Das Reich der Vampire 1

Vampirgeschichten gibt es zahlreiche, weshalb es schwierig ist, unter all den Werken herauszustechen und mit neuen Ideen zu überzeugen. Ob dies mit „Das Reich der Vampire 1“ gelungen ist, soll nun erläutert werden.

von Alice

Seit 27 Jahren sind die Armeen der Vampire auf dem Vormarsch und vernichten Stück für Stück den Lebensraum der Menschen. Hoffnung bringt der Orden der Silberwächter, der in dem Kloster San Michon ein recht außergewöhnliches Leben führen. Durch die Kraft des Glaubens leisten die Wächter Widerstand und erhalten eine spezielle Ausbildung, mit der sie gegen die Vampire bestehen können. Die Besonderheit ist, dass die Silberwächter selbst Vampire sind, genau genommen Halbvampire. Dadurch vereinen sie die übernatürlichen Kräfte der Vampire mit dem Bewusstsein der Menschen. Da sie selbst die Schwächen von Vampiren in sich tragen, sind besondere Vorkehrungen notwendig, beispielsweise um den Blutdurst zu stillen, ohne sich gegenseitig zu töten.

Gabriel wächst unter einfachen Leuten auf und erfährt erst in seiner Jugend durch Zufall, dass er Halbvampir ist. Als ihn der Blutdurst überkommt, muss er seine Heimat verlassen und er erhält eine Ausbildung zum Silberwächter. Diese ist gefährlich, schmerzhaft und gnadenlos. Gabriel lässt dies über sich ergehen und gibt nicht auf, trotzdem hat er es besonders schwer, denn der Vampir in ihm scheint schwächer zu sein als bei anderen. Dies macht ihn zum Opfer von Hänseleien, bis sich eines Tages das Blatt wendet. Gabriel entdeckt seltene Kräfte in sich und steigt zum Helden auf.

Nach seiner Zeit als Held kommt es jedoch zu einem Absturz. Gabriel wird zu einem griesgrämigen Alkoholiker und gerät in die Gefangenschaft von Vampiren, mit der die eigentliche Geschichte beginnt. Im Gefängnis erzählt er einem Chronisten von seinem bisherigen Leben, den Höhen und den Tiefen. Der Einstieg in die Handlung zeigt sich, wie häufig bei High Fantasy, auch hier schwierig. Die Charaktere machen Anspielungen, die der Leser erst später versteht, vorausgesetzt man erinnert sich dann noch an die passende Textstelle. Sobald Gabriel von seiner Jugend erzählt, insbesondere seiner Zeit beim Orden, legt sich diese Problematik jedoch, da er selbst ein Neuling ist und deshalb detaillierte Erläuterungen erhält. Stück für Stück lernt man die Welt und ihre Eigenheiten kennen und kann sich an kreativen Ideen erfreuen. Gläubige Halbvampire, die in einem Kloster für den Krieg gegen die Vampire trainieren, ist ein außergewöhnlicher Ansatz. Eine Aufteilung in verschiedene Blutlinien, welche besondere Fähigkeiten mitbringen, wie zum Beispiel die Herrschaft über Tiere, sorgt immer wieder für ein spannendes Kräftemessen.

Hat man von Gabriels Anfangszeit im Kloster erfahren, springt die Geschichte erst einmal zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem er schon große Heldentaten vollbracht hat. Derartige Zeitsprünge kommen häufiger vor, was mit einem ansprechenden Erzählstil umgesetzt wurde. Die fehlenden Lücken werfen spannende Fragen auf, die sich im Laufe von Gabriels Erzählungen aufklären. Zudem ist es interessant zu beobachten, wie die Charaktere sich über mehrere Jahre verändert haben. Gabriel hat im Laufe seines Lebens eine spannende Wandlung durchgemacht. Wie es dazu gekommen ist, erfährt man häppchenweise über Geschichten in mehreren Zeitabschnitten verteilt. Diese Zeitsprünge bieten zahlreiche Möglichkeiten für fiese Cliffhanger. Als Leser fällt es zunächst schwer, herausgerissen zu werden und sich auf einen neuen Handlungsstrang einzulassen, bis man feststellt, dass dieser ebenfalls fesselnd ist.

Insgesamt handelt es sich um einen düsteren Roman mit überraschende, häufig schockierende Wendungen, doch erlebt man zwischendurch auch Entspannung durch humorvolle Szenen oder Gabriels derbe Ausdrucksweise, da er auf eine besonders kreative Weise flucht – und das nicht zu knapp. Dazu hat er guten Grund, denn der Kampf gegen die Vampire erscheint häufig aussichtslos, und nur durch kreative Kampftaktiken gibt es gelegentlich Lichtblicke und auch Pausen. Pausen, in denen man mehr um die außergewöhnliche Welt erfährt, Einblicke in die zwischenmenschlichen Beziehungen sehr unterschiedlicher Charaktere erhält oder mit Themen wie dem Glauben, der Liebe und dem Durchbrechen gesellschaftlicher Normen konfrontiert wird. Bei über 1000 Seiten gibt es reichlich Raum für eine vielschichtige, tiefgehende Geschichte. Zwischendurch kommt es jedoch auch zu langatmigen Szenen, die man hätte bedenkenlos kürzen können, oder Szenen, die sich insgesamt sehr ähnlich sind und die Handlung wenig voranbringen. Trotz der zahlreichen Details gibt es bis zum Schluss offene Fragen, die Neugierde auf die Fortsetzung wecken.

Das Buch selbst ist gebunden und durch sein schönes Cover sehr ansprechend gestaltet. Schlägt man dieses auf, erhält man sogleich eine Karte, was bei einer solch umfangreichen Geschichte erfreulich ist. Eine Besonderheit sind zahlreiche, vollflächige Illustrationen, welche mit viel Liebe zum Detail und in einem Stil umgesetzt wurden, der noch lange in Erinnerung bleibt.

Leseprobe

Fazit: Bei diesem Roman handelt sich um eine Vampirgeschichte der düsteren Art in einer einzigartigen Welt mit zahlreichen kreativen Ideen, die noch lange in Erinnerung bleiben. Actionreiche Kämpfe, schockierende Wendungen, aber auch eine tiefgehende Geschichte mit interessanten, sehr unterschiedlichen Charakteren sorgen für reichlich Abwechslung. Manche Szenen hätte man allerdings kürzen oder vollständig weglassen können, da sie die Handlung unnötig in die Länge ziehen. Wer etwas Geduld mitbringt, hat jedoch viel Freude an diesem Werk.

Das Reich der Vampire 1
Fantasy-Roman
Jay Kristoff
FISCHER Tor 2022
ISBN: 978-3-596-70040-0
1024 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 26,00

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