praktische Beispiele für die Anwendung von verschiedenen Arten von Zaubern zu geben. Gleichzeitig erweckt er die Stadt Havena im Hintergrund mit ihren Gebäuden und Menschen zum Leben, sodass man den Eindruck hat, mit den Hauptpersonen durch die Straßen zu spazieren oder in der unheimlichen Unterstadt im Boot zu sitzen und zu zittern.

Ein Lob gebührt dem Autor außerdem in mehrerlei Hinsicht: In Verbindung mit dem Rollenspiel führt er ein Abenteuer aus der Abenteueranthologie „Stromschnellen“ mit dem Roman fort und sorgt für eine multimediale Kreuzung. Und letztlich bietet er ein überraschendes Ende, mit dem der Leser so nicht gerechnet hatte.

Fazit: Daniel Jödemann zeigt, dass es bei Romanen nicht immer weltumspannende Themen oder lange Reisen sein müssen, sondern dass man auch im Mikrokosmos Stadt mit einer spannenden Geschichte punkten kann. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und musste mich immer wieder aus den nebeligen Gassen Havenas losreißen. Unbedingt empfehlenswert!

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