Die Drachen der Tinkerfarm

Die Geschwister Tyler und Lucinda werden zu einem ihnen unbekannten Onkel abgeschoben. Ausgerechnet auf einer Farm sollen die Stadtkinder die Ferien verbringen, was diesen so gar nicht passt. Dort angekommen ist jedoch alles anders als vermutet. Fabelwesen als Farmtiere habe sie nicht erwartet. Hals über Kopf stecken die beiden Kinder plötzlich mitten in gefährlichen Abenteuern, die sie sich nie hätten träumen lassen.

von Lars Jeske

„Ihr wollt wohl, dass ich gar kein eigenes Leben habe?!“ Mama will sich nach ihrer Scheidung neu verlieben und dafür wären ihre Kinder Tyler und Lucinda bei einem Single-Urlaub eindeutig im Wege. Da trifft es sich gut, dass zufällig und unerwartet der Brief eines entfernten Verwandten eintrifft. Ein nur sehr vage bekannter Großonkel Gideon lädt die Kinder kurzfristig auf seine Farm ein. Das passt der Mutter gut, und widerwillig machen sich die beiden Kinder auf nach Kalifornien. Sie erwarten dort ein hinterwäldlerisches, ödes und langweiliges Farmleben vorzufinden, zumal sie auch bestimmt zum Arbeiten gezwungen werden. In den Ferien keine tolle Aussicht.

Dort angekommen, entpuppt sich die Farm jedoch schnell als merkwürdig. Vor allem Tyler geht verbotenerweise gleich auf Entdeckungsreise, was weder ungefährlich ist, noch das Wohlwollen der merkwürdigen Bewohner der Farm hervorruft. Als dann ganz offiziell ein paar Geheimnisse gelüftet werden, sind die beiden vollends überzeugt, dass die Tinkerfarm, auch bekannt als Ordinary Farm, alles andere als normal ist. Dass auf dieser Farm echte Drachen leben, ist dabei nur der Auftakt. Immer mehr Entdeckungen, die so gar nicht in die normale Welt passen, kommen den Kindern komisch vor und provozieren neue Abenteuer, die sogar ihr Leben gefährden.

Tad Williams ist vor allem durch seine sehr erwachsenen „Otherland“-Romane sowie den von Tolkien inspirierten Mehrteiler „Das Geheimnis der Großen Schwerter“ bekannt. Zusammen mit seiner Frau Deborah Beale hat er nun eine Fantasy-Reihe konzipiert, die alle Altersklassen ansprechen soll. Der erste Band der „Tinkerfarm“-Reihe heißt „Die Drachen der Tinkerfarm“. Weitere vier Bände sind geplant.

Entsprechen dem All-Age-Ansatz kommt die Lesung der Geschichte tatsächlich ohne Mord und Totschlag aus, sodass sie wirklich auch für Kinder geeignet ist. Dazu passt, dass nicht nur kindgerecht, sondern auch überwiegend aus Sicht der neu ankommenden Kinder erzählt wird. Dadurch kann man sich genauso als Neuling auf der Farm fühlen und alles mit entdecken. Einfach nur die CDs einlegen und nicht großartig vorher schon etwas über den Inhalt in Erfahrung bringen.

Dass die Geschichte von der Vortagsweise her auch für Kinder geeignet ist, sollte jedoch nicht dazu führen, diese als reines Märchen für die Kleinen abzutun. Ebenso sind ein paar Schockeffekte und inhaltlich anspruchsvollere Passagen enthalten, welche primär auf ältere Rezipienten zugeschnitten sind. Ebenso sucht man vergebens Charaktere, die nur schwarz oder weiß sind. Viele der auftretenden Personen lassen über weite Strecken nicht durchblicken, was ihre wahren Absichten sind.

Am Anfang kommen einem vage Erinnerungen an „Die Chroniken von Narnia“, denn die Kinder werden auch hier, wenngleich aus weitaus niederen Gründen, abgeschoben und müssen bei einem ihnen gänzlich unbekannten Verwandten zusehen, wie sie zurechtkommen. Dies wirkt hier zwar künstlich und recht unglaubwürdig, aber anschließend wird die Geschichte besser, eigenständig und im Verlauf immer spannender. Zumal es auch eine Inversion von „Narnia“ ist, denn die Fabelwesen kommen in unsere Welt und nicht vice versa, was der seltenere Ansatz für einen Fantasy-Reigen ist.

Solange es nicht als Schmähung aufgefasst wird, kann man dieses Werk als fantastischen (Kinder)Krimi bezeichnen. Vielschichtige Charaktere, eine durchaus glaubwürdige Story und eine gut vorgetragene Lesung führen zu einem kurzweiligen Hörerlebnis. Andreas Fröhlich liest professionell wie immer, sodass von daher schon ein von ihm gesprochenes Hörbuch per se nicht schlecht sein kann. Eine Lesung zum intensiven Mitfühlen. Ob nun bei spannend-dramatischen oder emotionsgeladenen Passagen: Er trifft immer den richtigen Ton.

Die Haupthandlung des Auftaktwerkes der geplanten „Tinkerfarm“-Reihe ist abgeschlossen, wenn auch das Ende etwas abrupt kommt. Dennoch bleiben genügend Fragen über die bisher aufgedeckten Mysterien offen. Ebenso interessant könnte die weitere Entwicklung der beiden Neuankömmlinge Tyler und Lucinda im Verlauf der geplanten Romanreihe sein, da sie vermutlich je nach Lebensphase ihre Einstellungen und Ansichten ändern. Auftakt gelungen und es gibt noch genug Potenzial, um die Reihe erfolgreich weiterzuführen.

Fazit: „Die Drachen der Tinkerfarm“ überzeugt durch interessante Charaktere, und die bisherige Story macht Lust auf mehr. Man kommt gern zur Ordinary Farm zurück. Die Zielgruppe ist eindeutig die jüngere Leserschaft/Hörerschaft, jedoch werden auch diesem Genre gegenüber aufgeschlossene Erwachsene Gefallen an der Geschichte finden.


Die Drachen der Tinkerfarm
Gekürzte Lesung nach dem Roman von Tad Williams & Deborah Beale
Andreas Fröhlich (Erzähler)
Der Hörverlag 2009
ISBN: 978-3-86717-510-4
6 CDs, ca. 455 min., deutsch
Preis: EUR 24,95

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